Vergnüglichen Unterricht gemacht, auch sonst sehr geschäftig, und die Programmierseuche hat mich wieder gepackt. Das ist chronisch, sage ich, chronisch.
Schulgrammatik
Sprachen haben nicht etwa eine eindeutige und unveränderbare Grammatik, wie man sich das vielleicht vorstellt. Sprachen sind erst einmal da, und Grammatiken sind Modelle, um diese Sprachen abzubilden und zu vergleichen und darüber zu reden. Die Modelle erfüllen ihren Zweck, also, je nach Zweck, und beschreiben die Sprachen schon recht gut. Nur an den Ecken und Enden, wo es vielleicht auch gar nicht so wichtig ist, franst es gerne mal aus. Die Grammatiken und Kategorien, die man so kennt, sind von dem Grammatikmodell des Lateinischen beeinflusst; wie gut das seinen Zweck erfüllt, kann ich nicht beurteilen, weil ich weder Zweck noch Sprache wirklich kenne. Die deutsche Schulbuch-Grammatik weicht jedenfalls von wissenschaftlichen Deutsch-Grammatiken ab, die einen anderen Zweck haben.
Manche Unterschiede im Modell sind nur terminologisch. Heißt es Präteritum oder Imperfekt? Es gibt Gründe fürs eine und fürs andere, vielleicht, aber sie beschreiben das gleiche. Andere Unterschiede sind größer.
Starke, schwache, regelmäßige, unregelmäßige Verben
Früher hat man im Deutschunterricht gelernt, dass es starke und schwache Verben gibt. (Und Hilfsverben als Sonderfall?) Stark sind „reiten – ritt – geritten“ und „binden – band – gebunden“ und „backen – buk – gebacken“. Schwach sind „legen – legte – gelegen gelegt“ und „setzen – setzte – gesetzt“ und „backen – backte – gebackt(?)“. Man sieht, es geht ein bisschen durcheinander; Sprache entwickelt sich.
Die Englisch-Grammatik kennt historisch diese Unterschiede auch. Da es bei den englischen Verbformen aber so viel Ausnahmen einerseits und Vereinfachung andererseits gibt, spricht die Schulgrammatik sinnvollerweise von regelmäßigen und unregelmäßigen Verben. „Give – gave – given“ (unregelmäßig, historisch: stark), „dance – danced – danced“ (regelmäßig, historisch schwach), „think – thought – though“ (unregelmäßig, historisch schwach).
Inzwischen macht das das Deutschschulbuch auch. Das unterscheidet regelmäßige Verben (ein Großteil der schwachen Verben) und unregelmäßige Verben (alle starken Verben, Hilfs- und Modalverben, und vor allem ein paar schwache Verben mit Vokalwechsel: bringen, denken, kennen). Dabei wird regelmäßig alles genannt, wo sich der Vokal nicht ändert, und unregelmäßig, wenn sich der Vokal ändert. Wie Partizip oder Imperativ aussehen, ist dabei egal; die Kategorien stark/schwach werden nicht verwendet.
Ich weiß noch nicht, wie glücklich ich darüber bin.
Nachtrag: An anderer Stelle im Arbeitsheft werden explizit schwache Verben mit regelmäßigen Verben gleichgesetzt. Was für ein Unsinn!
Begleiter
Die englische Grammatik, auch die Schulgrammatik, kennt die Wortart determiner, deutsch: Begleiter. Dazu gehören bestimmter und unbestimmer Artikel, aber auch andere Wörter, eigentlich alles, was hier hineinpasst: the book, a book, my book, your book, this book, that book. Also auch Possessivbegleiter und Demonstrativbegleiter.
In der deutschen Schulgrammatik gibt es das nicht, da gibt es nur Artikel, Demonstrativpronomen und Possessivpronomen. Ob das Demonstrativpronomen als Begleiter verwendet wird (dieses Buch) oder als Pronomen (das wird dir noch leid tun), ist egal, und das Possessivpronomen genannte Wort wird so gut wie nur als Possessivbegleiter verwendet (mein Buch) und kaum mehr als Possessivpronomen (vielleicht: Die Rache ist mein?) – aber die Unterscheidung, für meine 7. Klasse beim Demonstrativpronomen offensichtlich, ist für die Grammatik egal.
Und vielleicht ist sie das auch. Und doch.
Fundstück: Imitation Nation
Der Podcast 99% Invisible ist immer wieder sehr schön, die letzte Folge heißt Imitation Nation: Es geht darin um die immer elaborierten Militär-Übungsstädte, in denen – hier: amerikanisches – Militär auf den Einsatz in einem fremden Land vorbereitet werden soll. Die Gebäude werde teils akribisch nachgebaut, eine Kanalisation angelegt, und was eine immer größere Rolle spielt: die Rollenspieler. Man braucht Leute, die Einheimische spielen. Damit wird zum Beispiel geübt, wie es an einem bewachten Grenzübergang zugeht. Diese NPCs kriegen teilweise eine elaborierte Hintergrundgeschichte (Bürgermeister, heimlich zu den Aufständischen gehörend). Fremdsprachenkenntnis von Vorteil, man muss sie zumindest simulieren können, also für einen amerikanischen Soldaten überzeugend unverständlich reden können.
Wer übernimmt diese Rollen? Gerne Einwanderer und Geflüchtete, die sich teilweise in genau dem simulierten Land wiederfinden, aus dem sie kommen. (Tatsächlich haben die simulierten Städte und Länder alle fiktive Namen.) Das beschäftigt die Identität mancher Teilnehmenden wohl sehr.
Fritz Grünbaum
Zumindest hier in der Gegend dürfte jede Klasse in der Mittelstufe einmal die KZ Gedenkstätte Dachau besuchen. Meine Deutschklasse fährt kommenden Mittwoch. Bei einem Besuch dort hatte ich gesehen, dass der Kabarettist und Conferencier Fritz Grünbaum dort umgebracht wurde. Grünbaum kannte ich von einer Platte, es sind nicht viele Aufnahmen erhalten; auf ihn gekommen bin ich durch Torberg-Lektüre.
Das ist die Platte, die ich habe:
Diese Nummer ist auch drauf:
Alles schon alt, aber ich werde meiner 9. Klasse das vorspielen, ob die an alten Sachen noch etwas lustig finden. Und vor dem Dachau-Besuch wäre es vielleich schön, wenn sie von einem Naziopfer dort schon einmal gehört hätten. Wikipedia hat eine Kategorie mit Häftlingen dort.
Einleitungen in Aufsätzen
Es gibt – noch nicht schon immer – die Textsorte des informierenden Schreibens. Die ist adressatenbezogen, man schreibt aus einem Anlass und für ein Publikum. Im Abitur ist das meist eine Eröffnungsrede zu einer Ausstellung oder ein Vorwort zum Ausstellungskatalog.
Wir bringen unseren Schülern und Schülerinnen aber auch bei, dass Erörterungen schöne Einleitungen haben. Dabei sind die im Abitur nicht adressatenbezogen, ebensowenig wie Interpretationen von Lyrik, Drama oder Epik. Diese Aufsatzarten sind, ahem, „heuristisch“ oder gar „epistemisch-heuristisch“. Sie dienen zur Selbstfindung, zur Bildung der eigenen Meinung und Erkenntnis.
Aber auch da bringen wir bei, erwarten und verlangen eine schöne Einleitung. „Schon der Steinzeitmensch sehnte sich nach der Ferne, und Sehnsucht war zu allen Zeiten ein Thema für die Menschen, besonders in der Epoche der Romantik. So auch in dem Gedicht …. von …, das jetzt zusammengefasst, interpretiert und hinsichtlich Sprache und Motiven analysiert wird, gefolgt von einer Erörterung über die Reisemöglichkeiten des heutigen Menschen.“
Nur bei der Sachtextanalyse, bei der Sachtextanalyse erwarten wir das nicht. Oder doch? Bin das nur ich? Im Abitur gibt es die auch. Sollen Schüler und Schülerinnen da so anfangen:
Toleranz – ein unerwartet schwieriger Begriff, unter dem jeder Mensch vielleicht etwas anderes versteht. Oft gehen die Meinungen an dem Punkt auseinander, inwieweit Toleranz gezeigt werden soll und schlussendlich gezeigt wird, ohne sich im gesamten auf die gleichen Verbote und klaren Gesetzregelungen einigen zu können. Genau um dieses Thema, also grundsätzlich Toleranz, ihr Verständnis davon und die Folgen dieser unterschiedlichen Ansichten geht es auch in … von …, das im Folgenden…
Bin ich der einzige, der das bei der Sachtextanalyse komisch findet? (Und über das: „Im Folgenden werde ich…“ haben Deutschlehrkräfte ohnehin unterschiedliche Meinungen. Ich finde das furchtbar.)
Überhaupt: Wozu diese Einleitungen, wenn es kein Publikum, keinen Anlass gibt? Hilft diese Einleitung tatsächlich beim epistemisch-heuristischen Vorgehen? Stichprobe im Kollegium sagt, ich soll mich nicht so anstellen.
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