Der Streuner soll sterben (8., 15. und 22. März 1986)

(8 Kommentare.)

Vor knapp zehn Jahren erzählte ich in einem Blogeintrag kurz von einem Rollenspielabenteuer meiner Jugend:

Die Spieler mussten in eine andere Stadt reisen und dort einen Prinzen retten, der verkleidet seine zukünftige Braut hatte sehen wollen, aber entdeckt und in den Kerker geworfen worden war. Wir brauchten drei Sitzungen zu jeweils sieben oder acht Stunden, bis wir überhaupt in der Stadt ankamen. Und dort war dann ein Großteil der Spielergruppe tot, der Rest auf der Flucht, die eigentliche Aufgabe völlig vergessen. Die Spieler hatten auf dem Weg eine Kneipe geplündert, durch großes Glück eine Gruppe von Magier in der nächsten Kneipe erledigt, sich anschließend gegenseitig übers Ohr gehauen mit gefälschten magischen Artefakten. Lange Geschichte.

Jetzt soll diese Geschichte erzählt werden. So lang ist sie gar nicht.

Das war schon gegen Ende unserer Das-Schwarze-Auge-Phase, vielleicht sogar ganz das Ende. Ich war Spielleiter; es gab sechs Spieler. Am ersten Samstag spielten wir – bei KHZ oder bei mir? – bis Mitternacht, der Anfang ist nicht überliefert, es wird früher Nachmittag gewesen sein. (Am Tag darauf, sagen meine Notizen, kamen Jan und Alex, nicht Teil unserer Spielerrunde, zu mir, um Dinge besprechen, und wir spielten dann ebenfalls ein paar Stunden Rollenspiel, diesmal CoC. Wilde Zeit damals.) Wo wir den zweiten Samstag spielten, ist nicht mehr bekannt; der dritte Tag war bei RB.

Unsere frühen Spiele hatten den klassischen begrenzten Schauplatz gehabt: ein Höhlensystem, ein altes Bergwerk, ein Tempel, ein unterirdisches Labyrinth. Der Streuner soll sterben war ungewohnt für unserer Spielergruppe, nämlich ein Überlandabenteuer. Die erste Hälfte des Spiels, so war das Buch jedenfalls angelegt, bestand nur aus der Anreise in die Stadt, in der die zweite Hälfte stattfinden sollte. Möglicherweise führte diese fehlende Begrenzung durch den Schauplatz zu mehr Unsicherheit und mehr Freiheit, jedenfalls zu Übermut und Exzess.

Bei der Überlandreise übernachtete die kleine Heldengruppe in kleinen Gasthöfen. Einen kleinen plünderten sie. Das war böse. So etwas sollte sich nicht wiederholen: im nächsten Gasthof waren dann außer den Helden auch eine kleine Gruppe mächtiger Magier abgestiegen. Das war schon so, dass die Spieler etwas Bammel bekamen. Allerdings hatte eine Spielfigur eine geringe Chance, es waren 5% oder 10%, für etwa eine Viertelstunde eine Zone um sich zu schaffen, in der Magie nicht wirksam ist. Was soll ich sagen, der Wurf gelang; die Abenteurer stürzten sich in ein Handgemenge, hatten Glück bei weiteren Würfen, es war alles sehr knapp, aber der Überfall war erfolgreich. (Rollenspiel war das nicht mehr sehr, dann eher ein Mini-Wargame, ein Brettspiel, historisch ja auch der Ursprung des Rollenspiels.) Keine schöne Geschichte. Aber es gab geplündertes Gold als Belohnung. Das war, glaube ich, der erste Spieltag.

In der Stadt angekommen, nahm mich Spieler RB zur Seite, er hatte einen Plan ausgeheckt: Er, also seine Spielfigur, wollte sich ein billiges Schwert kaufen, das er mit kryptischen Runen versehen ließ, und einen Schauspieler mieten. Der Schauspieler kam, mit Arbeitsanleitungen versehen und in Magierkutte gewandet, in die Gastwirtschaft, in der die Abenteurer saßen. (In Rollenspielen wurde früher sehr viel Zeit in Gastwirtschaften verbracht.) „Rache für die erschlagenen Magier“ war sein Ruf, die Abenteurer zitterten schon – bis auf RB, der unter Raunen sein unbemerkt von den anderen gekauftes Dekoschwert zückte und sich dafür bewundern ließ, dass der vorgebliche Magier davor die Flucht ergriff. Seine Geschichte: Das Schwert habe er bei dem Kampf mit den Magiern erbeutet, und es sei furchtbar zauberkräftig. Irgendwie schauspielerte er so gut, oder die Umstände waren so günstig, dass kein Mitspieler daran zweifelte. Ich als Spielleiter musste mich angreifen lassen, dass es doch unfair sei, dass ich einem Spieler eine so mächtige Waffe zukommen hatte lassen und den anderen nicht. Das war der zweite Spieltag, glaube ich; vielleicht wurden noch Anstrengungen unternommen, Informationen über den eingekerkerten Prinzen zu finden, allein, das ist mir nicht im Gedächtnis geblieben.

Im Zuge weitere kleinerer Gefechte, vielleicht sogar im Zusammenhang mit der eigentlich geplanten Spielhandlung, erlitt die Figur von MS recht schwere Wunden. Das Schwert von RB, so hieß es, könne auch Wunden heilen. Also wechselte es den Besitzer, MS kaufte es für sehr viel Gold von RB. Noch trat die Wirkung nicht ein, er müsse erst eine Nacht mit dem Schwert auf dem Bauch ruhen. Am nächsten Morgen wollte MS von mir als Spielleiter wissen, wie sehr sich sein Gesundheitszustand verbessert hätte, und er war gar nicht wenig verwundert, dass sich da gar nichts getan hatte.

Es kam zum Streit zwischen den Figuren von RB und MS. Ich glaube, sie erschlugen sich letztlich gegenseitig. Jedenfalls nutzte Spieler KHZ die Gelegenheit, sich mit dem Verkaufspreis des falschen Schwertes, davon zu machen. Viel hatte er auch nicht davon: die Stadtwachen waren inzwischen hinter allen her und suchten ihn und AR als Mörder.

Das alles dauerte drei lange Spieleabende. Es gab sicher noch mehr Handlung drumherum, aber an die kann ich mich nicht erinnern. Das letztliche Schicksal des Streuners blieb ungeklärt, von uns zumindest wurde er nicht befreit. Der letzte Spieltag ließ uns nicht völlig zufrieden mit uns und der Welt zurück und dauerte nicht mehr so lange, vielleicht nur bis zum frühen Abend und nicht mehr bis Mitternacht, denn ich weiß noch, dass danach Die Spur des Falken im Fernsehen kam. Ein angemessener Film: Humphrey Bogart und Sydney Greenstreet, Peter Lorre und Mary Astor und Elisha Cook jr. streiten sich darin um einen Schatz, der sich am Ende als Fälschung herausstellt. Am Ende sind bis auf den Detektiv alle festgenommen oder des Mordes überführt, in der Romanvorlage auch gegenseitig erschossen. Ich freue mich sehr auf die nächste Lektüre, zumal ich dafür einen Leseauftrag aus einem – leider nicht mehr online zugänglichen – Aufsatz habe: Ab wann weiß Sam Spade, wer seinen Partner umgebracht hat? Am Ende, als es das Lesepublikum erfährt, tut er ja weniger überrascht, als man meinen könnte.

(The Maltese Falcon war auch der Anlass, das hier aufzuschreiben: Beim Aufräumen ungehörter alter Hörspiele habe ich den Sam-Spade-Ordner aufgemacht und inzwischen die dritte Fassung angehört.)


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Kommentare

8 Antworten zu „Der Streuner soll sterben (8., 15. und 22. März 1986)“

  1. wenn ich das richtig in Erinnerung habe, haben wir den Streuner befreit. Also alles gut, keine Sorge. 😅

  2. Ich hätte wissen können, dass da noch ein B-Team unterwegs war, große Erleichterung! Oder waren wir Clowns am Ende gar nicht das richtige Team, nur als Kanonenfutter und Ablenkung für die Stadtwachen geschickt, während ihr elegant den Auftrag erfülltet? Das würde einiges erklären.

  3. „Der Rondra-Geweihte schweigt und genießt.“

  4. Phantastisch!
    Nicht ohne Grund gab es in einem kleinen Flyer, der mal vor Jahren Menschen für Pen&Paper begeistern sollte und ein erstes Miniabenteuer enthielt, die Kapitelüberschrift: „Sie wollen einen Elefanten kaufen??“

    Es ist so wunderbar, wenn Abenteuer den ersten Spielerkontakt nicht überleben. Meist ergibt sich dann etwas viel bemerkenswerteres.

  5. Aginor

    Das hört sich nach einer gestandenen Gruppe „murder hobos“ an!
    Manchmal kann das spaßig sein, wenn auch oft recht anstrengend, vor allem für den Spielleiter.

    zu „In Rollenspielen wurde früher sehr viel Zeit in Gastwirtschaften verbracht“:
    Das ist – zumindest an meinem Spieltisch – auch jetzt noch so. Ist immer wieder schön wenn die Spieler da Rollenspiel betreiben, versuchen den Wirt oder andere Gäste über den Tisch zu ziehen, oder Erkundigungen einziehen.

    Einmal habe ich das Gasthaus durch einen besonders großen Mimic (das gestaltwandelnde D&D-Monster das sich sonst so gerne in Truhen verwandelt) ersetzt. Das war auch spaßig.

    Gruß
    Aginor

  6. Murder hobo, den Begriff kannte ich noch nicht; habe gesucht und gelernt. Ja, anstrengend. Inzwischen… könnte ich vielleicht besser damit umgehen, wenn auch strenger, wahrscheinlich. Aber Hungrige Häuser kenne ich als Topos. Eine Kurzgeschichte von Bradbury, glaube ich, jedenfalls in einem alten Horror-Comic gelesen, und eine von Manly Wade Wellman. Im Spiel noch nie gehabt, da stelle ich mir die Erkenntnis schon sehr nahegehend vor.

  7. Aginor

    Der Moment als die SpielerInnen begriffen haben was da passiert war unglaublich. Ich glaube ich bin einem Horrorfilm-Feeling in einem D&D-Abenteuer nie näher gekommen.

    Die Hinweise habe ich nach und nach hineintröpfeln lassen, bis das dann am Ende schlagartig von „Hmm… Das ist wirklich seltsam, irgendetwas beunruhigendes passiert hier…“ zu „F***!! LAUFT! ALLE RAUS HIER!“ überging.
    Und heute noch suchen zwei Spielercharaktere jedes mal wenn sie irgendwo einkehren nach Anzeichen für so einen Ort. (z.B. verdächtig saubere Toiletten und ein Wirt der zu großzügig mit Leuten ist, denen an der Bar das Geld ausgeht. Damit sie bis zur Essenszeit bleiben.)
    Das Gasthaus hieß übrigens „zum Gierigen Schlund“, was lustigerweise niemandem seltsam vorkam. Rückblickend ist das immer wieder ein Lacher.

    Meine ursprünglichen Inspirationen waren damals King’s „The Shining“, und der Eagles-Song „Hotel California“ (obwohl in beiden das Haus die Bewohner nicht frisst, aber so läuft Inspiration ja manchmal).
    Dann erinnerte ich mich an einen Riesen-Mimic in irgendeiner Geschichte und fand auf Reddit sogar eine Battlemap die ich nutzen konnte. Und schon war ein One-shot Abenteuer geboren, das ich hätte an Halloween spielen sollen (was aber nicht klappte).

    Gruß
    Aginor

  8. -thh

    Faszinierend, wie einem der Titel nach knapp 40 Jahren noch etwas sagt, auch wenn ich nicht mehr sagen könnte, was der Inhalt war …

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