Ein kurzer Überblick darüber, wie sich das Kultusministerium beziehungsweise die Bayerische Regierung einen Schüler am Gymnasium vorstellen. Es geht hier übrigens nicht um das Abitur, sondern um das Gymnasium – zum Abitur führen ja auch andere Wege.
Gymnasiale Anforderungen
2004 (der aktuelle Lehrplan):
Das Gymnasium sieht seine Aufgabe darin, alle Schüler gezielt zu fördern, die sich aufgrund ihrer Begabung, ihrer Einsatzfreude, ihres Leistungsvermögens und ihrer Leistungsbereitschaft für ein Studium und für herausgehobene berufliche Aufgaben eignen.
Schüler des Gymnasiums sollen geistig besonders beweglich und phantasievoll sein, gern und schnell, zielstrebig und differenziert lernen sowie über ein gutes Gedächtnis verfügen. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich ausdauernd und unter verschiedenen Blickwinkeln mit Denk- und Gestaltungsaufgaben auseinanderzusetzen und dabei zunehmend die Fähigkeit zu Abstraktion und flexiblem Denken, zu eigenständiger Problemlösung und zur zielgerichteten Zusammenarbeit in der Gruppe entwickeln.
1990 (der vorherige Lehrplan):
Gymnasialbildung entfaltet die Fähigkeit zur Ordnung der Vorstellungswelt, zu Abstraktion und Theoriebildung. Sie entwickelt die musischen Fähigkeiten und leitet zu einem angemessenen Umgang mit den Emotionen an. Sie fördert in besonderem Maß Verantwortungsbereitschaft und Verantwortungsfähigkeit auf der Grundlage eines geschichtlich begründeten Verständnisses der abendländischen Kultur. Das Gymnasium ist deshalb eine Schule für Kinder und Jugendliche, die sich als in besonderem Maße geistig beweglich, lernbegierig und phantasievoll erweisen, die schnell, zielstrebig und differenziert lernen können, ein gutes Gedächtnis haben, sich gern selbständig, ausdauernd und von verschiedenen Seiten mit Denk- und Gestaltungsaufgaben beschäftigen und in allem die Bereitschaft erkennen lassen, die Anstrengungen auf sich zu nehmen, die der Bildungsweg des Gymnasiums ihnen abverlangt.
Grundschulinformation 1978 (meine Schule damals)

— Schön wären natürlich noch ältere Lehrpläne, aber die habe ich leider online nirgendwo mehr gefunden. Das wäre doch ein schöner Vergleich; gerne auch als Leseverstehensaufgabe für Schüler.
Natürlich entwickeln sich die Schüler in den einzelnen Jahrgangsstufen. Deshalb hier ein Überblick, wie sich der aktuelle Lehrplan – fachunabhängig – Schüler altersabhängig vorstellt.
Erwartungen an die einzelnen Jahrgangsstufen
Jahrgangsstufe 5:
Der Wechsel von der Grundschule ans Gymnasium bringt für die Schüler große Veränderungen mit sich: Sie besuchen eine neue Schule mit einem noch ungewohnten Schulleben und neuen Mitschülern. Häufig gehen damit auch Änderungen im Freundeskreis einher. Zudem müssen sie sich anders als bisher auf stündlich wechselnde Fächer und Lehrkräfte mit je unterschiedlichen Anforderungen an Vorbereitung, Mitarbeit und Arbeitsweisen einstellen. Erst im Lauf des Schuljahrs gewinnen die Kinder eine gewisse Sicherheit bei der Lern- und Arbeitsorganisation.
Die Schüler zeigen in der Regel eine ausgeprägte Wissbegierde, Freude am Entdecken, hohe Motivation und Leistungsbereitschaft. Allerdings stehen dem eine begrenzte Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit gegenüber.
Jahrgangsstufe 6:
Den Schülern sind im Unterschied zur vorhergehenden Jahrgangsstufe das Schulleben und die schulischen Abläufe vertraut, was ihnen zunehmend Sicherheit verleiht. In der Regel nimmt die Bedeutung der Klassengemeinschaft – auch im Zusammenhang mit einzelnen Gruppen – nun deutlich zu. Dabei kann die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen sehr schnell wechseln.
Durch das Einsetzen neuer Fächer, insbesondere die zweite Fremdsprache, stellen sich den Kindern zusätzliche Herausforderungen. Dies kommt ihrer nach wie vor ausgeprägten Neugier und Wissbegierde sowie der Begeisterungsfähigkeit für Neues entgegen, bedeutet aber auch eine Mehrbelastung.
Die vielfältigen neuen Anregungen tragen zu einer verstärkten Wahrnehmung der Lebenswelt bei.
Jahrgangsstufe 7:
Die meisten Schüler dieser Altersstufe befinden sich in der Pubertät oder treten in diese Entwicklungsphase ein. Dies hat Auswirkungen sowohl auf die Beziehungen der Jugendlichen untereinander im schulischen wie im privaten Umfeld als auch auf die Einstellung und das Verhalten gegenüber den Erwachsenen. Wenn in diesem Alter mitunter große Stimmungsschwankungen auftreten oder rigide Positionen vertreten werden, so ist dies ein Spiegel der Unsicherheit in dieser Phase des Umbruchs.
Gleichzeitig vollzieht sich bei vielen der Übergang vom anschaulichen zum abstrahierenden Denken, was ihnen ein zunehmend systematisches Herangehen an Frage- und Aufgabenstellungen ermöglicht und sie Gesetzmäßigkeiten leichter wahrnehmen und beschreiben lässt.
Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit beginnen sich nun stärker auszuprägen.
Jahrgangsstufe 8:
In dieser Jahrgangsstufe zeigt sich ein häufig sehr uneinheitliches Bild bei den Jugendlichen. Entwicklungsunterschiede, insbesondere zwischen Mädchen und Jungen, werden sichtbar hinsichtlich Selbständigkeit, körperlicher Entwicklung sowie emotionaler und sozialer Reife.
Viele Schüler suchen stärker als bisher nach Orientierung und Identität, nicht selten zeigen sie auch Verhaltensauffälligkeiten. Sie beginnen, bisher Akzeptiertes grundsätzlich infrage zu stellen sowie eigene Standpunkte zu entwickeln und zu vertreten. Zudem ist vielfach ein wachsendes Interesse an Kausalzusammenhängen und differenzierteren Fragestellungen zu beobachten.
Jahrgangsstufe 9:
Die meisten Schüler dieser Jahrgangsstufe entwickeln eine wachsende Bereitschaft zur Reflexion und damit einhergehend in steigendem Maß die Fähigkeit zu logischer Argumentation.
Im Selbstbild oft noch schwankend, neigen viele Jugendliche dieser Altersstufe, z. B. infolge mangelnder Akzeptanz der eigenen Körperlichkeit, zu scheinbar widersprüchlichen Gefühlen und Verhaltensweisen: Einerseits wollen sie ernst genommen werden, wollen mitreden und zeigen den zunehmenden Drang, sich selbständig mit Problemen und eigenen Wegen der Problemlösung auseinanderzusetzen. Andererseits wird der Einsatz für schulische Belange häufig je nach Neigung dosiert zugunsten außerschulischer Interessen. Tradierte Werte und Autoritäten werden immer mehr infrage gestellt; die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt ist deutlich. Das Interesse an weltanschaulichen und politischen Fragen wächst.
Jahrgangsstufe 10:
In dieser Altersstufe zeigen die jungen Menschen in der Regel ein zunehmendes Bewusstsein für die Konsequenzen des eigenen Handelns; ihr Verantwortungsbewusstsein bildet sich weiter aus. Noch spielt die Anpassung an die Gruppe eine wichtige Rolle, jedoch gewinnt das Eingehen partnerschaftlicher Bindungen eine größere Bedeutung. Diese Veränderungen beeinflussen häufig das Interesse am schulischen Lernen. Die Auseinandersetzung mit Autoritäten dient auch als Mittel zur Selbsterfahrung.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber logischer Argumentation sowie das Interesse an komplexen Zusammenhängen und Sinnfindung wachsen mit der Selbständigkeit im Denken: Prioritäten werden immer mehr nach eigenen Wertmaßstäben gesetzt, was manchmal mit Fehleinschätzung, auch der eigenen Person, verbunden sein kann.
Jahrgangsstufe 11/12:
Mit der gestiegenen geistigen Leistungsfähigkeit in den letzten beiden Jahrgangsstufen am Gymnasium geht bei den meisten Schülern ein zunehmend selbständigeres Denken und Arbeiten sowie ein zielgerichteteres und verantwortungsbewussteres Handeln einher.
In diesem Zusammenhang kristallisiert sich bei ihnen eine große Bereitschaft und Offenheit heraus für psychologische und philosophische Fragen, die das Selbst- und Weltverständnis betreffen. Sie differenzieren ihre bisherigen Wertvorstellungen weiter aus, auch im Hinblick auf die eigene Lebensplanung (Ausbau eines eigenen sozialen Netzes, beginnende Ablösung vom Elternhaus, Berufs- und Studienwahlentscheidung). Bei vielen Schülern gewinnen das strategische Verhalten in Bezug auf die Schule und außerschulische Aktivitäten weiter an Bedeutung.
Die unteren Jahrgangsstufen sehe ich ganz gut getroffen. Die höheren sind vielleicht etwas optimistisch. Wie ist denn das gemeint: „Bei vielen Schülern gewinnen das strategische Verhalten in Bezug auf die Schule und außerschulische Aktivitäten weiter an Bedeutung“? Ist das tatsächlich als Eupehmismus zu verstehen für: „Schule ist weniger wichtig als der Nebenjob und Partys und man macht nur das Nötigste“ oder war das anders gemeint? Das muss doch wohl anders gemeint gewesen sein, oder?
Für jedes Fach gibt es für jede Jahrgangstufe eine eigene Beschreibung. Hier nur ein Beispiel, alle Lehrpläne hier.
Fachspezifische Erwartungen
Deutsch 12:
Im Deutschunterricht der abschließenden Jahrgangsstufe des Gymnasiums vertiefen die Schüler ihre sprachlich-literarische und geistesgeschichtlich-kulturelle Bildung; sie stellen eigene Erfahrungen und Einstellungen in größere Zusammenhänge und finden dadurch zu fundierten Standpunkten und Werthaltungen.
Die Schüler verstehen, analysieren und nutzen Sprache zunächst als Medium zwischenmenschlicher Kommunikation; sie üben sich in den unterschiedlichen Formen des Vortragens und des Gesprächs, stärken ihr Selbstvertrauen in der Anwendung ihrer rhetorischen Fähigkeiten und entwickeln Freude an mündlicher Sprachgestaltung.
Erschließende und argumentative Formen des Schreibens stellen für die Schüler sicher beherrschte Mittel dar, ein eigenes, durchdachtes Verständnis von literarischen Texten und Sachtexten zu formulieren und mitzuteilen sowie Thesen und Positionen abwägend und wirksam darzulegen. Die in den Vorjahren erworbenen soliden orthographischen, grammatischen und stilistischen Fertigkeiten bilden hierfür eine unverzichtbare Voraussetzung.
Die jungen Erwachsenen erfahren auch, dass Sprache das wichtigste Medium für die Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben ist. Sie erweitern ihr Verständnis von Sprache und erkennen deren Leistung ebenso wie ihre Offenheit für Veränderungen und die Notwendigkeit von Normierungen.
Bei der wissenschaftspropädeutisch ausgerichteten Behandlung literarischer Werke vor allem des 20. Jahrhunderts erwerben die Schüler Aufgeschlossenheit für Themen und Stoffe der Literatur, erschließen sich weitere kulturelle Zusammenhänge und erweitern ihren literaturhistorischen Orientierungsrahmen. Offenheit für Fragen der Ästhetik und eine ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit werden zur Basis für eine differenzierte Weltsicht und für die Identitätsfindung, aber auch für eine lebenslange Lesebereitschaft. Die methodenbewusste Beschäftigung mit anspruchsvollen Sachtexten verhilft den Schülern dazu, sich reflektierend mit den eigenen Wertvorstellungen wie mit fremden Standpunkten und Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auseinanderzusetzen und sich für die Gestaltung der eigenen Lebenswelt zu engagieren.
Elektronische Medien werden als Werkzeug der Information und Kommunikation geläufig verwendet. Die erworbene Medienkompetenz stützt sich besonders auf ethische und ästhetische Beurteilungskriterien. Die Schüler erkennen und erfahren den wesentlichen Beitrag, den die Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit und eine prinzipielle Offenheit für Fragen der Ästhetik für die Persönlichkeitsbildung und das Weltverständnis leisten.
Nachtrag: Es gibt keinen aktuellen Anlasse für diese Zusammenstellung. Meine Gedanken haben angefangen als Kommentar bei einem Skolnet-Blogeintrag.
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