Alleinaufgaben statt Hausaufgaben

(7 Kommentare.)

Die Ausgangsfrage

Anne Roth fragt – im Auftrag – bei Mastodon, was man denn tun könne, wenn eine Lehrkraft behaupte, die Hausaufgabe eines Kindes sei mit ChatGPT gemacht worden und diese werde „deshalb schlecht bewertet“. Die meisten Reaktionen auf diese Frage verwenden Begriffe wie „Beweislast, Betrug, Beweisumkehr, Unschuldsvermutung“, die auf die Situation nicht anwendbar sind, weil sie einer anderen Domäne angehören.

  • Gegen eine Einzelnote kann nicht geklagt werden.
  • Hausaufgaben (im engeren Sinn) dürfen in den meisten, wenn nicht gar allen Bundesländern gar nicht benotet werden.
  • Aber vielleicht ist mit „schlecht bewertet“ auch nur die mündliche Rückmeldung nach dem Vorlesen gemeint und gar keine Note? Wir erfahren es nicht.
  • Vielleicht war es auch keine Hausaufgabe, sondern etwas anderes, das man auch zuhause machen muss, und das benotet werden darf, und das je nach Bundesland unterschiedlich heißt, also quasi Seminararbeit? Wir erfahren es nicht.
  • Hat das Kind nun ChatGPT genutzt oder nicht? Diese Information erhalten wir nicht. War das explizit oder implizit verboten gewesen? Wir erfahren es nicht.

Ob das Kind nun ChatGPT genutzt hat, spielt bei den Reaktionen so gut wie nie eine Rolle. Wichtig ist nur, ob die Lehrkraft das beweisen könne. – Bei ethischen Fragen im Unterricht, also was man darf und was man nicht darf, etwa beim Thema Urheberrecht, ist ein intuitives Argument vieler Schüler und Schülerinnen: Aber wenn man einem das doch gar nicht beweisen kann? Das ist wahr, dann kommt man ungeschoren davon, aber es ist trotzdem (wahrscheinlich) falsch, das zu tun. Diese Ebene des Gerechtigkeitsempfindens sehe ich auch hier.

Natürlich gibt es schlechte Lehrkräfte, und auch solche, die Kinder zu unrecht bezichtigen, wohl meist aus Unsicherheit oder Inkompetenz, sich einen Text schreiben zu lassen, von KI oder anderen. Es gibt aber auch Kinder, die lügen, sogar ihre Eltern belügen. Gerade bei asymmetrischen Machtverhältnisse liegt das Lügen zu nahe, bereit. (Deshalb sollte man in konkreten Fällen stets überlegen, ob man wirklich so fragen soll, dass das Gegenüber zum Lügen gedrängt werden.)

Nebenthema Hausaufgaben

Bald tauchte im Thread das Thema Hausaufgaben auf, hier oft genug behandelt. Für viele sind Hausaufgaben das, wenn das Kind Matherechnungen machen soll und das nicht kann und nicht will. Andere Fälle, wenn das Kind Aufgaben machen kann und will, kriegt man ja meist weniger mit. Genauso wenig repräsentativ ist meine eigene Wahrnehmung: in Sprechstunden höre ich wesentlich öfter die Frage, warum es nur so wenige Hausaufgaben gibt, als dass sich jemand über zu viele davon beklagt.

Dass es andere Hausaufgaben als Rechenaufgaben gibt, ist vielen wohl nicht bewusst. Für mich gehören dazu:

  • Lektüre lesen. Die SuS sollen alleine („als Hausaufgabe“) ein Buch lesen.
  • Aufsatz schreiben. Die SuS sollen alleine („als Hausaufgabe“) einen Aufsatz schreiben.
  • Einen kürzeren Text lesen, eventuell Stellen darin anstreichen.
  • Einen kürzeren Film anschauen, eventuell Stellen darin festhalten. Man sagt dann auch gerne „Flipped Classroom“.
  • Ein Gedicht auswendig lernen.
  • An einer Online-Abstimmung teilnehmen.
  • 11 Euro für die Lektüre mitbringe, die unterschriebene Einverständniserklärung mitbringe, das Buch mitbringen. Das gehört vielleicht nur am Rand zu den Hausaufgaben. Aber sowohl die Probleme als auch die Argumente sind vergleichbar.)

Es wird immer wieder behauptet, es sei wissenschaftlich belegt, dass Hausaufgaben nichts bringen. Man verlinkte dazu einen Artikel. Dem Artikel entnehme ich, dass das so überhaupt nicht stimmt. Jedenfalls wird immer auf eine Studie aus dem Jahr 2008 verwiesen, die das gar nicht sagt und deren Methodik mich wundern lässt. Eine andere Studie aus dem Jahr 2015 sagt allerdings Interessantes:

Nicht die Zeit, die die Lernenden für die Hausaufgaben aufwenden, ist entscheidend, sondern die Motivation, heißt es in der 2015 veröffentlichten Studie. Ob Schülerinnen und Schüler bei ihren Hausaufgaben erfolgreich lernen, hänge damit zusammen, mit wie viel Sorgfalt sie bei der Sache sind und wie effizient sie arbeiten.

Das kann ich mir sehr gut vorstellen, ich will sogar so weit gehen und sagen, dass ich das hätte voraussagen können. Hausaufgaben bringen vor allen denen etwas, die sie richtig erledigen. Und:

Denn vor allem bei den „fleißigen Schnellen“ schlagen sich die Hausaufgaben auch in guten Noten nieder.

(Ein Geheimnis aus der Praxis: Zeugnisnoten spiegeln – sofern sie das überhaupt tun, alter Streit – nur einen kleinen Teil dessen wieder, was in der Schule gelernt wird. Etwas mit der Zeugnisnoten zu begründen, ist eine sehr eingeschränkte Sicht auf Schule, zumindest im Fach Deutsch.)

Man kann also durchaus sagen: Hausaufgaben abschaffen, weil sie manchen Schülerinnen und Schülern nicht gut tun. Möglicherweise ist das sogar ein sinnvolles Vorgehen. Möglicherweise nur bei bestimmten Schularten oder Jahrgangsstufen. Aber man kann nicht so tun, als wäre das für alle gleichermaßen ein Gewinn, und als sei das wissenschaftlich auch noch belegt. Laut Hattie bringen Hausaufgaben in der Grundschule in der Tat wenig, und danach mit fortschreitenden Jahrgangsstufen immer mehr.

Wie eingeschränkt die Vorstellung von Hausaufgaben ist, sieht man auch an einem Kommentar unter dem Artikel:

Für Klausuren o.ä. Muss ohnehin zu Hause gelernt werden. Damit hat man ohnehin schon „Schularbeit“ zu Hause.

Das Lernen zu Haus ist doch eine Form von Hausaufgaben? Oder nicht? Dann reden ständig alle aneinander vorbei. Deshalb schlage ich den Begriff „Alleinarbeiten“ vor.

Umfrage zu Alleinarbeiten

Ich habe bei Maston folgende Umfrage erstellt. Den Begriff „Alleinarbeiten“ halte ich für hilfreich, weil diejenigen, die Hausaufgaben abschaffen wollen, tatsächlich mal Option 1, mal Option 2 und mal Option 3 meinen:

Meine eigene Meinung dazu:

(1) Auf Alleinarbeiten ganz zu verzichten, halte ich für einen Fehler.

(2) Alleinarbeiten in den Nachmittag in der Schule zu legen, wo Rat und Hilfe eingeholt werden kann und für alle die gleiche Arbeitsausstattung da ist, also Ganztagsschule, halte ich für sinnvoll. Das ist teuer und schränkt die Freizeitgestaltung junger Menschen ein, ist aber sozial gerechter. Bliebe noch zu entscheiden, ob der nachmittägliche Aufenthalt in der Schule optional sein sollte oder – dann doch eher – für alle verpflichtend.

(3) Alle Alleinarbeiten auf den Vormittag zu legen und die Nachmittage ganz freizugeben, halte ich erstens für sozial ungerecht. Der Landesschülerausschuss in Berlin war zwar gegen Hausaufgaben, „weil durch die Hausaufgaben am Nachmittag kaum noch Zeit bleibt, um in einem Sportverein zu trainieren oder um ein Instrument zu lernen“, aber ich glaube nicht, dass so viele Schülerinnen und Schüler dann nachmittags die Zeit fürs Geigespiel oder den Reitstall nutzen würden. Zweitens glaube ich, dass mehr Zeit für das Lernen verwendet werden sollte als nur der Vormittag, weil es so viel zu lernen gibt.

(4) Das bisherige Modell ist tatsächlich sozial ungerecht, weil nicht alle die gleichen Arbeitsbedingungen zuhause haben. Es bevorzugt außerdem die klugen und fleißigen Schüler und Schülerinnen. Ob man das möchte oder nicht, ist eine Abwägungsfrage, und gar keine leichte.

Wieso fordert fast niemand sinnvolle Hausaufgaben, sondern es geht immer gleich um die Abschaffung? Hat man einfach keine Hoffnung auf Verbesserung mehr? Oder ist das analog zum Wunsch zu sehen, die zweite Fremdsprache am Gymnasium abzuschaffen, also einfach Erleichterung?


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7 Antworten zu „Alleinaufgaben statt Hausaufgaben“

  1. Poupou

    Interessant wäre, ob die Antworten mit dem Vorhandensein von Ganztagsbetreuung (Schule oder Hort) korrelieren. Also quasi welche Rahmenbedingungen die Antwortenden für die „normalen“ halten. Das brandenburgische oder Berliner Normal ist m.E. ein anderes als das bayrische. Meine These: hier wurde das angeklickt, was die Antwortenden für den Normalzustand halten („es soll so bleiben wie es ist“). Beweis habe ich dafür natürlich keinen.

    LG
    Poupou

  2. Vermutlich, aber das gilt für alle Ansichten: Es gefällt einem meist doch eher so, wie es ist. Wenn ich SuS frage: Mehr Prüfungen oder weniger, dann finden die meist die aktuelle Zahl immer ideal.

    Dazu kommt wohl noch: Wer in einem System als Schüler oder Schülerin selber gute Erfahrungen gemacht hat, wird weniger für Reform sein als jemand, dem das System nicht gepasst hat.

  3. […] Herr Rau zum Thema Hausaufgaben und Alleinaufgaben. Ich bin aus dem Thema ja schon länger raus und gehörte eh zur nur wenig von Hausaufgaben betroffenen Fraktion „schnell & faul“, kann das interessiert als Außenstehender lesen: Alleinaufgaben statt Hausaufgaben […]

  4. Sehr interessante und differenzierte Gedanken zu einem hoch umstrittenen Thema. Ich arbeite ja an einer Schulart, an der es nur noch wenige bis keine Hausaufgaben gibt. Ich habe dazu ambivalente Gedanken. Dass Lernen im Sinne von „Ich befasse mich (vielleicht nicht immer ganz freiwillig) mit neuen Dingen“ nicht allein in der Schule stattfindet, ist eine Binsenweisheit. Vielleicht ist die Frage vielmehr: Kann man als Lehrkraft oder schulische Institution Kinder und Jugendliche dazu motivieren bzw. zu der Einsicht führen, dass dieses Lernen eine gewisse Kontinuität benötigt? Ich glaube tatsächlich, besonders aus der Erfahrung der gebundenen Ganztagsschule heraus, dass es Zeiten braucht, in denen man sich ganz alleine und konzentriert Sachverhalten widmen können sollte. Das muss man – wie Fahrradfahren – üben. Dazu müsste man sich Gedanken machen, wo und wann es diese Zeiten geben kann. Der Idealfall mögen Eltern sein, die sich ihre Arbeitszeiten so aufteilen, dass Zeit für die Phase bleibt, in denen Kinder an dieses „Alleine arbeiten“ herangeführt werden. Wenn Schule das alles übernehmen soll, müssen wir uns Gedanken darüber machen, woher all das Betreuungspersonal kommen soll und wer es dann bezahlt… (Das Thema „Betrug“ steht auf einem anderen Blatt. Ich denke, es liegt in der menschlichen Natur, es sich so leicht wie möglich zu machen. Dass man sich dabei auch selbst belügt, zeigt sich sehr sicher, irgendwann im Ergebnis.)

  5. Vielen Dank für die Rückmeldung und Ergänzung, Susanne. Ja, das Alleinarbeiten muss passend geübt werden. Aber eher in einem Fach anhand konkreter Aufgaben als in einem abstrakten Lernen lernen. (Nur dass sich da halt wieder niemand dafür verantwortlich fühlt.)

  6. Carsten

    An unserer Schule (Montessori, Sekundar, Hessen) haben wir uns natürlich schon mit der Bewertbarkeit schriftlicher Leistungen beschäftigt, die zwar allein angefertigt werden sollen, aber für die man keine Garantie haben kann, dass sie auch wirklich alleine (oder mit Elternhilfe bzw. KI) angefertigt wurden. Für manche Leistungen (Aufsätze zu Vertiefungsthemen) wurde vom Kollegium entschieden, diese nicht mehr zu bewerten oder sie ausschließlich im Unterricht unter Aufsicht und ohne Onlinenutzung erstellen zu lassen. Da schon bisher ohne KI nie eine Gewissheit über den wirklichen Autoren bestehen konnte, war das nur konsequent. Bei der Bewertung in projektorientiertem Unterricht wurde stattdessen die Vollständigkeit der Materialien und die mündliche Beteiligung Oder Lernzielkontrollen stärker gewichtet und eine persönliche Lernreflexion eingefordert, die eine KI nicht wirklich leisten kann. Ob (zum Beispiel in den Fremdsprachen) eine KI oder Google Translate benutzt wurde, ist teilweise einfach nicht mehr feststellbar, nachdem es bereits KI-Tools gibt, die KI-generierte Texte künstlich mit Fehlern versehen.
    Bei Präsentationen entlarven meist die Fragen von Mitschülern oder LuL, ob sich jemand wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt hat oder nur noch heiße Luft kommt. Diese sind also essenziell.

  7. Ja, wie Schule und Uni bei Prüfungen damit umgehen, dass jetzt alle sich einen Text schreiben lassen können, das weiß ich auch nicht. Da Hausaufgaben im engeren Sinn in der Schule nicht benotet werden, ist das erst einmal kein so drängenes Problem – von Portfolios und ähnlichem abgesehen. Da gefällt mir der Gedanke, Vollständigkeit zu bewerten, sehr; daran mangelt es oft. Und halt mündliche Prüfungen.

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