Informatik in meiner 6. Klasse findet nicht immer statt; nachmittags sind oft Konferenzen. Immerhin habe ich die Klasse parallel in Deutsch, so dass ich wenigstens die Namen der Schüler und Schülerinnen kenne. Im Deutschunterricht lasse ich sie am Rechner schreiben, im Informatikunterricht nehme ich als Beispiele Texte aus dem Deutschunterricht.
Gestern ging es um die Klasse ABSATZ bei Textverarbeitungssystemn und deren Attribute; davor wiederholten wir die lange zurückliegende Klasse ZEICHEN und deren Attribute – darunter zum Beispiel die gewählte Schriftart. Und dass solche Schriften entworfen werden und 10.000 Euro kosten (habe ich mal so geraten, hängt sicher von vielen Dingen ab) und dass es allein schon mal deswegen rücksichts- und geschmacklos ist, so einen sorgfältig gestalteten Zeichensatz durch automatische Unterstreichung zu verhunzen. Denn ja, liebe Kinder, Unterstreichung als Mittel der Hervorhebung ist legitim bei alten Schreibmaschinen; wenn man nicht auf einer solchen arbeitet, nutzt man stattdessen andere Möglichkeiten – der Text kann fett sein oder kursiv oder in einer anderen Schriftart und -größe (aber vielleicht auch nicht alles davon auf einmal). Auf Fortbildung neulich so ein Medienmensch, der iPads für seine Schüler forderte, aber munter die Unterlängen seiner Zeichen beim Unterstreichen durchsäbelte – wer keinen Sinn für Form hat, dem traue ich auch beim Inhalt nicht.
Und dann ging es um Times New Roman und Comic Sans, und was da jeweils das Problem ist oder nicht ist – genug, am nächsten Tag präsentierte ich im Deutschunterricht den Schülern und Schülerinnen ein Gedicht, das wir ein bisschen besprachen, bevor ich dann ihre Meinung zum verwendeten Zeichensatz einholte. Den hatte ich nämlich selbst entworfen, basierend auf meiner Handschrift.
Darauf teilte ich in der Klasse eine Tabelle aus, so dass jeder sich selber eine Schrift zusammenbasteln konnte. Und in einer halben Stunde im Lehrerzimmer hatte ich aus dem ersten Dutzend Entwürfen jeweils TrueType-Zeichensätze gemacht, die jetzt zum Beispiel unter Windows wie andere reguläre Zeichensätze verwendet werden können:
Das sind die Schriftarten aus der Klasse, dazu meine und die eines Kollegen, der an der Theke im Lehrerzimmer auch rasch mitspielte. Dass manche Schriftarten sich ähnlich sind, liegt am Entstehungsprozess, dazu später mehr. Der Sinn… Wertschätzung von Schriftarten, Reflexion der eigenen Handschrift, Spaß am Gestalten. Dazu informatisch: Vektorgrafiken, Umgang mit Informatiksystemen. Denn der fertige Zeichensatz lässt sich noch bearbeiten; an einzelnen oder allen Zeichen kann man feilen.
Das Grundwissen dazu:
- So ein Zeichensatz besteht aus einer Sammlung von Vektorgrafiken. Jedes Zeichen ist eine kleine Vektorgrafik, die mit einem Programm erstellt werden kann. FontForge ist so ein Propgramm, mit dem man unter anderem TrueType-Dateien einlesen und verändern kann. Open Source, gibt’s auch in portable.
- Man kann handschriftliche Zeichnungen digitalisieren und in eine Vektorgrafik umformen lassen. Inkscape ist ein Programm, mit dem man das machen kann, auch Open Source.
- Für vieles, was man manuell selber machen kann, gibt es Webseiten, die das für einen erledigen.
Unter http://www.myscriptfont.com/ ist so eine Seite. [Nachtrag: Die Seite gibt es nicht mehr, sondern stattdessen einen Nachfolger, für den man sich registrieren muss. Schade! Ich müsste mal schauen, ob es das noch anderswo gibt.] Man druckt eine Vorlage aus (einfacher gleich als png herunterladen und nicht als pdf, weil die pdf-Datei im Letter-Format ist), füllt sie mit schwarzem Filzstift aus. Füller geht nicht so gut, Kugelschreiber und Bleistift gar nicht, denke ich. Doppelt vorsichtig sein bei den Unterlängen, gerade beim g lieber noch zusätzlich Platz lassen. Dann scannt man die Vorlage ein, mit einem echten Scanner, nicht mit dem Handy. Bei Füller muss man unbedingt noch mit der Gammakorrektur kräftig verdunkeln. Die Bilddateien lädt man bei der Seite hoch, und schon hat man seine TTF-Datei.
Mit den richtigen Werkzeugen geht das wirklich im Handumdrehen: Die Schüler-Blätter per automatischem Einzelblatteinzug im Kopiergerät der Schule einscannen und auf USB-Stick speichern. (Das können Kopiergeräte heute.) Allerdings speichert das Kopiergerät das dann alles in einer einzigen pdf-Datei, also braucht man ein Programm, mit dem man aus pdf-Dateien Grafiken (png oder jpg) erstellen kann. Weil ich das oft brauche, habe ich das ohnehin auf meinem kleinen Privatrechner, den ich in der Schule immer dabei habe. Gammakorrektur braucht am längsten, und wenn es mehr gewesen wären, hätte ich den Batch-Modus bei IrfanView genutzt; ist eh auch am Rechner. Morgen kriegen die Schüler und Schülerinnen ihre Fonts, die anderen wollten noch zu Hause an den Vorlagen arbeiten. Danach schauen wir uns die Fonts in FontForge an. Es macht wirklich Spaß, mit Informatiksystemen umgehen zu können.
Mit einem Dienstrechner wäre das alles übrigens nicht gegangen. Deswegen ist es unsinnig, wenn in NRW gerade der Datenschutz dahingehend interpretiert wird, dass Lehrer keine Schülerdaten auf Privat-, sondern nur auf Dienstrechnern verarbeiten dürfen.
– Für meine Zulassungsarbeit in Mittelhochdeutsch im letzten Jahrtausend habe ich übrigens bereits Zeichensätze angepasst. Da ging es um die Analyse einer frühneuhochdeutschen Handschrift hinsichtlich der Schreibung und des mutmaßlichen Lautstands bei Lautveränderungen, und da brauchte ich viele spezielle diakritische Zeichen. Klar hätte ich die alle unter „å“ zusammenfassen können, aber so war es viel lustiger.
Nachtrag: So sieht ein Zeichen aus, wenn man es nachträglich bearbeiten will.
Schreibe einen Kommentar