Beim Stöbern in meinen alten Schulunterlagen habe ich das hier gefunden:

Es handelt sich allem Anschein nach um eine Nachholschulaufgabe (Schulaufgabe: angekündigte große Leistungserhebung) im Fach Englisch, 6. Klasse. Ich vermute, dass sie für einen anderen Schüler oder eine andere Schülerin angelegt wurde, und der Rest der Klasse das Blatt als Übung erhalten hat. Denn erstens hätte ich dieses Blatt zurückgeben müssen, wenn es sich um eine echte benotete Prüfung gehandelt hätte, und zweitens sehen mir die Rotstiftanmerkungen zu sehr nach meiner eigenen Schrift aus; auch der dicke Filzstift wirkt nicht sehr lehrerhaft. (Andererseits sehe ich auch heute bei der Durchsicht von Kollegen-Schulaufgaben gelegentlich solche Filzstifte, und schaudere.)
Ich habe meinen Englischunterricht in guter Erinnerung. Englisch gelernt habe ich auch, obwohl ich nicht weiß, wie viel meine USA-Besuche und meine Lektüre amerikanischer Comics und später Bücher dazu beigetragen haben; mit den Comics fing ich richtig wahrscheinlich erst in der 7. Klasse an. In der 6. Klasse war meine Zeugnisnote zum Halbjahr: 3, zum Schuljahrsende: 2.
Will heißen: Schlecht war der Unterricht nicht. Pattern drill, keine Fotos in den Büchern, nur blaue und rote Farbe bei den Zeichnungen. Und die Schulaufgaben waren eine Seite lang.
Heute hat eine Schulaufgabe in der 6. Klasse vier Seiten.
In der Softwareentwicklung gibt es das Konzept feature creep: Das eigentlich funktionale Programm kriegt noch ein paar Fähigkeiten mehr, und noch ein paar, bis es unübersichtlich und unnötig umständlich und kompliziert wird. Ist da bei den Schulaufgaben etwas Ähnliches geschehen? Man bemüht sich, darin alles abzuprüfen, was die Schülerinnen und Schüler je gelernt haben könnten. Und ja, lobenswert, es ist gerne mal ein Hörverstehensübung dabei und Gelegenheit zu einer gelenkten, aber doch eigenständigen Textproduktion. Aber das viermal im Jahr, jeweils vier Seiten.
Ich würde gerne sagen, dass das eine schleichende Entwicklung ist, aber das sind bestimmt schon seit 20 Jahren vier Seiten. Wann ist denn das passiert? Und warum? Und ist das wirklich sinnvoll – könnte man nicht auch mal auf zwei Seiten prüfen? Einfach – weniger? Was in der Prüfung von damals sicher fehlt, ist mehr oder weniger frei gestalteter Text; der ist heute immer dabei. Das ist auch gut, aber da könnte man das simple past doch gleich mitprüfen statt separat noch einmal eine halbe Seite dazu.
– Darf ich die Schulaufgabe oben überhaupt veröffentlichen, obwohl der Urheber ein anderer Lehrer oder eine andere Lehrerin ist? Aber ja, entnehme ich dem Heft 3 von Schule & wir aus dem Jahr 2016:
Texte und Angaben von schulischen Leistungserhebungen gelten nach der Rechtsprechung nicht als Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (vgl §2 UrhG). Daher genießen sie auch keinen Schutz vor Vervielfältigung, Weitergabe oder öffentlicher Zugänglichmachung. Davon ausgenommen sind Angabentexte zentral gestellter schulischer Abschlussprüfungen wie etwa des Abiturs.
(Ich bin allerdings kein Jurist und kann nichts darüber sagen, wie sehr das auch für eine vor vierzig Jahren erstellte Schulaufgabe gilt.)
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