Die Ausgangsfrage
Anne Roth fragt – im Auftrag – bei Mastodon, was man denn tun könne, wenn eine Lehrkraft behaupte, die Hausaufgabe eines Kindes sei mit ChatGPT gemacht worden und diese werde „deshalb schlecht bewertet“. Die meisten Reaktionen auf diese Frage verwenden Begriffe wie „Beweislast, Betrug, Beweisumkehr, Unschuldsvermutung“, die auf die Situation nicht anwendbar sind, weil sie einer anderen Domäne angehören.
- Gegen eine Einzelnote kann nicht geklagt werden.
- Hausaufgaben (im engeren Sinn) dürfen in den meisten, wenn nicht gar allen Bundesländern gar nicht benotet werden.
- Aber vielleicht ist mit „schlecht bewertet“ auch nur die mündliche Rückmeldung nach dem Vorlesen gemeint und gar keine Note? Wir erfahren es nicht.
- Vielleicht war es auch keine Hausaufgabe, sondern etwas anderes, das man auch zuhause machen muss, und das benotet werden darf, und das je nach Bundesland unterschiedlich heißt, also quasi Seminararbeit? Wir erfahren es nicht.
- Hat das Kind nun ChatGPT genutzt oder nicht? Diese Information erhalten wir nicht. War das explizit oder implizit verboten gewesen? Wir erfahren es nicht.
Ob das Kind nun ChatGPT genutzt hat, spielt bei den Reaktionen so gut wie nie eine Rolle. Wichtig ist nur, ob die Lehrkraft das beweisen könne. – Bei ethischen Fragen im Unterricht, also was man darf und was man nicht darf, etwa beim Thema Urheberrecht, ist ein intuitives Argument vieler Schüler und Schülerinnen: Aber wenn man einem das doch gar nicht beweisen kann? Das ist wahr, dann kommt man ungeschoren davon, aber es ist trotzdem (wahrscheinlich) falsch, das zu tun. Diese Ebene des Gerechtigkeitsempfindens sehe ich auch hier.
Natürlich gibt es schlechte Lehrkräfte, und auch solche, die Kinder zu unrecht bezichtigen, wohl meist aus Unsicherheit oder Inkompetenz, sich einen Text schreiben zu lassen, von KI oder anderen. Es gibt aber auch Kinder, die lügen, sogar ihre Eltern belügen. Gerade bei asymmetrischen Machtverhältnisse liegt das Lügen zu nahe, bereit. (Deshalb sollte man in konkreten Fällen stets überlegen, ob man wirklich so fragen soll, dass das Gegenüber zum Lügen gedrängt werden.)
Nebenthema Hausaufgaben
Bald tauchte im Thread das Thema Hausaufgaben auf, hier oft genug behandelt. Für viele sind Hausaufgaben das, wenn das Kind Matherechnungen machen soll und das nicht kann und nicht will. Andere Fälle, wenn das Kind Aufgaben machen kann und will, kriegt man ja meist weniger mit. Genauso wenig repräsentativ ist meine eigene Wahrnehmung: in Sprechstunden höre ich wesentlich öfter die Frage, warum es nur so wenige Hausaufgaben gibt, als dass sich jemand über zu viele davon beklagt.
Dass es andere Hausaufgaben als Rechenaufgaben gibt, ist vielen wohl nicht bewusst. Für mich gehören dazu:
- Lektüre lesen. Die SuS sollen alleine („als Hausaufgabe“) ein Buch lesen.
- Aufsatz schreiben. Die SuS sollen alleine („als Hausaufgabe“) einen Aufsatz schreiben.
- Einen kürzeren Text lesen, eventuell Stellen darin anstreichen.
- Einen kürzeren Film anschauen, eventuell Stellen darin festhalten. Man sagt dann auch gerne „Flipped Classroom“.
- Ein Gedicht auswendig lernen.
- An einer Online-Abstimmung teilnehmen.
- 11 Euro für die Lektüre mitbringe, die unterschriebene Einverständniserklärung mitbringe, das Buch mitbringen. Das gehört vielleicht nur am Rand zu den Hausaufgaben. Aber sowohl die Probleme als auch die Argumente sind vergleichbar.)
Es wird immer wieder behauptet, es sei wissenschaftlich belegt, dass Hausaufgaben nichts bringen. Man verlinkte dazu einen Artikel. Dem Artikel entnehme ich, dass das so überhaupt nicht stimmt. Jedenfalls wird immer auf eine Studie aus dem Jahr 2008 verwiesen, die das gar nicht sagt und deren Methodik mich wundern lässt. Eine andere Studie aus dem Jahr 2015 sagt allerdings Interessantes:
Nicht die Zeit, die die Lernenden für die Hausaufgaben aufwenden, ist entscheidend, sondern die Motivation, heißt es in der 2015 veröffentlichten Studie. Ob Schülerinnen und Schüler bei ihren Hausaufgaben erfolgreich lernen, hänge damit zusammen, mit wie viel Sorgfalt sie bei der Sache sind und wie effizient sie arbeiten.
Das kann ich mir sehr gut vorstellen, ich will sogar so weit gehen und sagen, dass ich das hätte voraussagen können. Hausaufgaben bringen vor allen denen etwas, die sie richtig erledigen. Und:
Denn vor allem bei den „fleißigen Schnellen“ schlagen sich die Hausaufgaben auch in guten Noten nieder.
(Ein Geheimnis aus der Praxis: Zeugnisnoten spiegeln – sofern sie das überhaupt tun, alter Streit – nur einen kleinen Teil dessen wieder, was in der Schule gelernt wird. Etwas mit der Zeugnisnoten zu begründen, ist eine sehr eingeschränkte Sicht auf Schule, zumindest im Fach Deutsch.)
Man kann also durchaus sagen: Hausaufgaben abschaffen, weil sie manchen Schülerinnen und Schülern nicht gut tun. Möglicherweise ist das sogar ein sinnvolles Vorgehen. Möglicherweise nur bei bestimmten Schularten oder Jahrgangsstufen. Aber man kann nicht so tun, als wäre das für alle gleichermaßen ein Gewinn, und als sei das wissenschaftlich auch noch belegt. Laut Hattie bringen Hausaufgaben in der Grundschule in der Tat wenig, und danach mit fortschreitenden Jahrgangsstufen immer mehr.
Wie eingeschränkt die Vorstellung von Hausaufgaben ist, sieht man auch an einem Kommentar unter dem Artikel:
Für Klausuren o.ä. Muss ohnehin zu Hause gelernt werden. Damit hat man ohnehin schon „Schularbeit“ zu Hause.
Das Lernen zu Haus ist doch eine Form von Hausaufgaben? Oder nicht? Dann reden ständig alle aneinander vorbei. Deshalb schlage ich den Begriff „Alleinarbeiten“ vor.
Umfrage zu Alleinarbeiten
Ich habe bei Maston folgende Umfrage erstellt. Den Begriff „Alleinarbeiten“ halte ich für hilfreich, weil diejenigen, die Hausaufgaben abschaffen wollen, tatsächlich mal Option 1, mal Option 2 und mal Option 3 meinen:

Meine eigene Meinung dazu:
(1) Auf Alleinarbeiten ganz zu verzichten, halte ich für einen Fehler.
(2) Alleinarbeiten in den Nachmittag in der Schule zu legen, wo Rat und Hilfe eingeholt werden kann und für alle die gleiche Arbeitsausstattung da ist, also Ganztagsschule, halte ich für sinnvoll. Das ist teuer und schränkt die Freizeitgestaltung junger Menschen ein, ist aber sozial gerechter. Bliebe noch zu entscheiden, ob der nachmittägliche Aufenthalt in der Schule optional sein sollte oder – dann doch eher – für alle verpflichtend.
(3) Alle Alleinarbeiten auf den Vormittag zu legen und die Nachmittage ganz freizugeben, halte ich erstens für sozial ungerecht. Der Landesschülerausschuss in Berlin war zwar gegen Hausaufgaben, „weil durch die Hausaufgaben am Nachmittag kaum noch Zeit bleibt, um in einem Sportverein zu trainieren oder um ein Instrument zu lernen“, aber ich glaube nicht, dass so viele Schülerinnen und Schüler dann nachmittags die Zeit fürs Geigespiel oder den Reitstall nutzen würden. Zweitens glaube ich, dass mehr Zeit für das Lernen verwendet werden sollte als nur der Vormittag, weil es so viel zu lernen gibt.
(4) Das bisherige Modell ist tatsächlich sozial ungerecht, weil nicht alle die gleichen Arbeitsbedingungen zuhause haben. Es bevorzugt außerdem die klugen und fleißigen Schüler und Schülerinnen. Ob man das möchte oder nicht, ist eine Abwägungsfrage, und gar keine leichte.
Wieso fordert fast niemand sinnvolle Hausaufgaben, sondern es geht immer gleich um die Abschaffung? Hat man einfach keine Hoffnung auf Verbesserung mehr? Oder ist das analog zum Wunsch zu sehen, die zweite Fremdsprache am Gymnasium abzuschaffen, also einfach Erleichterung?
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