Joseph von Eichendorff, Das Marmorbild: Quelle

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Ich lese gerne mit Oberstufenkursen die romantische Novelle „Das Marmorbild“ von Joseph von Eichendorff (Blogeintrag). Die ist kurz, leicht zu verstehen, man kann viel daraus erkennen. Diesmal habe ich mir die Wikipedia-Seite dazu angeschaut, die in keinem guten Zustand ist; ich habe bisher nur ein bisschen überarbeitet, willdas aber noch mehr tun.

Allerdings bin ich auf der Seite auch auf Eichendorffs Quelle gestoßen, nämlich eine Sammlung von Erzählungen und Anekdoten aus dem Jahr 1678: E. G. Happelii grösseste Denkwürdigkeiten der Welt oder so genannte Relationes Curiosæ. Worinnen fürgestellet […] Dritter Theil. Einem jeden curieusen Liebhaber zur Lust und Erbauung in Druck verfertiget/ und mit erforderten schönen Kupfern und andern Figuren erläutert. Hamburg: Wiering 1687. S. 470: Die Teuffelische Venus.

Den Text habe ich abgetippt, er steht weiter unten, hier erst einmal die ursprüngliche Fassung:

Wer den Blocksatz oder die Schriftart nicht mag, einfach kopieren und in ein Textverarbeitungsprogramm einfügen.

Die Teuffeliſche Venus.

Zu Zeiten Kayſers Hinrici IV. war zu Rom ein Ad­licher / reicher Jüngling / der an ſeinem Hoch­zeit-Tage / nach den Mittagsmahl ſeine gute Geſellen zum Ballenſpiel außforder­te / und damit ihm der Trauring nicht entfallen möchte / ſolchen einem Venus-Bilde / ſo nicht weit von dannen ſtund / an den Finger ſtecket. Nachdem ſie ermü­det / und er ſeinen Ring wie­der abnehmen wolte / fand er den Finger des Bildes gekrümmet / und konte alſo auf keiner­ley Weiſe den Ring wie­der gewinnen / ging alſo davon / und ſagte ſeiner Geſellſchafft nicht was ihm begegnet. Als er aber zu Nachts mit ſeinen Dienern wieder zum Bilde kam / in Meynung den Finger abzuſchlagen / fand er ſolchen wieder geſtreckt / aber den Ring nicht mehr daran.
Er begab ſich voller Verwunderung nach Hause und legte ſich zu ſeiner Braut / konte ſich aber zu derſelben nicht nahen / weil ein di­cker Nebel ſich zwiſchen ihm und derſelben weltzte / und dabey eine Stimme ſich hören ließ: Schlaff bey mir / ich bin die Venus / der du den Ring angeſtecket / und dir dadurch ver­trauet haſt. Wie den beyden Ver­traueten drü­ber zu Muht geworden / ſteht leicht zu er­meſſen / doch halff alles nichts / denn ſo oft er ſich ſei­ner Liebſten nahete / ſo offt fand ſich das Teuf­fels Weſen.
Dieß daurete einige Zeit / dannenhero die junge Leuthe die Sach entlich ihren Eltern offenbahre­ten / welche deswegen zu einem Prieſter / Nah­mens Palumbus (der aber ein groſſer Schwartz­künſtner dabey) giengen / und ſich Rahts erhole­ten. Diefer befahl dem jungen Mann / daß er in gewiſſer Stunden zu Nachts in Wegſcheide tre­ten / ſich an nichts kehren noch reden / ſondern einem auff einen Wagen ſitzenden den ihm zu­geſtelten Brieff ſtill­ſchweigend einreichen ſoll.
Dieſer kombt dem Befehl nach / und es ge­hen für ihn allerhand Menſchen / allerley Al­ters und Standes / zu Roß und Fuß / theils frö­lich / theils traurig vorüber: Endlich kombt der Grand-Seigneur auff einen Wagen / der dem Anſehen nach von Perlen und Smaragden glän­zete. Dieſer fragt / was der Jüngling da mache / bekam aber kei­ne Antwort / ſondern den Brieff / worauff er mit gen Himmel erhobenen Hän­den rieff: O du All­mächtiger Gott / wie lang wilſtu zuſehen der Boß­heit des Palumbi? Und ohn Verzug ſchickte er ſei­ne Trabanten nach ei­nem Weibe / welcheſ in hu­riſcher Tracht und durchſichtiger Kleidung / mit außgeſpreiteten Haaren und güldenen Haubē auf einem Maul­thier ritte / und ließ den Ring von ihr wieder abfodern / die den / nach viel Sperrens ſol­chen endlich von ſich gab. Hierauff iſt der junge Mann wieder zu recht gekommen / und hat wei­ters keine Hinderung verſpühret. Palumbus, als er des Teuffels Außſpruch vernommen / merckte / daß ſeine Stunde gekommen / hat ihm alſo alle Glied­maſſen ſelbſt abgehauen / und iſt erbärmlich geſtorben.
Wilhelm. Malmesburienſ. Hiſtor. Angl. ad Ao. 1045.

Worterklärungen:
ausforderte: herausforderte
vertrauet: angetraut, verheiratet (siehe: Trauung)
Vertraueten: Verheirateten
dannenhero: deshalb/weshalb
Wegscheide: Weggabelung, Scheideweg (wie auch die Wegkreuzung im Volksglauben besonderer Ort)
für (hier): vor
Grand-Seigneur: vornehmer, weltgewandter Herr (hier ein Euphemismus)
Haubē: lies „Hauben“ (wohl Dativ Singular, schwach dekliniert), der Strich ist ein Nasalstrich und steht für n/m
ihm alle Gliedmaßen abgehauen: sich selber – gemeint ist: aus Reue über seine Sünden
William of Malmesbury (gest. um 1143): Gesta Regum Anglorum

Hurische Tracht und durchsichtige Kleidung, nun ja. Happel nennt als Quelle die Gesta Regum Anglorum von William of Malmesbury aus dem frühen 12. Jahrhundert. Bei Wikipedia steht auch gleich der Link zu einer neuenglischen Übersetzung des lateinischen Originals. Die Texte habe ich nicht abgetippt, aber gesucht und gefunden, in der PDF-Datei hier unten kann man die deutsche, englische und lateinische Version lesen:

  • Welche Elemente hat Eichendorff weggelassen?
  • Welche Elemente hat Eichendorff ergänzt?
  • Welche Elemente sind bei Eichendorff noch vorhanden, spielen aber eine andere (geringere) Rolle?

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2 Antworten zu „Joseph von Eichendorff, Das Marmorbild: Quelle“

  1. Es ist schon ein paar Jahre her. Ich bin in Florenz. Untergekommen bin ich bei einem Kommilitonen, der für ein Jahr in Florenz studiert. Eine Vorlesung in einem Gebäude, das von Filippo Brunelleschi erbaut wurde, habe ich schon staunend erlebt. Und dann entscheiden wir uns – aufgrund Eichendorffs Novelle – nach Lucca zu reisen. Wir lesen uns die Novelle sowohl im Zug als auch dann auf den Mura di Lucca einander vor.

    Im Zug sitzt im Großraumwagen ein älterer Herr neben uns, der irgendwann zu erkennen gibt, dass er nicht nur Deutsch versteht, sondern auch die Novelle kennt. Er fand unsere Herangehensweise an diese Novelle faszinierend. Wir sagten ihm, ohne dass wir das je vorher so besprochen hatten, dass wir es lieben, so Literatur zu studieren: Miteinander, im Dialog, auf Reisen.

    Dein Beitrag erinnert mich an diesen Tag in den Sommersemensterferien, den ich in Florenz, im Zug, in Lucca verbringen durfte. Und er erinnert mich daran, wie damals studierte. (Nein, das war keine »Lehrerausbildung«, das war ein intensives, heftiges Bemühen um das, was wir spannend fanden.). Danke dir für die Erinnerung.

  2. Was für eine schöne Erinnerung, vielen Dank. Ich habe Leseerinnerungen an bestimmte Orte, und abwechselndes lautes Vorlesen, das mache ich viel zu selten.

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