Im vorhergehenden Beitrag ging es um die elektromechanischen Buchungsmaschinen, mit denen meine Mutter gearbeitet hat, ab hier wird es elektronischer.
NCR Class 29, besser bekannt als: Post-Tronic (1956-1970)

- Das erste elektronische Gerät von NCR, die Class 29 Post-Tronic. Mit Röhren! Arbeitet mit Lochkarten, Magnetkartenleser/-schreiber und Lochstreifenausgabe
- Eine Weiterentwicklung der Class 2000.
- Speziell für Kontenverwaltung, also für Banken, weniger für Buchhaltung.
- Hier ein guter Überblick: http://vidya.amrita.ac.in/cs/HIST-COMPUTING/thocp/hardware/ncr_post_tronic.htm
Compu-Tronic (1959?)

- Eine Quelle hat sie als Class 441 bezeichnet, aber dafür habe ich sonst keine Belege, das stimmt vielleicht nicht.
- Liest Lochkarten, gibt Lochkarten oder Lochstreifen aus.
- Der Kasten an der linken Seite gehört dazu, jedenfalls dessen Inhalt; da steckt die Elektronik drin. 200 Röhren (sagt mein Vater), bei Flickr gibt es ein Bild, auf dem man das Innere sehen kann .
- Multipliziert 9.999.999.99 mal 0,99999 in weniger als einer Drittel-Sekunde (“can multiply king-size figures in a fraction of a second”)
- “One operator can prepare complete payroll records for 500 employees in a single day”
- “Up to 31 electronic memory units supply frequently used figures, such as numbers used to compute taxes, discounts and other information required for a particular job. The machine’s mechanical memory units can be saved for storing data needed for accounting purposes.” (Data Processing Equipment Encyclopedia Vol. 1) Das heißt, man speichert Zahlen, die man oft braucht, in den EMUs, bis zu 31 je nach Ausstattung.
“Man musste die Konten erst einmal alle einlesen, die hatten einen Schiebetisch, da wurde die Karte hineingeschoben (mit Namen versehen und was für Art von Konto usw), und das wurde auf dem Magnetstreifen gespeichert. Und wenn dann eine Bewegung war, plus oder minus, dann wurde der Saldo automatisch gelesen und du hast eingegeben, was dazu kam, und der neue Saldo wurde wieder auf dem Magnetstreifen gespeichert. Die haben mehr Banken mehr gekauft, in Buchhaltungen ist die nicht aufgestellt worde. Sie haben auch mal einen Werbefilm für NCR gedreht, wo ich den bedient habe. Ein Schauspieler war auch da. Ich habe den Film aber nie gesehen.”
NCR Class 400 (1967?)

- Speichert je nach Modell 80 bis 200 13-stellige Einträge.
- Wagen kann vorwärts und rückwärts fahren, kann Lochkarten lesen und Lochkarten oder Lochstreifen ausgeben, kann mit Magnetkonten arbeiten.
“Speicher heißt, du konntest etwas programmieren, zum Beispiel Prozentsätze – man konnte dann schon bei der Gehaltsabrechnung die Steuer ausrechnen, die Krankenkasse konntest du speichern, also bei welcher Krankenkasse der war, der Prozentsatz. Sie konnte nur nicht dividieren. Aber das haben wir dann ausgetrickst, indem wir mit reziproken Werten multipliziert haben. Ein Modell hatte 7 EMUs, Electronic Memory Units. In diesen EMUs konnte man beispielsweise bei der Gehaltsabrechnung verschiedene Prozentsätze speichern. Die haben normalerweise ausgereicht, aber wir hatten eine Firma, die hatte Sonderwünsche, da haben die 7 EMUs, die 7 Speicher nicht ausgereicht. Der Vertreter B. hat alles versprochen, und ich bin in die Werkstatt und habe gefragt, wie wir das machen, mit dem G. – dann sind sie darauf gekommen, sie können die EMUs splitten. Dann haben wir 14 EMUs gehabt, das heißt, wir haben vielleicht 10 EMUs halbiert gehabt, also 5 halbiert und 2 ganz gelassen.” Eventuell bezieht sich das auch auf ein anderes Modell.
Hier ein US-Werbefilm für die 400, richtig episch. “In the beginning was the challenge.” Es geht zuerst um die Produktion, ab 5’20” um die Bestandteile, ab 8’20” wird es interessant: Es geht um das neue Feature “external tape programming”, also die Programmierung durch Lochstreifen statt in internal memory. “Since the tape may be of any length, there is virtually no limit to the number of instructions a program may contain.” Man sieht auch gut, wie groß diese Dinger waren.
NCR will also furnish a full complement of program software packages to ease conversion and program implementation. These programs can be used as they are or modified to fit the individual needs of any business. However, users are not limited to these programs because the 400 will accept personalized programs or any practical accounting application. And because the 400 does not require complicated program languages, existing personnel will also be able to create their own programs and program modifications, should that be desirable. Add to this the worldwide availability of NCR support personnel and highly trained technical service representatives and the uniquely flexible MCR 400 becomes the most effective answer to the accounting and information problems facing management.
Und dieses technische Personal war dann eben meine Mutter. Was das mit den unkomplizierten Programmiersprachen dagegen betrifft, da bin ich etwas skeptisch… siehe weiter unten.

NCR Class 446 (1969)

Bildquelle: technikum29 Computer Museum, Creative Commons (CC BY-NC 4.0)
- Modell mit (nur?) Lochstreifensteuerung. Das heißt, das Programm war auf dem Lochstreifen und befand sich nur da und nicht in einem Arbeitsspeicher und wurde anhand des Lochstreifens, der sich permanent bewegte, vor oder zurück, abgearbeitet. (Es gab aber dann auch eine 446-Special bereits mit RAM.) Das fiel in die Zeit, als meine Mutter für drei Jahre die Arbeit ausgesetzt hatte, damit hat sie wenig gearbeitet.
- “Du siehst, die Maschine ist schon ein bisschen kleiner geworden, mit der Schreibmaschine und Lochkartensteuerungen und du konntest Lochkarten erstellen, aber was sie zu tun hat, wurde programmiert über Lochstreifen. und da hatten wir sogar so einen Hand-Puncher. Denn man musste manchmal etwas ausbessern und dann zukleben und so.”
https://technikum29.de/de/rechnertechnik/kommerzielle.php#ncr446
- Der NCR 446 ist ein Rechner der 2. Generation (Transistortechnik). Er wurde ab 1966/67 in Deutschland (National Registrier Kassen GmbH, Augsburg) von 4 Ingenieuren entwickelt, die gerade ihr Examen an der Universität absolviert hatten. Im Jahre 1967/68 war er marktreif. Die Architektur ist ungewöhnlich. Das gesamte Programm befindet sich auf dem Lochstreifen im Programmleser. Verknüpfungen werden in einem gefädeltem ROM ausgeführt. Die Anlage wurde als “Elektronische Fakturiermaschine” angeboten, weil das ihr Hauptanwendungsgebiet war. Dennoch verwendeten auch Statiker den Rechner, da er praktisch beliebig programmierbar war (und natürlich immer noch ist!).
- Die Anlage beinhaltet neben dem Programmleser noch zwei Daten-Lochstreifenleser, einen Lochstreifenstanzer, die Eingabetastatur und eine IBM Kugelkopfmaschine als Drucker. Durch Anklicken des Bildes erhält man eine Detailaufnahme.
- Billig war ein Einstieg in die bisher unbekannte Welt des elektronischen Rechnens nebst Textausgabe nicht: Das einfachste Modell ohne Lochstreifenstanzer und ohne zusätzliche Lochstreifen-Datenleser kostete satte 35.000,- DM (ca. 18.000 Euro); das entsprach damals dem Gegenwert von ca. 3 Mittelklasse Autos.
- Dafür war die NCR446 der erste “kleine” kommerzielle Rechner, der Text und integrierte mathematische Berechnungen gleichzeitig ausdrucken konnte. Eine solche “Maschine” befähigte z.B. Statiker, textlich dokumentierte Berechnungen unmittelbar versandfertig aufzulisten. Der Konkurrent von Olivetti (Programma 101, 203) konnte dagegen nur Zahlen auf einem kleinen Streifen bzw. auf der Schreibmaschine ausgeben.
- Es ist herrlich, dem Rechner z.B. bei der Berechnung der Wurzel einer Zahl zuzuschauen. Spätestens dann versteht man, was ein Algorithmus ist! Da sich das Programm auf dem Lochstreifen befindet, kann man jeden Rechenschritt und alle Programmsprünge anhand der Bewegung des Lochstreifens verfolgen.
Bei dem Preis wurden zum Standardprogramm eigene Wunsch-Anpassungen des Kunden vorgenommen.
Nach dem Wiedereintritt in den Beruf 1970-1974 musste meine Mutter erst einmal darauf bestehen, an die interessanten Geräte zu kommen und nicht nur langweilige Arbeit zu machen. Und das funktionierte dann auch.
NCR Class 399 (1972)


- Hauptspeicher 12 KB RAM KB, max. RAM 20 KB, 9,8 MB HDD, Kassettenlaufwerk. Es war ein Magnetkonten-Rechner, das heißt, die Informationen wurden auf einem Magnetstreifen am Konto gespeichert – das gilt aber möglicherweise nur für die Modelle 399-113 und 399-114 ab 1976 und nicht für das Ursprungsmodell. (Bild eines solchen Magnetkonto-Formulars.)
- “Die 399 war eine super Maschine für uns.”
- “Da gab es nur ein Modell. Wir sollten zur Messe das Modell kriegen, aber wir mussten uns ja einarbeiten, wir mussten ja vorarbeiten; unser Wissen war ja nur theoretisch. Und da [1971? 1972?] war Messe in Paris, und da sind wir hingefahren. Während der Messezeit haben wir uns Paris angeschaut und abends um sechs sind wir eingelaufen. Da haben die [das Messepersonal] Feierabend gemacht und wir haben bis Mitternacht an den Maschinen gearbeitet, getestet, ob unsere Programme, die wir schon vorbereitet hatten, laufen. Und die war schon recht toll, die hat schon viel gemacht, die konnte also alle vier Grundrechenarten.”
- “As each data entry key is depressed, an audible tone is emitted to ensure the operator that the key was fully depressed. This instills confidence and reduces the possibility of error.” (Broschüre)
- Das war das Gerät, mit dem meine Mutter nach ihrer Rückkehr in den Beruf am 1970 meisten gearbeitet hat. Laut Angaben im Web gab es diese Maschine ab 1973 oder “1974 o. früher”, andererseits war sie in Augsburg vielleicht schon früher im Einsatz. Im Zeugnis von 1974 steht: “Seit Januar 1971 war Frau Rau fast ausschließlich mit Programmierungs- und Systemarbeiten für die NCR 399 tätig. Sie gehörte zu den ersten Programmierern, die mit diesem Maschinensystem vertraut gemacht wurden.” Ich versuche noch genauer herauszufinden, was damals alles unter Programmierung verstanden wurde. (Nachtrag: Im Spiegel 49 vom November 1972 gibt es eine Anzeige für die 399.)
- Denn: “The NCR 399 programming language was designed to simplify even the most difficult applications. A full range of powerful commands, structured in a near-English business oriented language, makes it possible to write a program in terms that are problem oriented and are easily understood.” (Broschüre) Die Sprache hieß dann auch NEAT (Near-English Automatic Translator). Aber von wegen Near English – das war dann einfach nur Assembler, hier ein Überblick über die Befehle. In ausführbaren Code umformen kann man die Programme auf der NCR 399 selber oder extern: “Programs can be assembled on an NCR 399 or, if desired, this assembly can be handled on an NCR Century System at your loc al NCR Regional Systems Center.” Der 605-Prozessor in diesem und anderen Geräten war von NCR selbst entwickelt. Gab es eine Ebene darüber, auf der man programmieren konnte? Ich glaube nicht, dass meine Mutter Assembler programmiert hat.
- Unter http://www.montagar.com/~patj/ncr_01.htm wird erzählt, wie jemand eine alte, gebrauchte NCR 399 gekriegt hat. Ein Kommentar einer Laura dort warnt allerdings gleich:
“My first job out of school was for NCR. I spent the better part of three years programming that monster and installing them around Massachussetts. When I first started using it, we only had two cassette tape drives on it. To compile, you had to have one tape for your source, another for the compiler, and another for the linker, and finally one to write your object code to, It would take about 30 minutes to compile a program, and every 5 minutes or so you had to change tapes.
The programming language is Neat/AM (AM=accounting machine) The magnetic ledgers were a piece of ledger paper about 12″ wide by 16″ long. They had a piece of magnetec tape glued to the back which would store the information printed on the front. They were great transition systems for the small business which had always used paper ledgers to keep their books. The 399 let them keep their ledgers, but then they could feed the ledgers one at a time into the system where it would be read onto tape at the end of the month.” - Broschüre (mit schönem Überblick über Peripherie)
NCR Class 299 (1974)
- Die war dann schon nach der Zeit meiner Mutter.
- Zeitungsartikel von damals, Ausschnitt: https://www.computerwoche.de/a/ncr-299-mit-magnetkonto-und-rueckwaertiger-kontenablage,1203937
Der Abschluss
Ich muss erst noch fragen, ob ich das Zrugnis von 1974 posten darf. Da erfahre ich, dass meine Mutter “vom 1.10.1970 bis zum 31.8.1974 in unserer Abteilung MDT/Programmierung und Software als Senior-Systemprogrammiererin tätig” war. “Seit 1971 war Frau Rau fast ausschließlich mit Programmierungs- und Systemarbeiten für die NCR 399 tätig. Sie gehörte zu den ersten Programmierern, die mit diesem Maschinensystem vertraut gemacht wurden.”
Die Freundinnen meiner Mutter, die in meiner Kindheit und Jugend immer zu Besuch kamen und von denen nur noch eine lebt, das waren die Kolleginnen aus dieser Zeit.
Ausblick
Das war die Rechnervergangenheit meiner Mutter. Ich werde gelegentlich noch ein paar Einzelheiten fragen, aber vorerst ist die Reihe hiermit abgeschlossen.
Und eigentlich war mein Vater der mit den Computern und verantwortlich für die Rechner meiner Kindheit und Jugend (Blogeintrag). Das gibt dann eine eigene Artikelreihe.
Quellen
Web
Es gibt gar nicht so viel Informationen zu NCR-Maschinen.
- http://eng.kiangwan.com/index.php?lay=show&ac=article&Id=539563821
Eine sehr vollständige Aufzählung von NCR-Maschinen von der thailändischen Firma, die Alleinimporteur dafür war. - https://www.pc-freak.net/files/NCR_ATM_terminals/www.thecorememory.com/index.html
Die Seite eines ukrainischen Programmierers, der mit NCR-Maschinen gearbeitet hat; die Seite existiert seit 2021 nicht mehr auf der ursprünglichen Domain, es handelt sich um eine Kopie der Fassung von 2012 auf einer anderen Seite. Leider funktioniert die Bildergalerie nicht mehr. - https://web.archive.org/web/20200102191500/http://www.thecorememory.com/
Die jüngste Fassung dieser Seite auf der Wayback Machine. - http://vidya.amrita.ac.in/cs/HIST-COMPUTING/thocp/
Eine weitere gespiegelte Seite, bei der das Original nicht mehr vorhanden ist. - https://archive.org/
Unschätzbares Archiv für Unterlagen aller Art, aber eben nicht alle Unterlagen. - https://www.ncr.org.uk/
Die Seite der britischen NCR-Ehemaligen-Vereinigungen. Ja, so etwas gibt es. Es gibt einige Bilder und Filme und etwas Text, aber vor allem gibt es als pdf 66 Ausgaben der Ehemaligenzeitschrift, von Juni 1985 bis 2022. Und was das für Ausgaben sind! In der vom Sommer 2022 gibt es einen Nachruf auf einen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer – mit Fotos von der Aufführung der NCR-Theatergruppe (ein Thriller) anno 1952. So etwas gab es wohl im UK.
Broschüren und anderes Material
Downloads alle von dieser Webseite.
Bücher
- William S. Anderson & Charles Truax, Corporate Crisis: NCR and the Computer Revolution. Dayton, Ohio: Landfall Press 1991
- Data Processing Equipment Encylopedia Vol. 1: Electomechanical Devices. Michigan: Gille Associates 1961
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