KW 03, 2024

(7 Kommentare.)

Vergnüglichen Unterricht gemacht, auch sonst sehr geschäftig, und die Programmierseuche hat mich wieder gepackt. Das ist chronisch, sage ich, chronisch.

Schulgrammatik

Sprachen haben nicht etwa eine eindeutige und unveränderbare Grammatik, wie man sich das vielleicht vorstellt. Sprachen sind erst einmal da, und Grammatiken sind Modelle, um diese Sprachen abzubilden und zu vergleichen und darüber zu reden. Die Modelle erfüllen ihren Zweck, also, je nach Zweck, und beschreiben die Sprachen schon recht gut. Nur an den Ecken und Enden, wo es vielleicht auch gar nicht so wichtig ist, franst es gerne mal aus. Die Grammatiken und Kategorien, die man so kennt, sind von dem Grammatikmodell des Lateinischen beeinflusst; wie gut das seinen Zweck erfüllt, kann ich nicht beurteilen, weil ich weder Zweck noch Sprache wirklich kenne. Die deutsche Schulbuch-Grammatik weicht jedenfalls von wissenschaftlichen Deutsch-Grammatiken ab, die einen anderen Zweck haben.

Manche Unterschiede im Modell sind nur terminologisch. Heißt es Präteritum oder Imperfekt? Es gibt Gründe fürs eine und fürs andere, vielleicht, aber sie beschreiben das gleiche. Andere Unterschiede sind größer.

Starke, schwache, regelmäßige, unregelmäßige Verben

Früher hat man im Deutschunterricht gelernt, dass es starke und schwache Verben gibt. (Und Hilfsverben als Sonderfall?) Stark sind „reiten – ritt – geritten“ und „binden – band – gebunden“ und „backen – buk – gebacken“. Schwach sind „legen – legte – gelegen gelegt“ und „setzen – setzte – gesetzt“ und „backen – backte – gebackt(?)“. Man sieht, es geht ein bisschen durcheinander; Sprache entwickelt sich.

Die Englisch-Grammatik kennt historisch diese Unterschiede auch. Da es bei den englischen Verbformen aber so viel Ausnahmen einerseits und Vereinfachung andererseits gibt, spricht die Schulgrammatik sinnvollerweise von regelmäßigen und unregelmäßigen Verben. „Give – gave – given“ (unregelmäßig, historisch: stark), „dance – danced – danced“ (regelmäßig, historisch schwach), „think – thought – though“ (unregelmäßig, historisch schwach).

Inzwischen macht das das Deutschschulbuch auch. Das unterscheidet regelmäßige Verben (ein Großteil der schwachen Verben) und unregelmäßige Verben (alle starken Verben, Hilfs- und Modalverben, und vor allem ein paar schwache Verben mit Vokalwechsel: bringen, denken, kennen). Dabei wird regelmäßig alles genannt, wo sich der Vokal nicht ändert, und unregelmäßig, wenn sich der Vokal ändert. Wie Partizip oder Imperativ aussehen, ist dabei egal; die Kategorien stark/schwach werden nicht verwendet.

Ich weiß noch nicht, wie glücklich ich darüber bin.

Nachtrag: An anderer Stelle im Arbeitsheft werden explizit schwache Verben mit regelmäßigen Verben gleichgesetzt. Was für ein Unsinn!

Begleiter

Die englische Grammatik, auch die Schulgrammatik, kennt die Wortart determiner, deutsch: Begleiter. Dazu gehören bestimmter und unbestimmer Artikel, aber auch andere Wörter, eigentlich alles, was hier hineinpasst: the book, a book, my book, your book, this book, that book. Also auch Possessivbegleiter und Demonstrativbegleiter.

In der deutschen Schulgrammatik gibt es das nicht, da gibt es nur Artikel, Demonstrativpronomen und Possessivpronomen. Ob das Demonstrativpronomen als Begleiter verwendet wird (dieses Buch) oder als Pronomen (das wird dir noch leid tun), ist egal, und das Possessivpronomen genannte Wort wird so gut wie nur als Possessivbegleiter verwendet (mein Buch) und kaum mehr als Possessivpronomen (vielleicht: Die Rache ist mein?) – aber die Unterscheidung, für meine 7. Klasse beim Demonstrativpronomen offensichtlich, ist für die Grammatik egal.

Und vielleicht ist sie das auch. Und doch.

Fundstück: Imitation Nation

Der Podcast 99% Invisible ist immer wieder sehr schön, die letzte Folge heißt Imitation Nation: Es geht darin um die immer elaborierten Militär-Übungsstädte, in denen – hier: amerikanisches – Militär auf den Einsatz in einem fremden Land vorbereitet werden soll. Die Gebäude werde teils akribisch nachgebaut, eine Kanalisation angelegt, und was eine immer größere Rolle spielt: die Rollenspieler. Man braucht Leute, die Einheimische spielen. Damit wird zum Beispiel geübt, wie es an einem bewachten Grenzübergang zugeht. Diese NPCs kriegen teilweise eine elaborierte Hintergrundgeschichte (Bürgermeister, heimlich zu den Aufständischen gehörend). Fremdsprachenkenntnis von Vorteil, man muss sie zumindest simulieren können, also für einen amerikanischen Soldaten überzeugend unverständlich reden können.

Wer übernimmt diese Rollen? Gerne Einwanderer und Geflüchtete, die sich teilweise in genau dem simulierten Land wiederfinden, aus dem sie kommen. (Tatsächlich haben die simulierten Städte und Länder alle fiktive Namen.) Das beschäftigt die Identität mancher Teilnehmenden wohl sehr.

Fritz Grünbaum

Zumindest hier in der Gegend dürfte jede Klasse in der Mittelstufe einmal die KZ Gedenkstätte Dachau besuchen. Meine Deutschklasse fährt kommenden Mittwoch. Bei einem Besuch dort hatte ich gesehen, dass der Kabarettist und Conferencier Fritz Grünbaum dort umgebracht wurde. Grünbaum kannte ich von einer Platte, es sind nicht viele Aufnahmen erhalten; auf ihn gekommen bin ich durch Torberg-Lektüre.

Das ist die Platte, die ich habe:

Diese Nummer ist auch drauf:

Alles schon alt, aber ich werde meiner 9. Klasse das vorspielen, ob die an alten Sachen noch etwas lustig finden. Und vor dem Dachau-Besuch wäre es vielleich schön, wenn sie von einem Naziopfer dort schon einmal gehört hätten. Wikipedia hat eine Kategorie mit Häftlingen dort.

Einleitungen in Aufsätzen

Es gibt – noch nicht schon immer – die Textsorte des informierenden Schreibens. Die ist adressatenbezogen, man schreibt aus einem Anlass und für ein Publikum. Im Abitur ist das meist eine Eröffnungsrede zu einer Ausstellung oder ein Vorwort zum Ausstellungskatalog.

Wir bringen unseren Schülern und Schülerinnen aber auch bei, dass Erörterungen schöne Einleitungen haben. Dabei sind die im Abitur nicht adressatenbezogen, ebensowenig wie Interpretationen von Lyrik, Drama oder Epik. Diese Aufsatzarten sind, ahem, „heuristisch“ oder gar „epistemisch-heuristisch“. Sie dienen zur Selbstfindung, zur Bildung der eigenen Meinung und Erkenntnis.

Aber auch da bringen wir bei, erwarten und verlangen eine schöne Einleitung. „Schon der Steinzeitmensch sehnte sich nach der Ferne, und Sehnsucht war zu allen Zeiten ein Thema für die Menschen, besonders in der Epoche der Romantik. So auch in dem Gedicht …. von …, das jetzt zusammengefasst, interpretiert und hinsichtlich Sprache und Motiven analysiert wird, gefolgt von einer Erörterung über die Reisemöglichkeiten des heutigen Menschen.“

Nur bei der Sachtextanalyse, bei der Sachtextanalyse erwarten wir das nicht. Oder doch? Bin das nur ich? Im Abitur gibt es die auch. Sollen Schüler und Schülerinnen da so anfangen:

Toleranz – ein unerwartet schwieriger Begriff, unter dem jeder Mensch vielleicht etwas anderes versteht. Oft gehen die Meinungen an dem Punkt auseinander, inwieweit Toleranz gezeigt werden soll und schlussendlich gezeigt wird, ohne sich im gesamten auf die gleichen Verbote und klaren Gesetzregelungen einigen zu können. Genau um dieses Thema, also grundsätzlich Toleranz, ihr Verständnis davon und die Folgen dieser unterschiedlichen Ansichten geht es auch in … von …, das im Folgenden…

Bin ich der einzige, der das bei der Sachtextanalyse komisch findet? (Und über das: „Im Folgenden werde ich…“ haben Deutschlehrkräfte ohnehin unterschiedliche Meinungen. Ich finde das furchtbar.)

Überhaupt: Wozu diese Einleitungen, wenn es kein Publikum, keinen Anlass gibt? Hilft diese Einleitung tatsächlich beim epistemisch-heuristischen Vorgehen? Stichprobe im Kollegium sagt, ich soll mich nicht so anstellen.


Beitrag veröffentlicht am

in

, ,

Kommentare: 7

Schlagwörter:

Kommentare

7 Antworten zu „KW 03, 2024“

  1. Rebecca

    In Baden-Württemberg sind wir neuerdings gehalten, beim Possessivpronomen zu unterscheiden, ob es Artikel oder Pronomen ist.
    Näheres im Grammatikrahmen auf S. 81
    https://km-bw.de/site/pbs-bw-km-root/get/params_E-1584131295_Dattachment/11930801/2021-04-13-Grammatikrahmen-SCREEN.pdf

  2. Meine ersten beiden Assoziationen bei „Einleitung zum Sachtext“ waren ja der klassische Relotius und das wissenschaftliche Abstract. Also zum Beispiel „Die fünfjährige Marie sang mit kräftiger Stimme ein Lied. Ihre Augen suchten das Feld nach den Eltern ab. Sie sah nichts. Ihre Hände zitterten. Ihr Gang wurde schneller. Währenddessen fuhr auf der Straße daneben ein Traktor zur Demo.“ oder „Der Einsatz von Sus Scrofa in Modellen der empirischen Wahlforschung ist nur ungenügend erforscht. Einzig Disney (1922) widmete sich dem Thema.“
    Bei beidem kann man aber sehen, was die Funktion der Einleitung ist. Sie stellt Kontext her. Das kann emotionaler Kontext wie in der journalistischen Reportage oder das bisherige Forschungsgebiet wie im wissenschaftlichen Text.“
    Ich habe da Wort „Sachtextanalyse“ vermutlich seit 1995 nicht mehr gehört. Vermute aber auch, dass diese nicht im luftleeren Raum stattfindet und es einen Sachkontext gibt, in den man sie einordnen kann. Sprich: Wenn die Einleitung das leistet, dann her damit,

  3. Legen, legte, gelegt. Oder doch liegen, lag, gelegen?

  4. Sabine

    Mir rollt es auch bei “Im Folgenden… etc.” die Zehennägel hoch. Ich bin ja keine Deutschlehrerin, finde aber, ein geschmeidig verfasster Text, der einladend mit einem eleganten Aufmacher beginnt, ist schon ein Wert an sich. So lernt man, sein Publikum nicht mit Banalitäten zu belästigen.

  5. @Rebecca: Das ist sehr interessant, was da zum Begleiter steht. Auch Adjektiv und Adverb habe ich mir angeschaut. Da drückt sich der Text vor einer klaren Aussage wie „Adjektive können auch als Adverbien im Rahmen eines Adverbiale eingesetzt werden,“ wenn man das denn so sehen will. Da steht nur: Attribute eines Satzglieds oder Prädikativ.

    @Southpark: „Vermute aber auch, dass diese nicht im luftleeren Raum stattfindet und es einen Sachkontext gibt, in den man sie einordnen kann.“ Na ja, den unausgesprochenen Kontext, dass man den Text für die bewertende Lehrkraft schreibt, sonst tatsächlich keinen. Aber ja, an sich freue ich mich auch über Einleitungen.

    @Texas-Jim: Vielen Dank, hab’s korrigiert. Ich haderte mit den Beispielen, und das kam dabei heraus.

    @Sabine: „So lernt man, sein Publikum nicht mit Banalitäten zu belästigen.“ Einerseits, ja! Andererseits, wer ist beim heuristisch-epistemischen Schreiben (ich sage das zu gerne) das Publikum, wenn es doch keines gibt`?

  6. Anne Rüsing

    Hier in der Schweiz sieht es so aus: https://sprachtrainer.ch/img/dok/dffbb_gik_wortarten_93.pdf. Ich hadere mit den infiniten Verbformen und den Modi: Wieso nicht den Infinitiv als Nullmodus klassifizieren und die Partizipien als Verbaladjektive? Wäre eine Kategorie weniger zu lernen … Bei den Modi fehlt die Unterscheidung zwischen Realis, Irrealis und Potenzialis, die in der Aufnahmeprüfung für das Fachabitur aber gefragt ist. Soifz! (Ach ja, den Erikativ könnte man entspannungshalber ebenfalls aufnehmen.)

    Und wieso ist „weil“ eine Konjunktion, „deswegen“ aber ein Adverb?

    Die eigentlichen Possessivpronomina kommen gar nicht mehr vor, die Possessivadjektive werden im Deutschen als Pronomina bezeichnet, im Französischunterricht muss ich die Trennung aber machen. Huh? Wa?

    Zur Ehrenrettung des Sprachtrainers https://sprachtrainer.ch: Die Online-Übungen sind zur gezielten Prüfungsvorbereitung ganz nett (und nein, ich bin nicht geschäftlich beteiligt).

    Noch etwas Beifang aus dem Internetz (wahrscheinlich altbekannt) zur Ehrenrettung der Grammatik; https://www.nytimes.com/1984/02/26/books/how-grammar-became-glamour.html
    Herzlich
    a

  7. Grammar und glamour und (für Freunde von Gruselei) grimoire: ja, das wusste ich schon. Aber ich das – fällt mir gerade ein – noch nie in der Schule verwendet, um die Faszination von Grammatik zu erklären… ich glaube, das schien mir hoffnungslos. Aber ich nehme mir es mal vor.
    Ansonsten gilt für die Grammatik: a) wenn‘s den Lernenden hilft, b) wenn es ihnen eine Welt eröffnet, und c) wenn es ihnen später bei anderen Sprachen hilft. Ich bin da eher für viel Grammatik, glaube ich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert