Lesetipp. Oder für Erörterungen in der Schule als Grundlage. Oder überhaupt für die Schule. Warum sind die Themen da so langweilig? Vor- und Nachteile von Fernreisen, oder vom Fernsehen (ja, das gibt’s immer noch) oder Internet, pffff.
Also besser: Cory Doctorow, Lockdown – the coming war on general-purpose computing. (Der Link führt zu einer leicht gestrafften englischen Textfassung eines Vortrags, den es auch als Videoaufnahme und als deren deutsche Übersetzung gibt. Links dazu bei Netzpolitik, wo ich auf den Vortrag aufmerksam gemacht wurde.)
Die These des Vortrags (und ja, der Vortrag ist nicht antithetisch; es ist nur in der Schule, wo wir antithetisches Argumentieren so in der Vordergrund rücken) ist die: der aktuelle Kampf um DRM (Digital-Rights-Management) und Software-Rechte (was darf ich mit meiner gekauften Musikdatei alles machen?) ist nur der Anfang; die nächste Frage wird sein: Was werde ich mit meinem Computer machen dürfen?
Dazu etwas Hintergrund, kann man überspringen: Rechenmaschinen (Wikipedia) gibt es seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das sind mechanische Maschinen, die zum Beispiel Zahlen addieren können. Man gibt ein paar Zahlen ein, dreht eine Kurbel, und kriegt das Ergebnis. Oder Multiplikationsmaschinen, oder Maschinen, die noch mehr Berechnungen ausführen können. Aber das waren alles Maschinen, die für eine bestimmte Art oder bestimmte Arten von Berechnung gebaut wurden, und mit denen nur genau diese möglich waren. Nachfolger dieser Maschinen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren elektrisch und nicht mehr nur mechanisch, aber auch nur zu bestimmten Berechnungen fähig.
In den 1920er Jahren ging es in der Mathematik darum, was man überhaupt alles berechnen kann, und wie man das formalisieren kann. (Vorsicht, bin Laie und kenne mich da wenig aus. Das ist aber spannender, als es vielleicht klingt.) So ab 1930 herum überlegte sich Alan Turing dazu das Konzept der universellen Rechenmaschine oder Turing-Maschine. Das wäre eine Maschine, die anders als bisherige Rechenmaschinen nicht nur bestimmte Arten von Berechnungen ausführen kann, sondern alle. Eine Turing-Maschine kann alles berechnen, was man überhaupt berechnen kann.
Das ist das theoretische Standbein des modernen Computers. Computer sind genauso mächtig wie Turing-Maschinen (aber auch nicht mächtiger, weil es mächtiger nicht geht). Das praktische Standbein des modernen Computers kommt aus der Ingenieurswissenschaft: Konrad Zuse baute sich die Z1 und später die Z3, den ersten programmierbaren Universalrechner, der eben alles berechnen konnte, was sich berechnen ließ.
Heute ist das selbstverständlich, dass ein Computer eine Maschine ist, die praktisch alles kann. Deshalb kann ich auf meinem uralten iPod ja auch Doom installieren und spielen. Computer sollen und müssen auch ständig neue Sachen berechnen, an die man vorher nie gedacht hatte. Man installiert ständig neue Software, und laufende Programme verändern sich selber, und das Betriebssystem kriegt ein Update.
Zurück zu Doctorow:
Er beschreibt erst einmal sehr schön die Entwicklung des Versuchs, Software vor dem Kopieren zu schützen: zuerst war die Software verschlüsselt. Dazu musste man verhindern, dass jemand an den Schlüssel kommt. Dann musste man vebieten, dass dieser Schlüssel weitergegeben wurde. Dann musste man verbieten, dass man anderen sagte, wie man an solche Schlüssel kam. Und so immer weiter: verbieten, verbieten, verbieten. Man darf Verschlüsselungssoftware nicht analysieren, man darf verschlüsselte Software (also auch Musik) nicht illegal entschlüsseln, man darf anderen nicht sagen, wie das geht.
Nur dass das nicht funktioniert. Wer will, kann alles kopieren, basta.
Das sei aber nur der Anfang, so Doctorow. Im Moment möchte eigentlich vor allem die Film-, Computerspiel- und Musikindustrie, dass ich mit meinem universellen Computer nicht alles machen darf, was ich mit meinem universellen Computer machen kann. (Und der Staat erlässt Gesetze, die das bewirken sollen.) Bald werden andere Industrien dazu kommen.
Und sie alle werden sich wünschen, dass bestimmte Programme nicht laufen dürfen auf den Computern. Das geht aber nicht, weil diese Rechner nun mal universell sind. Das einzige, was man machen kann: man kann dem Benutzer verbieten, seinen Rechner als universelles Werkzeug zu benutzen. Man kann verbieten, andere Betriebssysteme aufzuspielen, man kann verbieten, sich anzuschauen, welche Prozesse gerade laufen, also was der Computer im Moment alles tut. Damit erteilt man dem Rechner aber die Lizenz, zu machen, was er will – also was seine Hersteller wollen, unkontrollierbar durch den Benutzer.
Wenn ich einen neues Handy kaufe, habe ich in der Regel keine vollen Rechte auf dem System. Das heißt, ich kann auch nicht kontrollieren, was das Ding eigentlich tut. (Also, ich kann das sowieso nicht, weil ich mich damit nicht auskenne. Aber es reicht ja, dass es andere gibt, die dazu in der Lage sind.) Noch ist es allerdings erlaubt und relativ einfach möglich, sich diese Rechte zu besorgen. Dann kann man theoretisch kontrollieren, was das Ding tut – insbesondere, was es vielleicht ohne Wissen des Benutzers tut.
Und das, so Doctorow, ist der nächste Schritt nach dem DRM. Noch kann und darf man sich Root-Rechte auf seinem Kindle und seinem iPad verschaffen. Gilt das auch für meinen zukünftigen 3D-Drucker? Für mein elektronisches Schulbuch, Türschloss, Hörgerät, Lesebrille, und was noch alles auf uns zukommt?
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