An sich mag ich die liminale Phase der letzten Schulwochen.
Liminale Phase: Schwellenzustand, in dem sich Individuen oder Gruppen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben. (Wikipedia)
Individuen und Gruppen: das sind Klassen, Schüler und Lehrer. Da sind tatsächlich einige dabei, die man unbedingt als „Individuum“ bezeichnen muss.
Die herrschende Sozialordnung: das sind die GSO, die Hausordnung, das regelmäßige Abhalten von und Erscheinen zum Unterricht, und weitere Regeln.
Die rituelle Ablösung: findet seit Wochen statt. Ritual folgt Ritual. Abistreich, die Abiturfeier, die Kursfahrten der Kollegstufe, die Extrawünsche diverser Alphatierchen, die Abwesenheit der Schüler durch Chorproben, Ökumenischen Arbeitskreis, sonstige AGs, zuletzt (oder auch nicht zuletzt) der Notenschluss und die Zeugniserstellerei – alles höchst liminalisierend. Irgendwas ist ja immer, und zwar gleichzeitig.
Heute war der Lateinmarsch. Der ist schon seit Jahren nicht mehr so unsäglich wie früher, als die Schüler noch fröhlich Bücher verbrannt und sich nichts dabei gedacht haben. Heute feierten sie ihre humanistische Bildung, indem sie auch für sich einen Abistreich en miniature und eine Auszeit vom Unterricht reklamieren. (Die außerschulische Feier am Vorabend hat Nachwirkungen, von denen ich leider nichts erzählen darf. Muss mal fragen, ob das Bücherverbrennen einfach nach draußen verlegt wurde.) Komm mir noch ein Lateinlehrer mit dem Argument, dass die Schüle da irgendetwas Humanistisches mitnehmen.
Man kann es vielleicht zwischen den Zeilen herauslesen: Ich unterstütze diesen Lateinmarsch nicht. Als mich heute in der Pause einige in Betttücher gewickelte Elftklässlerinnen durchaus höflich baten, ihnen „alle Lateinlehrer, die gerade da sind“ zum Spielen hinauszuschicken, bot ich mich an, den anwesenden Lateinlehrern das auszurichten. War aber keiner da. Der Bitte, ihnen die Räume zu nennen, in denen diese Lehrer gerade unterrichteten, auf dass man sie aus dem Unterricht holen könne, kam ich allerdings nicht nach. Da waren die Grazien enttäuscht.
Ich habe gar nicht mal so viel gegen Schüleraktionen. Aber ein bisschen Widerstand müssen wir Lehrer ihnen noch bieten. Soll die Schule jetzt tatsächlich eine Liste mit Räumen und Lehrern anbieten? Ein bisschen was müssen sie schon auch selber machen.
Zurück zur liminalen Phase. Alles geht durcheinander, Unterricht findet sehr viel spontaner statt. Das gefällt mir. Ich komme auch gut zurecht, mache halbwegs sinnvolle Sachen. Und zeige keine Filme. Unterrichtsbesuche der Schulleitung sollten allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht mehr stattfinden, finde ich.
Im Kollegium breitet sich Galgenhumor aus. Kollege Z. hatte gestern Kasperlfiguren dabei, um mit der Unterstufe Kasperltheater zu spielen. Das ist gar schönes Spielzeug für Erwachsene. Über unsere Kaffeetheke gelehnt lässt sich hervorragend mit diesen Puppen kommunizieren. Sehr therapeutisch, brauchen wir unbedingt mehr davon. Die entstandenen Dialoge kann ich hier nicht wiedergeben.
Trotzdem freue ich mich schon auf die Ferien. Die Schüler sind in Ordnung, aber bei aller Liebe: Ein paar Wochen lang keine Kollegen, das kann mir nur gut tun.
Nachtrag: Ach ja, Papierstapel. Ich halte halbwegs Ordnung. Aber so in der ersten oder zweiten Juliwoche, da gebe ich auf, und staple nur noch. Das ist dann so die letzte Sprintstrecke bis zu den Ferien, die halte ich ohne Ablage durch. Danach ist dann Ausmisten.
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