Meine Mutter als Programmiererin 3: Spätere Maschinen

Im vorhergehenden Beitrag ging es um die elektromechanischen Buchungsmaschinen, mit denen meine Mutter gearbeitet hat, ab hier wird es elektronischer.

NCR Class 29, besser bekannt als: Post-Tronic (1956-1970)

Compu-Tronic (1959?)

“Man musste die Konten erst einmal alle einlesen, die hatten einen Schiebetisch, da wurde die Karte hineingeschoben (mit Namen versehen und was für Art von Konto usw), und das wurde auf dem Magnetstreifen gespeichert. Und wenn dann eine Bewegung war, plus oder minus, dann wurde der Saldo automatisch gelesen und du hast eingegeben, was dazu kam, und der neue Saldo wurde wieder auf dem Magnetstreifen gespeichert. Die haben mehr Banken mehr gekauft, in Buchhaltungen ist die nicht aufgestellt worde. Sie haben auch mal einen Werbefilm für NCR gedreht, wo ich den bedient habe. Ein Schauspieler war auch da. Ich habe den Film aber nie gesehen.”

NCR Class 400 (1967?)

(1967) Meine Mutter auf der Hannover Messe

“Speicher heißt, du konntest etwas programmieren, zum Beispiel Prozentsätze – man konnte dann schon bei der Gehaltsabrechnung die Steuer ausrechnen, die Krankenkasse konntest du speichern, also bei welcher Krankenkasse der war, der Prozentsatz. Sie konnte nur nicht dividieren. Aber das haben wir dann ausgetrickst, indem wir mit reziproken Werten multipliziert haben. Ein Modell hatte 7 EMUs, Electronic Memory Units. In diesen EMUs konnte man beispielsweise bei der Gehaltsabrechnung verschiedene Prozentsätze speichern. Die haben normalerweise ausgereicht, aber wir hatten eine Firma, die hatte Sonderwünsche, da haben die 7 EMUs, die 7 Speicher nicht ausgereicht. Der Vertreter B. hat alles versprochen, und ich bin in die Werkstatt und habe gefragt, wie wir das machen, mit dem G. – dann sind sie darauf gekommen, sie können die EMUs splitten. Dann haben wir 14 EMUs gehabt, das heißt, wir haben vielleicht 10 EMUs halbiert gehabt, also 5 halbiert und 2 ganz gelassen.” Eventuell bezieht sich das auch auf ein anderes Modell.

Hier ein US-Werbefilm für die 400, richtig episch. “In the beginning was the challenge.” Es geht zuerst um die Produktion, ab 5’20” um die Bestandteile, ab 8’20” wird es interessant: Es geht um das neue Feature “external tape programming”, also die Programmierung durch Lochstreifen statt in internal memory. “Since the tape may be of any length, there is virtually no limit to the number of instructions a program may contain.” Man sieht auch gut, wie groß diese Dinger waren.

Man beachte auch sprachlich: “the operator” ist immer “she”.

NCR will also furnish a full complement of program software packages to ease conversion and program implementation. These programs can be used as they are or modified to fit the individual needs of any business. However, users are not limited to these programs because the 400 will accept personalized programs or any practical accounting application. And because the 400 does not require complicated program languages, existing personnel will also be able to create their own programs and program modifications, should that be desirable. Add to this the worldwide availability of NCR support personnel and highly trained technical service representatives and the uniquely flexible MCR 400 becomes the most effective answer to the accounting and information problems facing management.

Und dieses technische Personal war dann eben meine Mutter. Was das mit den unkomplizierten Programmiersprachen dagegen betrifft, da bin ich etwas skeptisch… siehe weiter unten.

(1972) Messe

NCR Class 446 (1969)

Bildquelle: technikum29 Computer Museum, Creative Commons (CC BY-NC 4.0)

  • Der NCR 446 ist ein Rechner der 2. Generation (Transistortechnik). Er wurde ab 1966/67 in Deutschland (National Registrier Kassen GmbH, Augsburg) von 4 Ingenieuren entwickelt, die gerade ihr Examen an der Universität absolviert hatten. Im Jahre 1967/68 war er marktreif. Die Architektur ist ungewöhnlich. Das gesamte Programm befindet sich auf dem Lochstreifen im Programmleser. Verknüpfungen werden in einem gefädeltem ROM ausgeführt. Die Anlage wurde als “Elektronische Fakturiermaschine” angeboten, weil das ihr Hauptanwendungsgebiet war. Dennoch verwendeten auch Statiker den Rechner, da er praktisch beliebig programmierbar war (und natürlich immer noch ist!).
  • Die Anlage beinhaltet neben dem Programmleser noch zwei Daten-Lochstreifenleser, einen Lochstreifenstanzer, die Eingabetastatur und eine IBM Kugelkopfmaschine als Drucker. Durch Anklicken des Bildes erhält man eine Detailaufnahme.
  • Billig war ein Einstieg in die bisher unbekannte Welt des elektronischen Rechnens nebst Textausgabe nicht: Das einfachste Modell ohne Lochstreifenstanzer und ohne zusätzliche Lochstreifen-Datenleser kostete satte 35.000,- DM (ca. 18.000 Euro); das entsprach damals dem Gegenwert von ca. 3 Mittelklasse Autos.
  • Dafür war die NCR446 der erste “kleine” kommerzielle Rechner, der Text und integrierte mathematische Berechnungen gleichzeitig ausdrucken konnte. Eine solche “Maschine” befähigte z.B. Statiker, textlich dokumentierte Berechnungen unmittelbar versandfertig aufzulisten. Der Konkurrent von Olivetti (Programma 101, 203) konnte dagegen nur Zahlen auf einem kleinen Streifen bzw. auf der Schreibmaschine ausgeben.
  • Es ist herrlich, dem Rechner z.B. bei der Berechnung der Wurzel einer Zahl zuzuschauen. Spätestens dann versteht man, was ein Algorithmus ist! Da sich das Programm auf dem Lochstreifen befindet, kann man jeden Rechenschritt und alle Programmsprünge anhand der Bewegung des Lochstreifens verfolgen.
https://technikum29.de/de/rechnertechnik/kommerzielle.php#ncr446

Bei dem Preis wurden zum Standardprogramm eigene Wunsch-Anpassungen des Kunden vorgenommen.

Nach dem Wiedereintritt in den Beruf 1970-1974 musste meine Mutter erst einmal darauf bestehen, an die interessanten Geräte zu kommen und nicht nur langweilige Arbeit zu machen. Und das funktionierte dann auch.

NCR Class 399 (1972)

(1972?) Messe Paris

NCR Class 299 (1974)

Der Abschluss

Ich muss erst noch fragen, ob ich das Zrugnis von 1974 posten darf. Da erfahre ich, dass meine Mutter “vom 1.10.1970 bis zum 31.8.1974 in unserer Abteilung MDT/Programmierung und Software als Senior-Systemprogrammiererin tätig” war. “Seit 1971 war Frau Rau fast ausschließlich mit Programmierungs- und Systemarbeiten für die NCR 399 tätig. Sie gehörte zu den ersten Programmierern, die mit diesem Maschinensystem vertraut gemacht wurden.”

Die Freundinnen meiner Mutter, die in meiner Kindheit und Jugend immer zu Besuch kamen und von denen nur noch eine lebt, das waren die Kolleginnen aus dieser Zeit.

Ausblick

Das war die Rechnervergangenheit meiner Mutter. Ich werde gelegentlich noch ein paar Einzelheiten fragen, aber vorerst ist die Reihe hiermit abgeschlossen.

Und eigentlich war mein Vater der mit den Computern und verantwortlich für die Rechner meiner Kindheit und Jugend (Blogeintrag). Das gibt dann eine eigene Artikelreihe.

Quellen

Web

Es gibt gar nicht so viel Informationen zu NCR-Maschinen.

Broschüren und anderes Material

Downloads alle von dieser Webseite.

Bücher


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Kommentare

8 Antworten zu „Meine Mutter als Programmiererin 3: Spätere Maschinen“

  1. Diese Buchungsmaschinen lassen mich ja nicht los.
    Ich wusste, dass ich sie doch schon irgendwo gesehen habe. Mir fiel aber partout nicht ein, wo.
    Mittlerweile weiß ich, dass das Deutsche Museum welche hat. Aber gesehen habe ich sie im Museum für Kommunikation in Berlin. Mein Gedächtnis ist eine dunkle Kammer, in die ab und zu ein Lichtlein fällt.
    https://sammlungen.museumsstiftung.de/rechen-und-buchungsmaschinen/

  2. Beeindruckende Berufsgeschichte. Lochkarten waren jahrelang bei uns im Haus Notizzettel. Mein Vater war Systemberater bei einer großen Computerfirma in den 1980ern. Irgendwann brauchte keiner mehr die Karten auf der Arbeit, aber es gab halt noch so Viele unbenutzte.

  3. Justina

    Total interessante Dokumentation. Danke für die Mühen!
    Ihre Mutter wirklich eine für ihre Zeit außergewöhnliche Berufslaufbahn bzw. Tätigkeit scheint mir. Ich fände einen Teil 4 interessant mit O-Tönen, wie es ihr damals in der Männerwelt erging. Vielleicht kann jemand sie für eine Podcast-Interview einladen ?!

  4. @Croco: Deutsches Museum, da muss ich mal schauen! Ich weiß, dass es da oben viele alte Rechner und Proto-Rechner gibt.

    @Ines: Lochkarten spielten in meiner Jugend eine ähnliche Rolle. Mein Vater hatte ein System entwickelt, um die Auswertung von Bogernschießturnieren zu automatisieren, und am Anfang war das mit Lochkarten (zum Markieren mit Stift, nicht gelocht) – noch heute sind ein paar in den alten Kochbüchern meiner Familie, und ich schätze sie hoch.

    @Justina: Ich weiß nicht, wie außergewöhnlich die Berufslaufbahn meiner Mutter überhaupt war. Über ihre ehemaligen Kolleginnen und Freundinnen kannte ich ja viele in dieser Branche. O-Ton wäre sicher spannend, ich habe ja ein paar Aufnahmen, aber ich glaube nicht, dass das etwas für meine Mutter wäre.

  5. Wow! Was für eine Recherchearbeit! Da müssen ja Stunden reingeflossen sein! Respekt, Thomas! Ist auch ein echt interessantes Thema. Für mich als jemand, der erst zu den Post-Homecomputer-Zeiten eingestiegen ist, ist das echt ein Bereich des Unbekannten. Wusste gar nicht, dass da soviele Geräte und permanente Neuerungen auf den Markt kamen!

  6. Ja, das war viel Arbeit. Aber das mache ich ja gerne, und ich habe gerade Zeit. Könnte ich dauernd machen, wenn ich nicht wieder in den Brotberuf müsste; ich habe noch ähnliche Pläne.

  7. Nadine

    Vielen Dank für diese kleine Reihe, ich fand das wirklich spannend und würde mich freuen, wenn es mehr davon gibt. Als Kind der 80er-Jahre und mittlerweile Ingenieurin sind solche Ausflüge in die frühe Technik für mich immer sehr interessant :o)
    Falls es nicht zu privat ist, würde mich aber noch interessieren, was Ihre Mutter dann ab 1974 weiter gemacht hat…

  8. Ab 1974: Familie. Später ein bisschen Halbtag, aber eher Buchhaltung als Technik. – Es gibt sicher noch mehr Geschichten, aber zu komme ich wohl nicht so schnell.

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