Dieses Blog gibt es jetzt seit zwanzig Jahren und einem Tag, hier der erste Monat mit dem ersten Eintrag vom 26. April 2004. Wir sind alt, stellt Frau Rau immer wieder mal fest, um damit Erscheinungen zu erklären. Meistens geht es dabei darum, warum uns manches leicht fällt oder wir manches verstehen oder wir uns vielleicht nur an so viel erinnern können, weil wir so viel Früher haben.
Vor zwanzig Jahren sah das Internet ganz anders aus. Vor dreißig Jahren auch, aber das ist wieder eine andere Generation. Immerhin, meine erste Homepage ist auch schon mindestens 26 Jahre alt und entstand während meines Referendariats.
Die Wikipedia war noch wenig bekannt, Facebook gab es nur in Ansätzen und nur in den USA, es gab kein Youtube, ich weiß nicht, ob Google schon als Suchmaschine verbreitet war. Weniger Werbung, kein Instagram natürlich; kein Twitter und kein Flickr. Was ist eigentlich aus denen geworden? Es gab Foren und Blogs. (Und Mailinglisten und Webringe.)
Im fein betitelten Internet: Segen oder Fluch von Kathrin Passig und Sascha Lobo (2012) sammeln die beiden die „hundert verschrobensten Internet-Vergleiche“, eine wunderbare Quelle für Metaphorik, auch für den Deutschunterricht. Darunter so bemühte Sachen wie:
Derzeit ist das Internet wie ein Parkhaus mit zwei Schranken, die beide geöffnet sind. In Zukunft wird nur mehr eine oben sein. Bei der anderen muss man eine Münze einwerfen.
Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger
So unerklärte wie:
Das Internet ist wie ein Hund, der immer da ist.
Breger, DJ und Musikproduzent aus dem Ruhrgebiet)
Aber eben auch:
Das Internet ist wie ein weites, neues Land, das immer mehr Menschen mit Homepages besiedeln.
Johannes Gernert in der taz vom 19. Mai.19922012
Die scherzhafte Durchstreichung in der Quellenangabe stammt von Passig-Lobo, denn 2012 war das genau so veraltet wie 2013, als die damalige Kanzlerin das Internet als „Neuland“ bezeichnert. Das war gar nicht so lächerlich, wie es damals gemacht wurde, nur eben eine Utopie und schon nicht mehr wahr. Neuland hat die Hauptbedeutung „unbekanntes Gebiet, auf dem man sich nicht auskennt“, die wohl ursprünglichere Bedeutung ist aber einfach das wörtliche: „unbebautes, unbesiedeltes Gebiet, das man urbar machen und benutzen kann“. Vor zwanzig Jahren war das noch ein bisschen wahr.
Inzwischen besiedelt niemand das Internet mehr. Es gibt große Zentren, das weite Land dazwischen ist leer. Die Menschen bauen sich keine Unterkünfte, ob Blockhütte oder Palast oder geheimes Labor, sondern halten sich in den zentralen Städten auf, wo sie Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen. Man zahlt dort keine Miete, sondern erhält ein Stück Wand, das man möglichst oft neu tapezieren muss, und ist den Launen der Stadtverwaltung ausgeliefert.
Ganz verlassen ist das Land dazwischen aber doch nicht. Ein paar der alten Homepages Häuser Blogs stehen noch. Herr Buddenbohm ist neulich auch zwanzig geworden, Joël ebenso, kid37 im Januar 21 (das ist der, dessen Blog ich oben als Geheimlabor im Kopf hatte). Serendipita bloggt länger als ich, hat aber nicht gefeiert, glaube ich. Texas Jim ist so oft umgezogen, dass ich nicht weiß, wann er angefangen hat. Hotel Mama ist erst neunzehn, lese ich gerade. Cilli und Ciabatta feiert ziemlich zeitgleich mit mir. Rete Mirabile ein paar Woche vorher. Dentaku begeht eben auch die 20. Frau Brüllen ist der gleiche Jahrgang.
Dazwischen Ruinen, stattlich oder ganz abgebaut, aus verschiedenen, auch traurigen, Gründen verlassen.
Und ich blogge hier seit zwanzig Jahren und einem Tag. Damals war ich erst acht Jahre Lehrer, das Referendariat eingeschlossen. Es war eine andere Zeit. Ich bin alt. Aber das ist okay.
Nachtrag, vielleicht nach und nach noch weiter ergänzt: Am Anfang gab es Greymatter, dann Moveable Type, bald WordPress, das damals noch ganz schlicht war. Vor Social Media gab bloggte ich kurze Meldungen, die danach eher zu Twitter passten. Kommentare gab es viele, fast wie später in einem Thread bei Twitter oder in einem Forum. In den meisten Klassen gab es eine Schülerin, selten auch einen Schüler, die sich mit dem Bloggen versuchten. Über Urheberrrecht und Persönlichkeitsrechte machte man sich wenig Gedanken. Feedreader kamen auf und RSS, eine fantastische und demokratische Erfindung. Ich habe noch so gut wie alle im Feedreader, die ich je abonniert habe, auch wenn es die Blogs schon lange nicht mehr gibt. Irgendwann will ich sie wenigstens aufzählen. Schon 2006 wurde ich als „Bildungsblogdinosaurier“ bezeichnet.
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