Wissenschaft: Klassengröße hat keinen großen Einfluss auf den Lernerfolg

(9 Kommentare.)

Die Wissenschaft scheint zu sagen, ich bin ja nicht drin, dass die Klassengröße, ebenso wie viele andere Faktoren, keinen größeren Einfluss auf den Lernerfolg von Schülern und Schülerinnen hat. Kultusministerien hören so etwas gerne, weil große Klassen weniger kosten, und Lehrkräfte hören das weniger gern, weil sie doch irgendwie das Gefühl haben, dass große Klassen anstrengender sind und auf jeden Fall mehr machen. Mir fallen mehrere Möglichkeiten ein, wie man diesen Widerspruch auflösen kann.

Möglichkeit 1: „Das stimmt nicht, ist einfach Unsinn.“ Das ist durchaus möglich. Aber dann sollte man auch etwas entgegensetzen können, um dieses falsche Ergebnis zu erklären, ein einfaches Ablehnen widerstrebt mir.

Möglichkeit 2: „Das liegt daran, dass viele Lehrende nicht wissen, wie man die Vorteile bei kleinen Klassen nutzt.“ Neulich auf Twitter so gehört. Möglich ist das. Ich bin aber immer skeptisch, wenn vielen Mitglieder einer Berufsgruppe Fähigkeiten abgesprochen werden. Und in anderen Staaten, mit nennenswert kleineren Klassen als bei uns, dürfte das Personal doch inzwischen genug Erfahrung damit haben, und das ist doch, was in die großen Studien eingeflossen ist? Also glaubt man hier einfach den Erkenntnissen aus anderen Gründen nicht?

Möglichkeit 3: Kommt darauf an, was man unter Groß und Klein versteht. Zwischen 14 und 16 ist vielleicht kein großer Unterschied, aber zwischen 23 und 25 schon, habe ich neulich gelesen, finde die Quelle aber nicht mehr. Reden wir davon, dass der Unterschied zwischen 22 und 30 Schüler:innen in einer Klasse nicht sehr groß ist? Da kann ich schlecht mitreden, weil bei mir eine Klasse mit 25 schon klein ist.

Möglichkeit 4: Der Vollständigkeit halber, weil auch in dieser verlorenen Quelle gelesen: Es sei nicht berücksichtigt worden, dass Schulen oft die schwächeren Schüler und Schülerinnen in kleinere Klassen geben, und die hätten dann vergleichbare Ergebnisse wie die stärkeren in größeren Klassen, so dass eben kleine Klassen doch etwas bringen. Hm. Innerhalb einer Schule oder Schulart geschieht so etwas kaum, ist damit vielleicht der Unterschied zwischen Schularten gemeint?

Möglichkeit 5: Ich behaupte, an meiner Schulart spielt die Klassengröße als solche tatsächlich eine sehr untergeordnete Rolle für den Lernerfolg der Schüler und Schülerinnen. Die Lautstärke im Klassenzimmer hängt bei mir nicht sehr von der Klassengröße ab, auch die Menge an Unterrichtstörungen nicht, und Gruppenarbeit geht auch mit großen Klassen – ich schicke ohnehin die meisten dabei aus dem Klassenzimmer. Wie gesagt, an meiner Schulart. Wenn ansonsten alles gleich bleibt, sehe ich keinen groß unterschiedlichen Lernerfolg zwischen Klassengröße 20 und 30. Das „ansonsten alles gleich“ ist aber das Problem: Wenn ich ansonsten genau so viel Zeit habe für Korrekturen pro Klassenmitglied, für Korrekturen, für Elterngespräche, für Unterrichtsvorbereitung ohnehin, dann verstehe ich, wie man zu dem Ergebnis kommt, dass die Klassengröße keinen besonderen Einfluss hat. Die Klassengröße hat allerdings einen großen Einfluss darauf, wie viel Zeit ich für die Unterrichtsvorbereitung und die individuelle Rückmeldung habe. (Blogintrag zur Arbeitszeit.) Was natürlich sein kann, dass ich mich genau so schludrig auf Unterricht vorbereite, wenn ich viel Zeit dafür habe, wie wenn ich wenig Zeit dafür habe. Ich hatte noch nicht ausreichend Gelegenheit, das zu vergleichen.

Links:

  • Süddeutsche 2022 (mit Konto):
    https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/schule-bildungssystem-noten-lehrer-e467339/
  • Deutschlandfunk 2018: Effekte bei Klassengröße 20 gefunden
    https://www.deutschlandfunk.de/studie-zu-schulklassengroessen-weniger-schueler-fuehren-zu-100.html
  • Süddeutsche 2010: Kein Einfluss der Klassengröße in Grundschule
    https://www.sueddeutsche.de/karriere/grundschulklassen-die-groesse-ist-egal-1.1573

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9 Antworten zu „Wissenschaft: Klassengröße hat keinen großen Einfluss auf den Lernerfolg“

  1. nicwest

    Die verlorene Quelle klingt nach dem SZ-Artikel „Wer nicht fragt, bleibt dumm“ vom 14.10.22.
    Es kommt natürlich immer auf die Klassen an, aber ich glaube schon, dass die Zahl der Unterrichtsstörungen in größeren Klassen tendenziell höher ist.

  2. Frau Rau

    (Ich muss nur eben enthusiastisch winken, weil hier die nicwest auftaucht, die eine SO große Lücke in der Blog- und Twitterwelt hinterlassen hat!)

  3. Vielen Dank, nicwest, genau der war es! (Ich muss ihn jetzt nur noch online finden, hatte da schon beim letzten Mal Schwierigkeiten.) (Hab ihn, und heißt genau so.)

  4. Hm… Ich tendiere tatsächlich zu Möglichkeit 1, auch wenn ich nur meine eigene Quelle bin, um etwas entgegenzusetzen.
    Auf der Basis eigener Erfahrungen von zugegeben anekdotischer Evidenz aus der Corona-Zeit, in der in der sogenannten „Variante B“ in meinem Bundesland in geteilten Klassen unterrichtet wurde, hat das zu tatsächlich mehr Ruhe im Klassenraum und vor allem (!) zu mehr Zeit für einzelne SuS geführt.
    (Auswirkungen auf die häusliche Vor- und Nachbereitung hatte es allerdings nicht, da die jeweils andere Hälfte ja Aufgaben im Distanzunterricht bekommen hat.)

    Aber ich glaube, Möglichkeit 5 spielt tatsächlich eine Rolle: An meiner Schulform Oberschule schätze ich den Anteil an Unterrichtsstörungen als generell höher ein als am Gymnasium.

    Hinzu kommt meiner Meinung nach aber auch noch eine Nr. 6: das Alter der Schülerinnen und Schüler.
    Ich gehe (wieder ebenfalls ohne Studien) davon aus, dass die Klassengröße in einer 6. Klasse eine größere Rolle spielt als in einer 10. oder 11.

  5. Das stimmt: In der Coronazeit hatten wir auch nur halbe Klassengrößen. Und das Arbeiten war angenehmer. Dazu kam allerdings die heiter-fatalistische Laune im Klassenzimmer und der fehlende Notenballast. Andererseits, so groß war der Lernfortschritt dann vielleicht doch nicht, was böse Leute auf Möglichkeit 2 zurückführen könnten.

    Ist einfach zu undifferenziert, das mit den Klassengrößen.

    (Und, auf Twitter daran erinnert worden: Lernfortschritt ist ja nicht alles. Die Gesundheit der Lehrkräfte ist fürs System ja auch wichtig. Krankenvertretungen und Frühpensionierungen.)

  6. Ich kann nur sagen, dass die Klassengröße einen erheblichen Unterschied macht, zumindest in der Hauptschule. Wir haben das seinerzeit evaluiert, habe allerdings leider keinen Zugriff mehr.
    Wir hatten Jahre, in denen wir die Klassen in den Kernfächern nicht teilen konnten, dann gab es Jahre, da schüttete das ministerielle Füllhorn Stunden aus. Hauptsächlich in den Fächern Mathematik und Englisch gab es bei halbierter Klassenstärke (= ca. 13) wesentlich bessere Ergebnisse. Wohl auch, weil die Störungen gegen Null gingen.
    Nicht zuletzt wegen der außerordentlich guten Ergebnisse und Abschlüsse wurde die Schule mehrfach bepreist.
    Und Thomas, was Du ansprichst: Lehrergesundheit, Krankenvertretungen und Burnouts sind auch Größen, mit denen gerechnet werden muss.

  7. Karin

    Schließe mich Hauptschulblues vor allem im letzten Punkt an. Für mich als Lehrkraft macht die Klassengröße einen ganz erheblichen Unterschied in der Arbeitsbelastung (Korrekturen) und in Folge auch der Arbeitszufriedenheit. Und als einigermaßen zufriedene Lehrkraft (im Rahmen dessen, was in unserem System möglich ist), engagiere ich mich mehr und mache folglich besseren Unterricht, der (vielleicht) bei den SuS zu besseren Leistungen führt…
    Ich habe seit Jahren den Verdacht, dass diese Studien zu Klassengrößen von den Kultusministern bezuschusst werden, um entsprechende Ergebnisse zu erhalten (Verschwörungstheorie kann ich).

  8. Ich stimme voll zu. Nur die Verschwörungstheorie unterschreibe ich nicht mit, das funktioniert auch ohne :-)

  9. Karin

    Bestimmt.
    Was ich noch ergänzen möchte: zur Zeit des Wechselunterrichts während Corona ist mir aufgefallen, dass vor allem ruhigere, introvertierte bzw. zurückhaltende SuS von den kleineren Gruppen dahingehend profitiert haben, dass sie sich viel mehr am Unterricht beteiligt haben ( kann natürlich an der allgemein entspannteren Stimmung auch gelegen haben). Ich behaupte mal frech und ohne passende Studie im Hintergrund, aber mit etwas lernpsychologischem Basiswissen, dass mehr hängen bleibt, wenn ich mich aktiver einbringe. Auch das würde also für kleinere Lerngruppen sprechen.
    Zu Zeiten der Grund– und Leistungskurse ( die älteren erinnern sich vielleicht daran) habe ich allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass Lerngruppen auch ZU klein sein können – ein aus verschiedenen Gründen in der 13. auf acht Teilnehmer geschrumpfter Kurs hat wenig Spaß gemacht.

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