Die Evolution des Deutschaufsatzes

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In Bayern gibt es am Gymnasium große Leistungserhebungen und kleine. Große gibt es außerhalb der Kursphase der Oberstufe nur in Kernfächern, sie heißen auch „Schulaufgaben“. In den letzten zwei Jahren, während der Kursphase, nennt man sie auch „Klausuren“, aber die offizielle Bezeichnung laut Schulordnung ist auch da: Schulaufgaben.

Die untere Anzahl der Schulaufgaben ist in der Schulordnung vorgegeben, und niemand schreibt mehr als diese untere Anzahl. Wenn der Kultusminister andeutet, die Lehrkräfte hätten da „Spielräume“ und er brauche sie nur aufzufordern, „Augenmaß“ anzuwenden, dann… ist das irreführend. Ja, die „Anzahl nach Satz 1 kann in Ausnahmefällen um eine unterschritten werden.“ Als solche Ausnahmefälle galten bisher: längere Erkrankung der Lehrkraft. Und bei einzelnen Schüler:innen auch deren längere Erkrankung. Wenn eine Pandemie als Ausnahmefall gelten soll, bitte kommunizieren – bereits im Vorjahr hatten die Lehrkräfte an meiner Schule das versucht und sind sind gescheitet. Aber dann kam ja der berittene Bote des Kultusministeriums mit Streichungen; ich habe diesem System entnommen, dass wir auf diesen zu warten haben.

Ersatz von Schulaufgaben

Was allerdings möglich ist: 1 Schulaufgabe pro Jahr durch etwas anderes ersetzen, wenn das am Anfang des Schuljahres so beschlossen wird. Das sind die sogenannten Modus-Maßnahmen aus einer Anlage zur BaySchO. Interessant sind da vor allem folgende:

  • Angesagte „Tests“ im Turnus von sechs Wochen statt Schulaufgaben
  • Debatte ersetzt je eine Schulaufgabe (Aufsatz) in Deutsch und bzw. oder Fremdsprachen
  • Präsentation ersetzt eine Aufsatzschulaufgabe
  • Test aus formalsprachlichen und Sprachverständnisanteilen in Deutsch ersetzt eine Aufsatzschulaufgabe

Das erste scheint mir für Deutsch nicht möglich, mehr dazu weiter unten, ansonsten: Hat das schon mal jemand ausprobiert? Punkt 4 machen wir an meiner Schule regelmäßig, es flattern aber immer wieder Schreiben aus dem Kultusministerium an die Schule, dass wir das nicht machen solle, zefix, weil Aufsätze so viel wichtiger sind.

Die Sonderstellung der Deutsch-Schulaufgabe

Wie man an diesen Modus-Maßnahmen bereits sieht: Alle Schulaufgaben sind gleich, aber manche sind weniger gleich – nämlich die Schulaufgaben im Fach Deutsch. In allen Fächern dauern Schulaufgaben maximal 60 Minuten (5-11) beziehungsweise maximal 90 Minuten (12-13). Nur in Deutsch „kann die Bearbeitungszeit unabhängig von Satz 1 ab der Jahrgangsstufe 8 angemessen erhöht werden“ – wir erfahren nicht direkt, warum, aber es scheint ein Anliegen gewesen zu sein.

Der Grund ist wohl der, dass Deutsch-Schulaufgaben Aufsätze sein müssen. Weil… weil… ja, weil… uh, wo steht das eigentlich? Spoiler: Nicht in der BaySchO und nicht in der GSO, es kommt also nicht vom Gesetzgeber – und es steht auch nicht im Lehrplan. Allerdings schließt die BaySchO aus: „Im Fach Deutsch sind Diktate oder grammatische Übungen als Schulaufgaben nicht zulässig.“ Darüber hinaus ist die akzeptierte Lehrmeinung: a) Deutschschulaufgaben sind vollständige Aufsätze und b) zu diesem Zweck gibt es Übungsaufsätze, die von der Lehrkraft korrigiert werden.

Kein einziges anderes Schulfach kennt derartige Regelungen.

Die Geschichte der Deutsch-Schulaufgabe

1. Im Lehrplan des Gymnasiums ab 1990 sind die Schulaufgabenarten explizit vorgegeben:

  • „Als Schulaufgabe verpflichtend sind eine Inhaltsangabe eines poetischen Textes, ein Protokoll sowie eine begründete Stellungnahme mit Gliederung.“ (Jahrgangstufe 8)
  • „Als Schulaufgabe verpflichtend sind eine erweiterte Inhaltsangabe eines poetischen Textes, ein Protokoll sowie eine Erörterung mit Gliederung. Lebenslauf und Bewerbung können nicht Gegenstand einer Schulaufgabe sein.“ (Jahrgangstufe 9)
  • „Als Schulaufgabe bzw. Deutsche Hausaufgabe verpflichtend sind eine Problemerörterung und eine literarische Erörterung sowie eine Interpretation eines poetischen Textes, jeweils mit Gliederung.“ (Jahrgangstufe 11)

Das heißt, es gab klar unterschiedene Schulaufgabenformen: Inhaltsangabe, erweiterte Inhaltsangabe, Erörterung, Problemerörterung.

2. Im Lehrplan des Gymnasiums ab 2003, dem 8-jährigen Gymnasium, sind diese expliziten Aufgabentypen teilweise nur noch implizit vorhanden und mitunter in Verbal- statt Nominalform gegegeben (statt „Bericht“ jetzt „berichten“). Aber sie existieren weiterhin. Das Wort „Schulaufgabe“ ist aber aus dem Lehrplan gestrichen, in ergänzenden Bemerkungen außerhalb des Lehrplans heißt es, dass aber nur die unter dem Stichpunkt „Schreiben“ genannten Punkte in einer Schulaufgabe geprüft werden dürfen, zum Beispiel:

  • „von überschaubaren Geschehnissen berichten; einfache Vorgänge beschreiben“ (Jahrgangsstufe 5, hieß davor: Bericht, Vorgangsbeschreibung)
  • „Inhaltsangaben und einfache Erörterungen schreiben“ (Jahrgangsstufe 8, hieß davor: Inhaltsangabe, Erörterung)

Dementsprechen halten sich im Schulalltag auch die alten Bezeichnungen Bericht, Vorgangsbeschreibung, Inhaltsangabe, erweiterte Inhaltsangabe, Erörterung, dialektische/Problemerörterung, auch wenn der Lehrplan sie nicht mehr hergibt. Der Lehrplan ist wenige Jahr vor der Kompetenzorientierung entstanden, aber er riecht schon ein wenig danach, wie auch immer man diesen Geruch einschätzt.

3. Im Jahr 2017 wurde mit viel Aufwand ein kompetenzorientiert LehrplanPlus eingeführt, der aber gleich arauf gekippt wurde, weil das 9-jährige Gymnasium so schnell eingeführt wurde wie es dereinst abgeschafft worden war. Im aktuell gültigen LehrplanPlus ist die Situation folgende, hier am Beispiel der Jahrgangsstufe 7:

  • Die Schülerinnen und Schüler „wenden die Grundformen schriftlicher Darstellung (Erzählen, Informieren und Argumentieren) der Schreibsituation angemessen an.“ Das heißt, es werden diese drei Grundformen postuliert, und möglichst oft sollen sie gemischt auftreten – im Anschluss an das Informieren ein bisschen Argumentieren, und das Argumentieren mit einem erzählenden Einstieg oder einer Anekdote auflockern, wohl.
  • Die Schülerinnen und Schüler „verfassen informierende Texte über einfache Sachverhalte [materialgestützt]“ oder „informieren über das Thema und wesentliche Handlungsschritte literarischer Texte“ – in Jahrgangsstufe 8 erweitert zu: „informieren über literarische Texte, indem sie das Thema formulieren und den Inhalt sowie wesentliche Zusammenhänge darstellen.“
  • Die Schülerinnen und Schüler „nehmen begründet Stellung zu Themen ihres Erfahrungsbereichs“, was früher, also schon immer, als Schulaufgabenart „Begründete Stellungnahme“ hieß, jetzt aber nicht mehr.

Heißt: Es gibt keine fixen Schulaufgabenarten mehr. Es gibt nur die drei Grundformen Erzählen, Informieren, Argumentieren. Angekommen ist das in der Schule noch nicht richtig, und ich weiß auch nicht, ob das wirklich gewollt ist: Wir stellen immer noch Begründete Stellungnahmen, Berichte, Vorgangsbeschreibungen, Inhaltsangaben und erweiterte Inhaltsangaben als Themen. Das liegt an Entscheidungen des Kultusministeriums. In einem KMS steht zum beispiel explitit für die 7. Jahrgangsstufe:

  • „Daher ist die Inhaltsangabe als Schreibform für eine Schulaufgabe erstmals ab Jgst. 8 vorgesehen, in Jgst. 7 dezidiert nicht mehr.“

Also gibt es jetzt doch noch die Inhaltsangabe als Schreibform? AHEM. KANN ICH DANN BITTE EINE AMTLICHE LISTE DER SCHREIBFORMEN HABEN?

Die Rolle der KMS

Laut BaySchO dürfen Deutsch-Schulaufgaben keine „Diktate oder grammatische Übungen“ sein. Sonst steht nirgendwo etwas zu dem Thema, was in eine Deutsch-Schulaufgabe soll – außer in diversen KMS. Ein KMS ist ein Schreiben und eine Dienstanweisung von irgendjemand aus dem Kultusministerium. Davon gibt es viele, sehr viele. Im Ministerium, so erzählte mir ein Mitarbeiter, gibt es auch keinen Überblick darüber, welche KMS wann von wem verschickt wurden und welche noch gelten und welche nicht. Es gibt dementsprechend auch für uns Lehrkräfte kein Archiv, keine Stichwortsuche. Manchmal findet man ein altes, verstaubtes KMS, in dem zum Beispiel steht, dass Verbindungslehrkräfte ein Anrecht auf eine Anrechnungsstunde haben, dann kann man damit winken und darauf pochen, sonst halt nicht. (Beispiel aus meiner Personalratszeit.) So ein KMS ist manchmal ernst gemeint, manchmal nicht. („Wir bitten Sie deshalb, im Zuge der Erstellung des Medienkonzeptes an Ihrer Schule verbindlich sicher zu stellen.“)

Für Deutsch und Englisch gibt es immer mal wieder Schreiben von jemand Zuständigem, auf was man bei Prüfungen oder Sonstigem zu achten hat. Die sind ernst gemeint. In der Regel ist das ein Ministerialrat oder ein Ministerialdirektor, jemand, der es wahrscheinlich sogar gut meint, jemand, der sich vielleicht Rat bei einer notgedrungen sehr kleinen Zahl an Fachleuten oder Menschen von der Universität einholt – vielleicht aber auch nur jemand mit Erinnerungen an die eigene Schulzeit und einer Meinung dazu. So kommt es zu unter Fachleuten umstrittenen Regelungen im Englischunterricht. (Jochen Lüders hat dazu etwas geschrieben) Und auch für Deutschaufsätze gibt es solche KMS.

KMS für den Aufsatzunterricht

1. Ganz früher, zum ganz alten Lehrplan, stand da: Vor bekannten Schulaufgabenformen muss mindestens 1 Übungsaufsatz geschrieben werden, bei neuen Schulaufgabenformen sogar 2. Und was eine Schulaufgabenform war, das stand ja explizit im Lehrplan, siehe oben – eine „Inhaltsangabe“ ist eine andere Form als eine „erweiterte Inhaltsangabe“.

2. Zum nicht ganz so alten Lehrplan des 8-jährigen Gymnasiums wurde schon weniger verlangt: „Jede Schulaufgabe bedarf der Vorbereitung durchschriftliche Übungen; die Anforderungen der geschlossenen Darstellung sind dabei angemessen zu berücksichtigen. Die schriftlichen Übungen, darunter bei neu eingeführten Formen ein vollständiger Übungsaufsatz.“ Das heißt übersetzt: Bei neuen Formen 1 Aufsatz, in anderen Fällen muss schon irgendwie schriftlich geübt werden, eventuell aber auch nur in Form von Aufsatzteilen. Was eine neue Form ist… schon schwieriger, weil die ja nicht mehr explizit im Lehrplan steht. (Außerdem stand im gleichen Schreiben, dass die Gliederung wesentlicher Teil des Aufsatzes ist und mit benotet werden muss, was ein paar Jahre später abgelöst wurde dadurch, dass die Gliederung kein wesentlicher Teil des Aufsatzes ist und nicht mit benotet werden darf. Das senkt das Vertrauen in solche Schreiben.)

3. Aktuell gilt ein KMS aus dem Jahr 2016. Dort steht, dass das erzählende, informierende und das argumentierende Schreiben Grundformen sind, die von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe weiterentwickelt werden „in geeigneten Textsorten zunehmend kombiniert werden“ können. Dabei „kommt den in der Realität vorfindlichen Textsorten eine besondere Bedeutung zu.“ (Außer beim Abitur, wo man stolz darauf ist, dass es für die meisten Textsorten eben kein Vorbild „in der Realität“ gibt, denn eine solche Aufgabe „dient dem Erkenntnisgewinn“ und „erfüllt eine dezidiert
wissenschaftspropädeutische Funktion.“ Aber das ist ein anderes Thema.)

Über alle Jahrgangsstufen hinweg gilt: Schreiben lernt man durch Schreiben. Darum sollten die Lernenden – neben umfassenden Schreibaufträgen – zahlreiche Gelegenheiten erhalten, kürzere Texte zu verfassen.

Okay… darf ich die dann auch als Schulaufgabe stellen? Ich finde da nichts, das dagegen spricht. Ein „in sich geschlossener Text“ soll es sein – da gibt es auch kurze.

Die Schreibprodukte sollen regelmäßig einer kriteriengeleiteten Rückmeldung durch die Lehrkraft unterzogen werden;

Okay… Rückmeldungen in Form eines Kriterienkatalogs zum Ankreuzen sind aber weiterhin nicht zulässig.

Vor der Schulaufgabe erhalten die Lernenden gezielte Rückmeldungen von Seiten der Lehrkraft zu schriftlichen Übungen, die die Aufgabenform vorbereiten, darunter bei neu eingeführten Formen zu einem Übungsaufsatz.

Ahem. Ich wiederhole: Was sind diese ominösen Schulaufgabenformen? Was sind „neu eingeführte Formen“, wenn es doch vor allem um das Erzählen, Informieren, Argumentieren geht, und am besten in Mischform? Ist das Fortführen eines Anfang eine neue Form, wenn man schon Erzählen auf Basis von Reizwörtern gemacht hat? Ist Argumentieren in 9 eine neue Form im vergleich zu Argumentieren in 8 oder in 7? Wenn davon abhängt, ob ich einen ganzen Übungsaufsatz korrigieren muss oder nicht, spielt das doch eine gewisse Rolle.

Es klingt so, als sei das Kultusministerium nicht mit dem aktuellen Lehrplan vertraut. Das Konzept Schulaufgabenform stammt noch vom vorletzten.

Fazit

Wir sollten kürzere Aufsatz-Schulaufgaben schreiben, nur jeweils 1 Seite oder so, später auch mal 2. Das sind 200 bis 400 Wörter. Das reicht, um zu informieren, zu erzählen, zu argumentieren. Und wir sollten keine vollständigen, überholten Aufsatzformate verwenden, sondern kurze Schreibanlässe: den passiv-aggressiven Zettel für den Nachbarn oder Mitbewohner, die Weihnachtskarte, den Beileidsbrief.


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18 Antworten zu „Die Evolution des Deutschaufsatzes“

  1. Poupou

    Das Ministerium fragt die einzelnen Schulen ab wie viele Deutschaufsätze sie schreiben lassen? WTF…

    Liebe Grüße
    Poupou

    Ps. Das Datenschutzkästchen zum Anhaken ist in der mobilen Ansicht kaum sichtbar klein -Absicht?

  2. >Das Ministerium fragt die einzelnen Schulen ab wie viele Deutschaufsätze sie schreiben lassen

    Es gibt keinen Grund, abzufragen: Die Zahl der bewerteten Aufsätze ist einfach vorgegeben (und es gibt Strukturen, die dafür sorgen, dass man sich an die Vorgaben hält). Die Zahl der Übungsaufsätze eventuell auch, aber das wird nicht überprüft. Aus bayerischer Sicht ist das nicht dramatisch, weil immer schon so, und ich halte das auch ga rnicht für schlecht, erst einmal.

    Datenschutzkästchen: Nein, keine Absicht, bei Gelegenheit schaue ich mir das an, danke.

  3. (Nachtrag Datenschutzkästchen: Betrifft nur iOS, und damit alle Browser dort. Die Kästchen stammen aus verschiedenen Plugins oder anderen Quellen und haben andere CSS-Einstellungen. Ich muss mich erst einarbeiten, bevor ich das ändern kann.)

  4. philosophony

    Denkt menschin jedoch vom Ende her (verpflichtende Abiturprüfung im Fach Deutsch als Aufsatz), dann ergibt sich da mit dem Vorschlag Kurztexte verfassen zu lassen eine gewisse Lücke bei einseitigen und zweiseitigen Übungs- und Prüfungsaufsätzen. Denn was machen denn die Beschulten dann nach zweiseitigem Geschreibsel mit der ganzen überschüssigen Zeit bei einer aktuell 315 Minuten langen Reifeprüfung? Bisher waren Abituraufsätze ja so zwischen sechs und zwölf Seiten lang. Wer das physisch und konzeptionell nicht ausreichend trainiert hat, kann das dann weder physisch (handschriftlich) noch konzeptionell bewältigen. Ich könnte mir vorstellen, dass dann Texte in der Struktur handschriftlicher „copy & paste“- Unfälle entstehen, wie sie in meinen Klassen (9 und 10) aktuell wohl als Folge der pandemischen Tastschreibära auftreten.
    Das zweite Problem sind bisher die Inhalte des aufwachsenden G9-Lehrplans, die sich ja bestimmt dann auch in den Abiturprüfungsformaten wiederfinden, oder?
    Diese wiederum orientierten sich, jedenfalls vor der Pandemie, an den Konvergenzforderungen der KMK und auch bestimmter Bundesländer. Das bescherte dann Bayern ein paar neue, überflüssige Aufsatzformate und auch die Abschaffung der Gliederungen als bewerteter Teilleistung von Oberstufenprüfungen. Letzteres wurde begründet damit, dass die Konzeption einer schriftlichen Arbeit ja etwas anderes sei, als deren (dann noch geordnete?) Niederschrift von Gedanken im Sinn der Aufgabenstellung. Einen solchen methodischen Schwachsinn aus der Schuljuristenecke hatte ich bis dahin noch nie gehört. Sei’s drum. Insgesamt ist der Befund wohl richtig. Unsereins soll im methodischen Blindflug erahnen, wo sich in drei Jahren die Landung anbahnt.

  5. Ich denke in diesem Fall erst einmal an die Deutsch-Lehrkräfte und nicht an die Schüler und Schülerinnen. Wir müssen uns selber helfen; das Kultusministerium wird das nicht tun. Und wenn ich an die Schüler und Schülerinnen denke, dann auch nicht vom Ende her, oder jedenfalls nicht von den Abiturprüfungen her. Die haben mit dem Lehrplan und dem Bildungsziel ja auch weniger zu tun, als man meint.

  6. -thh

    „In der Regel ist das ein Ministerialrat oder ein Ministerialdirektor“

    Das halte ich für möglich, aber eher unwahrscheinlich. (Der Unterzeichner des Schreibens mag das sein, der dafür auch die Verantwortung übernimmt, aber das ist oft genug nicht der Verfasser; in der Verwaltung ist es üblich, dass solche Aufgaben delegiert und dann vom Verantwortlichen nur gezeichnet werden. Der tatsächliche Autor ist dann regelmäßig anderswo zu finden; oft steht er rechts oben im Briefkopf.)

  7. Jemand aus dem Ministerium hat mir das auch mal erklärt und gezeigt, wo man den eigentlichen Verfasser sieht. Aber ich meinte ja Zuständige, und außerdem sind die ja inhaltlich verantwortlich und treffen, insbesondere in dieser Hierarchie, die Entscheidungen – ich kenne Fälle, wo das der entsprechenden Person auch ein großes Anliegen war.

  8. Phony!

    Ich hab halt was dagegen, Löcher zu schaufeln, die ich am Schluss wieder zuschütten soll. Das hat sowas von texanischer Chain Gang oder Schlimmerem. Und deswegen ist mir egal, wie groß die Löcher sind oder ob man sie durch viele kleine Löcher ersetzen kann. Natürlich kann man sich Sisyphos als glücklicheren Lehrer vorstellen, wenn der Stein, den er wälzen muss, kleiner ist, er bleibt aber genauso sinnlos wie ein großer. Und ich gehe jede Wette ein: schneller oben, heißt für Herrn S. auch öfter wieder unten anfangen.

  9. Interessante Feststellung: Dass es diese KMS-Anweisungen in anderen Bundesländern nicht in dieser Detailliertheit gibt, wusste ich. Aber bei uns scheint das auch nur in Deutsch und Englisch zu sein – in Mathematik gibt es das wohl nicht.

    Nicht mal so etwas wie: „Statt jedes Jahr darüber zu klagen, dass die SuS die Textaufgaben im Abitur nicht verstehen, soll man mindestens so und so oft eine vergleichbare Textaufgabe stellen, um das zu üben.“ Nichts, nada.

    Ein Kollege vermutete, in Deutsch und Englisch säßen aufgrund der Struktur der Fächer mehr Besserwisser als in Mathematik, und ich kann mir sogar vorstellen, dass da etwas dran ist.

  10. Frau S. aus N.

    Blick über den Tellerrand (https://www.km.bayern.de/medien/km_links/datei/WeiterentwicklungAltsprachenLPPlus.pdf): Bei den Alten Sprachen gibt das entsprechende KMS g a n z detaillierte Anweisungen, wie Schulaufgaben auszusehen haben. Da bleibt keine Frage offen! Und bei den Lateinlehrenden gibt es doch normalerweise nicht den Verdacht, dass sich da eine linksversiffte Gruppe zusammengefunden hat, die der besonderen Aufsicht durch das Ministerium bedarf.
    Eine Evolution von Lehrplan zu Lehrplan gibt es tatsächlich auch. Die Übersetzung ins Deutsche ist natürlich unantastbar (sie umfasst nur mit jedem Lehrplan ein paar Wörter weniger), aber die Gestaltung des Aufgabenteils hat sich mit dem Übergang zum LehrplanPlus doch ziemlich stark verändert. Zur Überraschung mancher Kollegen – wir sind doch ein eher traditionsbewusstes Völkchen.

  11. Sehr interessant, danke! Schmunzeln musste ich, als der unterzeichnende Ministerialrat – mit Jurahintergrund? – seine Lateinkenntnisse zu demonstrieren nicht umhin konnte: „Der Umgang mit Texten kann im Aufgabenteil der Schulaufgabe aus prüfungstheoretischen Gründen (ne bis in idem!) nicht am Übersetzungstext geprüft werden.“

    Und schon sind in meinen Augen die Lateinschreiben so etwas wie die Asterixhefte unter den KMS.

  12. Frau S. aus N.

    Die meinen das Ernst! Hatte gerade ein „Ne bis in idem“ unter einer Sache, die unsere Lateinfachschaft zur Überprüfung vorlegen musste.

  13. Ein interessanter Einblick in verwickelte Vorgaben samt historischer Herleitung, ergänzt um traditionsverbundene Praxis.

    Über ein- bis zweiseitige Aufsätze wäre ich auch froh; dass wir Schüler*innen zumuten, in 90 Minuten formvollendete Aufsätze zu schreiben, ist im Grunde auch nicht wirklich fair.

    Was mindestens für die Oberstufe wichtig sein dürfte, ist die Ausrichtung an den früheren EPA und jetzigen Bildungsstandards, in denen dann explizit bestimmte Aufgabenformate benannt werden, die ja dann durchaus auch vorbereitend geübt werden müssten: in Schleswig-Holstein wird das in den Fachanforderungen umgesetzt, die dann auch Interpretation, Erörterung pragmatischer/literarischer Texte, Analyse pragmatischer Texte sowie das materialgestützte Schreiben nennen …

  14. Karin

    Ein hochinteressantes Thema, inklusive der Kommentare. Natürlich würde ich als Deutschkollegin vor allem in der Oberstufe (Pardon, Qualifikationsphase heißt das ja jetzt) kürzere Schülertexte durchaus begrüßen. Andererseits sehe ich schon eine gewisse Schwierigkeit darin, komplexe Sachverhalte in begrenzter Wortzahl zu bewältigen. Eine Gedichtinterpretation kann ich schlecht auf die erste Strophe beschränken, nur als Beispiel. Begrüßen würde ich es, wenn gerade in 11/12 die Schüler nicht mehr handschriftlich arbeiten müssten, sondern die Möglichkeiten einer Textverarbeitung nutzen könnten. Das würde eine viel realistischere Arbeitsweise ermöglichen, mit Überarbeitungen, problemlosem Umstellen von Textteilen usw. Ich als Lehrkraft müsste mich nicht durch grauenvolle Handschriften quälen und hätte insgesamt viel mehr Spaß beim Korrigieren. Das merke ich immer dann, wenn ich Seminararbeiten korrigiere – obwohl diese deutlich mehr Seiten haben, geht es schneller.
    Generell stimme ich der These zu, dass man Schreiben nur durch Schreiben lernt – aber das kann auch mal gemeinsames Verfassen eines Textes sein, oder das Überarbeiten eines korrigierten Textes. Gerade das Überarbeiten wird ohnehin zu wenig genutzt, finde ich. Die meisten Schüler schauen doch bei den Übungsaufsätzen nur auf das, was drunter steht…
    Was ich allerdings total ablehne, sind diese Schulaufgabenersatzformen (aka Tests angelehnt an die Jahrgangsstufentests, die ich auch völlig überflüssig finde) — das hat für mich nichts mit Deutsch zu tun, wie ich das Fach unterrichten möchte. Und weniger Arbeit machen die Dinger auch nicht. Nur unangenehmere. (Meine Meinung — ich hasse diese Abhakekorrekturen wirklich sehr)

  15. Ich müsste es mal ausprobieren: Was passiert, wenn man den SuS ein Gedicht gibt, die übliche Zeit, und dann sagt: Du hast 400 Wörter und nicht mehr; schreib mir das Klügste, was du zu dem Gedicht sagen kannst? Ich kann mir vorstellen, dass da Bewertbares herauskommt.

    Noch aus meinem Referendariat habe ich einige Sammlungen von Interpretationen, etwa zu Lyrik. Angestaubt, aus einem fernen Jahrtausend, dennoch: da sind etwa 70 Gedichte in einem Band, jeweils mit meist 3 verschiedenen Interpretationen. Die sind von Fachleuten geschrieben, klar, und es sind Auszüge aus längeren Aufsätzen, gewiss, und sie verzichten auf die leckersten Stücke der heiligen Kuh, Einleitung und Schluss – aber muss man aus dem geschlachteten Gedicht denn immer ein vollständiges Menü zubereiten, nose to tail schön und gut, aber wer soll denn das auf einen Satz essen? Vielleicht gelegentlich mal, zu einem Fest, aber zwischendrin kann man doch auch nur das Filet oder das Zwerchfell oder die Querrippe nehmen und daraus etwas Leckeres zubereiten?

    Aber eigentlich wollte ich auf diese Auszüge hinaus: Die sind auch höchstens 400 Wörter lang und ergiebiger als das, was ich in der Schule lese.

  16. Karin

    Mich juckt es gerade in den Fingern, das tatsächlich mal auszuprobieren (mit den 400 Wörtern). Vielleicht als Übung in meiner Q12… Mir fällt gerade noch ein, dass in irgendeiner Fortbildung/Fachbetreuertagung der Tipp kam, man solle die Schüler Thesen zu dem zu interpretierenden Text aufstellen lassen, die sie dann am Text belegen müssen. Auf dieser Schiene könnte man auch für kürzere Aufsätze sorgen – Thesen müssen zwar aufgestellt, aber nur zwei belegt werden, zum Beispiel… Möglicherweise ist man tatsächlich schon zu eingefahren (und zu sehr von den KMS indoktriniert)?
    In jedem Fall danke für die Denkanstöße, die hier immer wieder kommen!

  17. Bei mir passt das zeitlich gerade schlecht, auch Q12, sonst würde ich das mal versuchen. Vielleicht als Übung, nach der nächsten (letzten, bald kommenden) Klausur. Bei mir als Schreibendem würde die Beschränkung zuerst dazu führen, dass ich im Verlauf des Schreibens um mehr bettle, und dann müsste ich halt kürzen. Im Idealfall kommt ein: „Aber ich wollte doch noch sagen“ – vielleicht nimmt es auch Druck heraus, wenn nicht so viel Text erwartet wird? Ausprobieren, mal, ich auch.

  18. […] Aufsätze geschrieben dürfen und welche nicht und welche Übungsaufsätze vorgeschrieben sind. (Ausführlicher Blogeintrag dazu.) Die Noten entstehen zu 2/3 aus den vorgeschriebenen Aufsätzen, da liegt es nahe, auch 2/3 […]

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