Zweierlei Twitter

(20 Kommentare.)

Vorgestern stellte ich auf Twitter eine Frage zu einem Thema, das mich interessierte:

Und im Lauf des Tages kamen nach und nach viele bereichernde Antworten aus verschiedenen Perspektiven. Das hat mich sehr gefreut. Also erstens die Antworten, und zweitens der Ton: Es blieb freundlich, wenn auch nicht ohne Differenzen, aber ohne Vorwürfe und Besserwisserei. Nur ganz am Ende wollte partout jemand – keine Lehrkraft – mir erklären, aber auch dass im höflichen Rahmen, dass das doch ganz einfach ginge, weil… ganz einfach ist selten etwas.

Mein Tweet beschreibt meine ehrlichen Reaktionen auf die Frage, und ich glaube, die wird von vielen Gymnasiallehrkräften geteilt. Zuerst ist da schon etwas Dünkel: Haben wir noch nie gemacht, wo kämen wir da hin, ist unnötig, bin ich der Sekretär – aber vermutlich steckt dahinter ganz viel von: was soll ich denn noch alles machen? Ich halte all das für absolut legitim und sogar für die richtige Vorgehensweise, wenn irgendwelche Neuerungen vorgeschlagen werden, weil es davon sehr viele gibt.* Aber man darf bei dieser Reaktion nicht stehenbleiben, sondern muss der neuen Idee schon auch eine Chance geben und über sie nachdenken. Wenn die Hausaufgaben irgendwo online stünden, das hätte schon auch Vorteile, für alle Parteien, das kann man nicht leugnen. Viele davon stehen in den Twitter-Antworten. Es gibt eigentlich nur zwei potentielle Nachteile, die kann man allerdings auch nicht leugnen: Es ist erstens zusätzliche Arbeit für die Lehrkraft. Wenn man zweitens nicht mehr von den Schülern und Schülerinnen verlangt, ihre Hausaufgaben selbst zu verwalten, erlernen sie nicht das selbständige Verwalten und Erledigen von Aufgaben.

Meine Gedanken dazu, angeregt durch die Twitter-Kommentare:

  • Lernen die SuS wirklich so viel Selbständigkeit mit dem Hausaufgabenheft? Das müsste man zumindest diskutieren, und auch, ob es nicht reicht, wenn sie die später lernen. Tatsächlich haben manche die bis zum Abitur nicht erlernt, zu prüfen wäre, was sich ändern würde, notierte man die Hausaufgabenstellung für die SuS.
  • Zusätzliche Arbeit für die Lehrkraft: Ist so, und solange das so ist, ist das ein Problem. Man kann diese zusätzliche Arbeit minimieren durch eine geeignete Software- und Gerätestruktur oder eine Änderung der eigenen Unterrichtsvorbereitung – das sind aber alles große Schritte und nichts für einfach nebenbei.
  • Man muss also weg von dem Gedanken, dass das aktuell vielleicht nicht gut leistbar ist, hin zu: wenn es ginge, wäre es sinnvoll?
  • Ich finde inzwischen: ja. Ich gebe die Hausaufgaben ja zu einem Zweck und möchte, dass sie erledigt werden. Das ist mir wichtiger als die ominöse Selbständigkeit.
  • Zur Erinnerung: Die Infrastruktur und eine Lösung für die zusätzliche Arbeit vorausgesetzt.
  • Am liebsten würde ich so unterrichten: Am Vorabend schreibe ich in meinen Onlinekurs den Arbeitsauftrag für die Doppelstunde, mit Material und allem. Wenn ich Ausfrage, dann auch gleich mit den Fragen, die ich stelle. Die Stunde selber beginnt dann nach der Begrüßung oder auch schon davor mit dem selbstständigen Arbeiten. Ansonsten bin ich präsent, und in der zweiten Hälfte der Stunde ist dann Raum für Unterrichtsgespräch. Die Hausaufgabe steht dann auch online, die schreibe ich gegen Ende der Stunde dort auf. (Vorher geht schlecht, weil die Aufgabe ja auch vom Verlauf der Doppelstunde abhängt. Ich unterrichte Menschen, nicht Maschinen.)
  • Demnach wären die Hausaufgaben online, was wirklich praktisch für viele Schüler und Schülerinnen ist. Aber ie wären je Fach an einem eigenen Punkt. Eine zentrale Anlaufstelle für „Alle Hausaufgaben auf einen Blick“ möchte ich tatsächlich nicht – wegen der Eigenverantwortung. Wer mag, kann ja am Ende der Stunde die Hausaufgabe selber anderswo notieren.
  • Eine gar nicht so ungeschickte Zwischenlösung: Ja, Hausaufgabe online für Eltern als Erinnerung einsehbar machen, aber nur hinschreiben: „Siehe Hausaufgabenheft.“

(Auf Twitter war man so nett, meinem Wunsch nachzukommen, nicht die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben zu diskutieren. Das ist ein anderes Thema, nur kurz: Bin für Hausaufgaben. Diskutiere gerne darüber, in einem anderen Blogeintrag, weil man viel Unsinn dazu liest.)


Das war das eine Twitter. Das andere… ich fragte mich neulich, wo die ganzen Besserwisser und Lehrerbelehrer im Kollegium hin sind. Jetzt weiß ich es: die sind auf Twitter und erklären uns am Gymnasium, was wir alles falsch machen.*

Schreibt der stellvertretende Vorsitzende der GEW Bayern. (In den letzten zwei Tagen hatte er einen Lauf. Mantel des Schweigens.) „Macht mal locker bitte“ impliziert, dass die Lehrkräfte am Gymnasium gerne Noten geben, und gerne Notenstress machen, und das alles vermeiden können, wenn sie einfach lockerer wären. So locker wie die Kollegen und Kolleginnen an anderen Schularten, heißt das dann wohl? Ich habe ja eine Beißhemmung, den anderen Schularten zu erklären, was sie alles falsch machen, weil dann wieder auf die arroganten Gymnasialkräfte eingeprügelt wird; andersherum gibt es das nicht. Das ist ein wenig… asymmetrisch.

Locker machen: So war das Gymnasium meiner Schulzeit. Da möchte ich tatsächlich wieder hin! Noten gab es nach Gefühl, hat immer gepasst, weil Gefühl gar nicht so schlecht; besser als das Punktezählen jedenfalls. Lehrplan war auch nur so halbwichtig. Aber die Eltern und ihre Anwälte wollen das nicht, haben ja auch nicht ganz unrecht. Ein System muss sich überlegen, wo genau es sich auf dem Spektrum zwischen extremer Bürokratie auf der einen Seite über Lockerheit und Beliebigkeit bis zur Korruption im anderen Extrem positioniert. Da wünschen sich Leute, dass „gerade bei der Pflichtgehorsamkeit viel öfter ein wenig ‚lockerer gemacht‘ werden würde.“ Was immer das heißt, es klingt nicht nach Vereinbarkeit mit meinem Diensteid.

Locker machen: So war das noch in meinem Referendariat. Drei mündliche Noten pro Halbjahr als Pflicht („mündlich“ Fachausdruck, lange Geschichte), ich habe sie gemeinsam mit meiner Betreuungslehrkraft erfunden. Da möchte ich tatsächlich wieder hin! Noten gab es nach Gefühl, hat immer gepasst, weil Gefühl gar nicht so schlecht; besser als das Punktezählen jedenfalls. Ist das okay mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der GEW? Mit dem Landeselternverband?

Locker machen: So war das noch mit den Kollegen, die vor zehn, zwanzig Jahren pensioniert wurden. Alte Haudegen, Alt-68er, gerne so Deutsch-Geschichte-Sozialkunde. Schulaufgaben (größere schriftliche Prüfungen) wurden spontan geschrieben, kurz gehalten, über Nacht und recht oberflächlich korrigiert. Lehrplan auch eher egal. Mitreißende oder zumindest emphatische Reden in den Konferenzen Gestern erst wurde im Kollegium in einem Gespräch dieser Generation nachgetrauert, wenn auch nicht von mir. Möchte ich dahin zurück? Vielleicht. Darf ich?

Locker machen: Ich breche und biege Vorschriften ständig, und mit einem gewissen diebischen Vergnügen daran, aber mit Augenmaß und wenn es nötig ist. Eine gleichermaßen große Freude bereitet es mir allerdings, Vorschriften zu kennen (Schulrecht, so schön!) und einzuhalten. Beamter, Diensteid, Aufrechterhaltung der Zivilisation und so. Pauschal von allen Gymnasialkräften Lockerheit zu fordern, ist unangemessen. Ich bin übrigens nie locker, aber fast immer entspannt.

Noten geben ist das, was ich am wenigstens gern in meinem Beruf mache. Selbst schriftliche Korrekturen wären viel leichter, wenn ich einfach nur kommentieren könnte statt mich begründet und gerichtsfest auf eine Note festzulegen. Ich betrachte das viele Geld, das ich kriege, als Schmerzensgeld für diese Notengeberei. (Heißt das dann, dass weniger Geld okay ist, wenn man sich dafür mehr locker machen kann? So wie in anderen Schularten, anscheinend? Das würde manches erklären.)

Zumal der Notenstress, wenn es ihn denn gibt, und das ist wieder ein anderes Thema, ja nicht von den Lehrkräften kommt, sondern vom Gesetzgeber, also vom Wählerwillen, und von den Eltern. Gibt es bei euch auch viermal im Jahr einen kleinen Notenschluss, weil dreimal Mitteilungen über den aktuellen Notenstand und einmal Jahreszeugnis? Und Klagen darüber, wenn da keine aussagekräftigen Noten drinstehen? Keine Prüfungen an den ersten Tagen nach den Ferien? Nicht am Nachmittag, nicht in der 6. Stunde? Man könnte diesen schönen Fragebogen noch erweitern:

Die Frage, ob Schüler und Schülerinnen („kids“) sich einen Lockdown wünschen und aus welchen Gründen, ob sie zuviel Prüfungen ausgesetzt sind, ist eine sinnvolle und wichtige Frage. Aber einfach mal locker ist keine Antwort darauf.

*) Anderer Tweet neulich: „Liebes #twlz Mein subjektiver Eindruck ist, dass Kolleg:innen am Gymnasium konservativer gegenüber pädagogischen Reformen eingestellt sind als solche an Gemeinschaftsschule-/Gesamtschulen. Was denkt ihr und welche Gründe könnte dies haben?“ Das ist etwas dran, aber es war dann leider auch ein Lehrerbelehrer ohne echtes Interesse an einer Antwort.


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20 Antworten zu „Zweierlei Twitter“

  1. Ich weiß, ich gehöre einer alten Generation an, bei der alles ganz anders und mit heute nicht vergleichbar war, aber für mich war es überlebenswichtig, dass ich meine Hausaufgaben allein erledigte und meine Eltern sich nicht darum kümmern mussten. Wenn die mir auf die Finger geschaut hätten, wären die mir doch sofort auf die ganzen krummen Touren gekommen, mit denen ich mir das Schulleben erleichtert habe.

  2. Christine

    Eventuell bedenkenswert, dass heute auf Grund der Zeitläufte (berufstätige Mütter, hohe Scheidungsrate, Üblichkeit von Kinderbeaufsichtigungsinstitutionen etc.) die faktische und emotionale Distanz zwischen Kindern und Eltern wächst. Online gestellte Hausaufgaben ermöglichen es Eltern (versetzen die Eltern auch in eine Verantwortung), sich um die Hausaufgaben der Kinder zu kümmern. Das verlagert vielleicht Erziehungsverantwortung wieder rück von der Schule auf das Elternhaus, was eine begrüßenswerte Entwicklung wäre. – Eine andere Frage ist, wie sinnvoll Hausaufgaben im konventionellen Sinne überhaupt sind, insbesondere ab der Mittelstufe.

  3. @Chris Für manche Schüler und Schülerinnen ist das eine schöne Möglichkeit, sich von den Eltern zu emanzipieren, gerne auch mit Trickserei. Manchen gut das gut, anderen nicht. :-)

    @Christine Verantwortung für die Erziehung, gute Frage. Wieviel das dazu beiträgt, da bin ich skeptisch, muss darüber nachdenken.
    „Eine andere Frage ist, wie sinnvoll Hausaufgaben im konventionellen Sinne überhaupt sind, insbesondere ab der Mittelstufe.“
    Eine Frage, die ich gerne vermieden hätte. Ich weiß schon mal nicht, was Hausaufgaben im konventionellen Sinn sind – die, die man selber als Schüler:in ungern gemacht hat? Wie viele Hausaufgaben im konventionellen Sinn gibt es überhaupt? Mein Fazit, insbesondere ab der Mittelstufe: Wenn keine Ganztagsschule, dann müssen die Schüler:innen nachmittags etwas für die Schule tun. Wenn man dafür ein anderes Wort einführen möchte als Hausaufgaben, von mir aus.

  4. Ich lese erstaunt Deine Schilderung vom heutigen Schulalltag. Kann es sein, dass sich wirklich so vieles verändert hat? War es tatsächlich in meiner Schulzeit komplett anders? Ich kann ganz Vieles davon nicht nachvollziehen, schlicht, weil ich keine aktuelle Erfahrung damit habe.
    Wenn ich jetzt behaupte, es müsse möglich sein, die Hausaufgaben selbständig und ohne Hinterlegung der Aufgabenstellung im Netz zu bewältigen, kommt das aus meinem völlig subjektiv veralteten Erleben meines eigenen Schuldaseins. Aus dieser Perspektive glaube ich übrigens nicht, dass sich emotionale Distanz mittels Hausaufgabenüberwachung beheben lässt und damit der Erziehungsauftrag an die Eltern zurückgegeben ist, Christine. Das Gegenteil dürfte wahrscheinlicher sein. Wenn die Distanz durch Berufstätigkeit etc. entsteht, ist da schlicht keine Zeit für Hausaufgabenüberwachung, auch dann nicht, wenn sie online einsehbar sind. Und emotionale Distanz sollte besser mit einem anderen Thema als Hausaufgaben überwunden werden.

  5. Sabine

    Ich wäre ja auch sehr an deinem Blogartikel über die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben interessiert. Und können wir darüber reden, welche Hausaufgaben sinnvoll und welche weniger sinnvoll sind? Wie die Korrektur dann erfolgen soll?

    Aber darum sollte es ja nicht gehen. Der Fragebogen ist wunderschön und trifft sehr gut die große Verunsicherung gepaart mit Anspruchshaltung, die unter der Elternschaft gerade zu herrschen scheint. Ich bin ja erstmals seit 2006 nicht mehr als Elternteil betroffen, gehörte aber da zu der Fraktion, die die Hausaufgaben den Kindern überlassen hat, oder wollte – das eine bizarre Kind wollte vor allem in der Grundschule zwar die Hausaufgaben gerne haben, sie aber um keinen Preis machen, so dass dazwischen selbstzerfleischende Wutanfälle lagen. Also waren doch die Eltern gefragt. Insgesamt haben unsere Kinder aber wohl eher eine unterdurchschnittliche Hausaufgabenmoral gehabt.

    Da ist klar, dass ich als Lehrerin innerlich (hoffentlich nur!) die Augen rolle, wenn Eltern darum bitten, doch die Aufgaben auf Mebis zu stellen, damit “wir sehen, was zu tun ist und was wir lernen sollen.” Das entspricht nicht meinem Naturell und der daraus abgeleiteten Philosophie. Und eben, die Arbeit.

    Andererseits ist es schon auch praktisch für mich und pädagogisch und didaktisch sinnvoll, die 1:1-Überprüfung machen und entsprechend Rückmeldung geben zu können. Audio-Abgaben! Kreative Schreibaufgaben, die ich einzeln würdigen kann ohne Hefte zu schleppen und ohne dass missgünstige Nachbarn sie sehen! Automatische Auswertungen! Ich gehe da jetzt so ran, dass ich es sukzessive aufbaue, H5Ps und Ähnliches mit Kollegen und Kolleginnen Austausche und hoffe, in ein paar Jahren eine schöne, leicht in Checklisten umsetzbare Sammlung zu haben. Quasi ein Online-Workbook.

  6. […] machen das, nötig ist es aber eigentlich nicht mehr. Der geschätzte Kollege Thomas Rau hat sich in seinem Blog gerade mit dem Thema befasst und natürlich trifft das Argument schon zu, dass wir es den Schüler*innen damit schon sehr leicht […]

  7. Liltaith

    In meiner Klasse gibt es einen HA-Dienst, der die HA für die nächste Stunde im Klassenstream notiert. Dann können kranke / quarantänierte Schülerinnen und Schüler auf die HA zugreifen. Natürlich funktioniert das mal besser, mal schlechter. Aber als Lehrer gibts nicht mehr Arbeit.

    Meine Arbeitsabläufe habe ich insofern verändert, als dass ich Tafelanschriebe und erledigte Aufgaben sowie ABs in den Online-Klassenraum stelle, so dass man immer drauf zugreifen kann. Ich handhabe das seit letztem Jahr so und mit der bequemen Kopierfunktion kann ich Stunden vom letzten Jahr einfach erneut ansetzen und auf die Klasse anpassen.

    Ob das in Mebis so einfach umzusetzen ist, kann ich allerdings nicht beurteilen.

  8. @Frau Klugscheisser
    Du und ich, wir hatten das mit den Hausaufgaben wohl im Griff (und haben sie manchmal vergessen und manchmal gemacht und manchmal nicht), und das gilt für den Großteil der Schüler und Schülerinnen heute auch. Die sind übrigen alright, hier an meiner Schule. Gab es zu unserer Schulzeit welche, die das nicht geschafft und darunter gelitten haben? Ich weiß es nicht, aber es gibt heute mehr SuS als vor zwanzig Jahren, die das mit den Hausaufgaben nicht mitkriegen – aber immer noch wenige. Heute gehen 40% eines Jahrgangs aufs Gymnasium: der Anteil an ADHS, an Personen im Autismusspektrum ist gestiegen. Und unabhängig davon die Anspruchshaltung, oder freundlicher: das Interesse der Eltern.

    @Sabine: Blogartikel über die Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben – ist notiert, wird aber dauern, außer bei Twitter schreibt wieder jemand was Dummes. :-)
    „Quasi ein Online-Workbook.“ Genau.

    @Liltaith
    HA von SuS notieren lassen – technisch kein Problem, auch wenn es da WLAN und Geräte braucht. Aber daran sollte es nicht scheitern, die braucht es früher oder später ohnehin. In ein Hausaufgabenheft wird dann nichts mehr diktiert, weil es ja den Stream gibt?
    „Meine Arbeitsabläufe habe ich insofern verändert“ In irgendeiner Form wird das für alle Lehrkräfte der Fall sein in Zukunft. Wie genau, da sehe ich dann wieder Spielraum.

  9. Hausaufgaben online praktiziere ich tatsächlich gelegentlich. Allerdings dann immer nur in einer Klasse – und wenn ich es für sinnvoll halte. Aktuell habe ich eine Neunte, die sich langsam an Mebis gewöhnen muss, weil sie die Jahre über nie irgendetwas damit angefangen hat. Daher habe ich einen Kurs eingerichtet, in dem sie sämtliche Materialien finden sowie Online-Übungen… und eben die Hausaufgabe. Ich verspreche mir ein paar Vorteile davon:
    – die Klasse lernt regelmäßig dort vorbeizusehen und ritualisiert die Handgriffe.
    – ich kann eine Unterrichtsstunde bis zum Ende durchziehen und verliere keine wertvolle Zeit beim Diktieren von Hausaufgaben.
    – Ich kann mich in aller Ruhe hinsetzen und noch einmal rekapitulieren, was die Klasse als Hausaufgabe machen soll. Im Eifer des Gefechts (huch, es hat ja gegongt, schnell Hausaufgabe anschreiben!).
    – Jeder weiß immer, was zu tun war. Das hat für die Klasse Vor- wie auch Nachteile. Das berühmte „Ich habe die Hausaufgabe nicht, weil ich letzte Stunde krank war“ ist damit passé.
    Die übrigen Belehrer ignoriere ich mittlerweile. Das Notengeben machen wir – wie du schon selbst sagst – nicht aus diebischer Freude, sondern weil es gefordert ist. Wer uns was anderes versucht zu unterstellen, hat einfach keine Ahnung.
    Bleib gesund!

  10. Winni

    An unserer Schule wurde das digitale Klassenbuch eingeführt. Damit einhergehend wurden die Lehrer von der Schulleitung
    verpflichtet auch die Hausaufgaben einzutragen, so dass Schüler diese nicht mehr aufschreiben müssen und die Eltern erfahren was an Hausaufgaben aufgegeben wurde.
    Habe nicht den Eindruck, dass die HA dadurch sorgfältiger oder regelmäßiger von den Schülern gemacht werden.

  11. >Habe nicht den Eindruck, dass die HA dadurch sorgfältiger oder regelmäßiger von den Schülern gemacht werden.

    Guter Punkt, das müsste man sich auch anschauen. Vielleicht ist es wieder so, dass die Starken davon profitieren und die Schwachen nicht?

  12. Meine pensionierte Frau lernt in einem online-Volkshochschulekurs eine etwas ausgefallene Fremdsprache. Da gibt es umfangreiche Hausaufgaben.
    Deshalb höre ich nebenbei, wie flipped-classroom-Hausaufgaben [https://de.wikipedia.org/wiki/Umgedrehter_Unterricht], sture Paukerei und Unfähigkeit, auf Hausaufgaben basierende Lernprozesse zu organisieren, dazu führen, dass altbackene Lehrbücher als enorme Lernbeschleuniger empfunden werden können. – Die online-Stunden dienen da nur noch als Erinnerung daran, sich trotz aller Tagespflichten noch Zeit für das Hobby zu stehlen.
    Der faule Ehemann, der sich immer wieder die täglichen (automatengesteuerten) fünf Minuten Fremdsprache gönnt und gelegentlich aus Langeweile sogar über eine Stunde damit verbringt, …
    Nun, ja – Männer!
    Verglichen damit kann der Gattin selbst Bloggen und gutefrage.net-Fragen beantworten als nahezu sinnvoll erscheinen.
    Jetzt gibt sie Unterricht für coronageschädigte Schüler, die von Eltern dorthin geschickt werden, und muss damit kämpfen, dass einzelne (!) sie als Nachhilfelehrerin für die Hausaufgaben des laufenden Unterrichts missbrauchen wollen. Es gibt auch Lernwillige.
    Das Hauptproblem ist in Coronazeiten, dass antreibende Mittelstandseltern es den anderen Schülern, die aufgrund vielfältiger Umstände keine Möglichkeit haben, etwas zu Hause zu lernen, erschweren, dem laufenden Unterricht zu folgen. Daher die sich potenzierenden Lernrückstände bei solchen Schülern.
    Freilich, diese Behauptung ist viel zu undifferenziert, weiß ich.

  13. Lempel

    Herr Rau, anders als der oben zitierte Kollege haben Sie keine Elternperspektive. Ich habe ein Kind in der 7. Klasse und aus der Erfahrung heraus kann ich nur unterstützen, was FloriKohl geschrieben hat. Viele seiner Lehrer registrieren leider überhaupt nicht, dass die Klassen 2 Jahre Unterricht unter Pandemiebedingungen hinter sich haben.
    Da wird stur der Anspruch aufrecht erhalten, den man unter normalen Bedingungen erhebt, ohne Rücksicht. So sind die Exen voll von kompexen Fragen, in denen in kompetenzorientierter Manier nach Zusammenhängen und Begründungen in ganzen Sätzen verlangt wird. Keine Rücksicht darauf, dass die armen Tröpfe doch in ihrem Leben vergleichsweise kaum Stegreifaufgaben bisher geschrieben haben. In Englisch werden in der Schulaufgabe kniefieseligst Punkte für jeden Mist abgezogen, z.B. dafür, wenn am Ende der Lücke und damit am Ende des Satzes mal kein Schlusszeichen steht (Satz ansonsten völlig korrekt). Wenn Sätze mit „because“ beginnen und ansonsten korrekt sind, dann ist das kein Wiederholungsfehler, sondern werden wiederholt moniert. Außerdem wurden in jedem Fach (die eine Ausnahme ist Religion) bereits vor den Herbstferien Exen oder Kurzarbeiten geschrieben. Da folgte Test auf Test. Bei meinem Kollegium vermute ich zum Teil ähnliches, weiß es aber anders als beim Kind nicht genau.

  14. >Herr Rau, anders als der oben zitierte Kollege haben Sie keine Elternperspektive.
    Den Rest habe ich dann nicht mehr gelesen.

  15. Sabine

    @Fontanefan, ich muss gestehen, dass ich auch bei zweimaligem Lesen Sinn und Ziel des Kommentars nicht verstanden habe.

    @Lempel, für die Englischkorrektur kann ich sagen, dass das in der Tat unangemessen pingelig klingt. Aber der Einstieg, nun ja.

    Gibt es eigentlich eine schlauen Vorschlag, wie man den Leistungsstand der Kinder einschätzen soll ohne Tests zu schreiben? Unbenotete Leistungstests sind für die Kinder genauso Stress und für die ohnehin auf dem Zahnfleisch gehenden Kolleg*innen eine zusätzliche Belastung, denn die Noten müssen ja dann trotzdem irgendwo herkommen.

  16. Ich mag das Argument schon sehr nicht, es ist eines er übelsten ad hominem, die ich kenne. Wenn die Behauptungen, zu deren Einleitung es dient, belastbar sind, ist es unnötig; sie sind wahr oder falsch unabhängig von den Personen. Wenn es aber dennoch verwendet wird, nährt es meine Skepsis. – Gerne ohne diese Diskussion weiter ad rem.

  17. Beistellpony

    Ganz generell nehme ich in meinem Unterricht wahr, dass die Schülerinnen und Schüler schon sehr und in jeder Hinsicht untertrainiert sind und jede Gelegenheit nutzen, um zu jammern, alles wäre zu viel und zu schnell. Mir scheint sich da der lehrer- wie elternseitige Schutzreflex zu rächen, der während der Distanzphase dafür gesorgt hat, dass Kommunikation und Notengebung vor allem in allen möglichen Varianten von Schulterklopfen bestanden hat, weil man ja (am Gymnasium) ziemlich froh war, wenn die Schülerinnen und Schüler online wenigstens ein bisschen mitgespielt haben. Jetzt stellt sich – oh Schreck! – heraus, a) dass das Online-Spiel Konsequenzen hat und b) dass Präsenzunterricht und seine Hausaufgaben kein Spiel sind bzw. jedenfalls nicht immer. Wie konnten das Schüler wie Eltern vergessen?

    Alle Beteiligten haben einen Bildungskater und machen die jeweils anderen dafür verantwortlich. Ach so, nein: die Eltern macht niemand verantwortlich, die jetzt erwarten, dass Corona für ihre Kinder folgenlos bleiben soll.

    Vielleicht führt das erneut und recht zäh zu erarbeitende Leistungsniveau ja auch zu einer Neukalibrierung des Notensystems. Mir schienen die absurden Abiturdurchschnitte schon seit vor Corona reichlich inflationär.

  18. @Sabine
    Kurz gesagt: Je mehr Einfluss Eltern auf das häusliche Lernen nehmen, desto schwerer haben es Schüler, denen keine Eltern helfen können und die keinen Platz haben, wo sie zu Hause ungestört lernen können.
    Das andere war eher eine Privatbemerkung für Herrn Rau. Ich bin zu unterrichtsfern, um zu Unterrichtsverbesserung beizutragen.

  19. Sabine

    @Fontanefan, danke, jetzt kommt Licht ins Dunkel. Ich stimme einigermaßen zu, wobei Einflussnehmen so oder so sein kann. Meine persönlich Grenzen ist eben das „aber wir haben so viel gelernt“, bei dem sich mir innerlich die Haare aufstellen; die ist natürlich sehr subjektiv.

    @Beistellpony, für den gymnasialen Bereich stimmt das sicher und das Gejammere ist mancherorts groß und kläglich. Ich hatte letztes und dieses Jahr jeweils eine 8. Klasse, und die vom letzten Jahr waren in Präsenz und Distanz von wundersamer Eintracht und fast nicht zu stoppendem Spaß am Lernen, den – man beachte! – sie sich gegenseitig nicht madig gemacht haben. Die sind wunderbar vorangekommen und langweilen sich jetzt ein bisschen mit dem Neuntklassbuch, obwohl wir schnell noch vom wirklich schlechten zum eigentlich ganz ordentlichen Buch gewechselt haben. Alles, was neu kommt, stößt auf Begeisterung, Verknüpfung, neue Fragen. Obwohl ich diese Klasse letztes Jahr nicht mal als besonders leistungsstark empfunden habe. Aber sie sind sehr lernstark, geistigeAnstrengung ist bei ihnen mit keinerlei Makel behaftet und so sind alle munter, vergnügt und inzwischen richtig gut in Englisch.

    Im Vergleich dazu die aktuelle 8. Klasse, deren größerer Teil schon in der präpandemischen 6. überfordert am Gymnasium war (wir reden woanders über das dreigliedrige Schulsystem), die mit wenigen Ausnahmen nichts im Fernunterricht getan haben, die sich zwar sehr mögen, das aber nur nutzen, um aufeinander zu hocken und Schabernack zu treiben. Rücklaufquote von Hausaufgaben: 1/3-2/3 (letzteres bei vorherigen ernsten Worten). Bereitschaft, an der Gestaltung des Unterrichts konstruktiv mitzuwirken: eher gering. Der Lärm- und Stresspegel ist sehr hoch, aber die Kinder haben sich schon so daran gewöhnt, dass selbst die ruhigen, eher fleißigen ihn nicht als ungewöhnlich empfinden. Natürlich sind die Noten schlecht und die Elternverzweiflung groß; sie fahren sehr unterschiedliche Geschütze auf, wie halt Eltern so sind.

    Wenn ich die Luft, die in der erstgenannten Klasse weht, in Flaschen abfüllen könnte – der Spaß am Unterricht, der fehlende Neid, die gegenseitige Unterstützung, ja dann.

  20. @Sabine Danke für die schöne Beschreibung der beiden Klassen!
    Wir tendieren als Lehrer dazu, allgemein nachlassende Lernfähigkeit festzustellen, wenn wir aktuelle Klassen mit guten früheren vergleichen.
    Bei meinem Wechsel ins System der Europäischen Schulen ergab sich die schier paradoxe Erscheinung, dass ich zunächst die (europäischen) Schüler viel zu hart benotete und dann nach der Rückkehr die deutschen Schüler ebenfalls. – Ein weiteres Beispiel dafür, dass „schülergerechte“ Noten zu geben, so problematisch ist, dass viel dafür spricht, sie nie in exakten Zahlen auszudrücken.
    Entsprechendes gilt für das Distanzlernen: manche beflügelt es, andere verlieren darüber fast jede Lernbereitschaft. Es gibt keine allgemeine Regel.

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