Die Wissenschaft scheint zu sagen, ich bin ja nicht drin, dass die Klassengröße, ebenso wie viele andere Faktoren, keinen größeren Einfluss auf den Lernerfolg von Schülern und Schülerinnen hat. Kultusministerien hören so etwas gerne, weil große Klassen weniger kosten, und Lehrkräfte hören das weniger gern, weil sie doch irgendwie das Gefühl haben, dass große Klassen anstrengender sind und auf jeden Fall mehr machen. Mir fallen mehrere Möglichkeiten ein, wie man diesen Widerspruch auflösen kann.
Möglichkeit 1: „Das stimmt nicht, ist einfach Unsinn.“ Das ist durchaus möglich. Aber dann sollte man auch etwas entgegensetzen können, um dieses falsche Ergebnis zu erklären, ein einfaches Ablehnen widerstrebt mir.
Möglichkeit 2: „Das liegt daran, dass viele Lehrende nicht wissen, wie man die Vorteile bei kleinen Klassen nutzt.“ Neulich auf Twitter so gehört. Möglich ist das. Ich bin aber immer skeptisch, wenn vielen Mitglieder einer Berufsgruppe Fähigkeiten abgesprochen werden. Und in anderen Staaten, mit nennenswert kleineren Klassen als bei uns, dürfte das Personal doch inzwischen genug Erfahrung damit haben, und das ist doch, was in die großen Studien eingeflossen ist? Also glaubt man hier einfach den Erkenntnissen aus anderen Gründen nicht?
Möglichkeit 3: Kommt darauf an, was man unter Groß und Klein versteht. Zwischen 14 und 16 ist vielleicht kein großer Unterschied, aber zwischen 23 und 25 schon, habe ich neulich gelesen, finde die Quelle aber nicht mehr. Reden wir davon, dass der Unterschied zwischen 22 und 30 Schüler:innen in einer Klasse nicht sehr groß ist? Da kann ich schlecht mitreden, weil bei mir eine Klasse mit 25 schon klein ist.
Möglichkeit 4: Der Vollständigkeit halber, weil auch in dieser verlorenen Quelle gelesen: Es sei nicht berücksichtigt worden, dass Schulen oft die schwächeren Schüler und Schülerinnen in kleinere Klassen geben, und die hätten dann vergleichbare Ergebnisse wie die stärkeren in größeren Klassen, so dass eben kleine Klassen doch etwas bringen. Hm. Innerhalb einer Schule oder Schulart geschieht so etwas kaum, ist damit vielleicht der Unterschied zwischen Schularten gemeint?
Möglichkeit 5: Ich behaupte, an meiner Schulart spielt die Klassengröße als solche tatsächlich eine sehr untergeordnete Rolle für den Lernerfolg der Schüler und Schülerinnen. Die Lautstärke im Klassenzimmer hängt bei mir nicht sehr von der Klassengröße ab, auch die Menge an Unterrichtstörungen nicht, und Gruppenarbeit geht auch mit großen Klassen – ich schicke ohnehin die meisten dabei aus dem Klassenzimmer. Wie gesagt, an meiner Schulart. Wenn ansonsten alles gleich bleibt, sehe ich keinen groß unterschiedlichen Lernerfolg zwischen Klassengröße 20 und 30. Das „ansonsten alles gleich“ ist aber das Problem: Wenn ich ansonsten genau so viel Zeit habe für Korrekturen pro Klassenmitglied, für Korrekturen, für Elterngespräche, für Unterrichtsvorbereitung ohnehin, dann verstehe ich, wie man zu dem Ergebnis kommt, dass die Klassengröße keinen besonderen Einfluss hat. Die Klassengröße hat allerdings einen großen Einfluss darauf, wie viel Zeit ich für die Unterrichtsvorbereitung und die individuelle Rückmeldung habe. (Blogintrag zur Arbeitszeit.) Was natürlich sein kann, dass ich mich genau so schludrig auf Unterricht vorbereite, wenn ich viel Zeit dafür habe, wie wenn ich wenig Zeit dafür habe. Ich hatte noch nicht ausreichend Gelegenheit, das zu vergleichen.
Links:
- Süddeutsche 2022 (mit Konto):
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/schule-bildungssystem-noten-lehrer-e467339/ - Deutschlandfunk 2018: Effekte bei Klassengröße 20 gefunden
https://www.deutschlandfunk.de/studie-zu-schulklassengroessen-weniger-schueler-fuehren-zu-100.html - Süddeutsche 2010: Kein Einfluss der Klassengröße in Grundschule
https://www.sueddeutsche.de/karriere/grundschulklassen-die-groesse-ist-egal-1.1573
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