Ich habe anscheinend ein Faible für moderne Romane, die im 19. Jahrhundert spielen – wenn sie nur abenteuerlich genug sind (siehe meine Begeisterung für die Flashman-Serie). Boris Akunin, ein zeitgenössischer russischer Schriftsteller, schreibt unter anderem Kriminalromane um Erast Fandorin, einen aufstrebenden Kriminalpolizisten im Zarenreich; den ersten davon habe ich gelesen.
Ein Student erschießt sich in Moskau im Jahr 1876 unter geheimnisvollen Umständen. Es gibt weitere Todesfälle und Erbschaften, geheimnisvolle und gemeinnützige Organisationen, Reisen nach England, Glückspiel und Frauen. Zugreisen mit viel Plüsch, Attentate, Bombenleger. Das Buch ist vergnüglich zu lesen und sehr spannend. Es ist kein historischer Roman, jedenfalls nicht so wie wie Flashman: Akunin versucht nicht, seinen Roman mit historischen Ereignissen zu verflechten, Fandorin zu einer historischen Figur zu machen. Die Geschichte ist nur Zeitkolorit, das aber sehr schön.
Der Klappentext vergleicht das Buch mit Tolstoi, James Bond und Sherlock Holmes. Tolstoi: Habe ich zu wenig gelesen (nur mal die Kreutzersonate). James Bond: Es gibt Geheimorganisationen und Geheimgänge und modernste Technik (und sei es nur das Herrenkorsett, das Fandorin trägt, und das ihn vor manchem Messerstich bewahrt). Zum Finale findet sich der Held gefangen im Hauptquartier des Schurken, wo ihm eine Gehirnoperation droht). Sherlock Holmes? Das sehe ich weniger. Eher Robert Louis Stevenson mit dem Selbstmörder-Club, oder Joseph Conrad mit The Secret Agent. Vor allem ist da aber viel Jules Verne: Verfolgungsjagden durch halb Europa, moderne viktorianische Technik, atemberaubende Spannung. Ich freue mich schon auf die nächsten Bände.
Nachtrag: Ich habe gerade Türkisches Gambit gelesen, Fandorins nächstes Abenteuer. Leider recht fade: Es geht um die Belagerung einer Stadt. Das ganze Buch durch. Viel Schauplatzwechsel ist also nicht. Das Geschehen verfolgt man aus der Sicht einer wenig interessanten Frau, die sich an den Kriegsschauplatz verirrt hat. Es gibt einen Oberschurken, dessen Identität peinlich früh offensichtlich ist und doch das große Geheimnis zum Schluss sein soll. Lediglich das letzte Kapitel und der Epilog sind wieder einigermaßen interessant und zeigen das Geschehen aus einer interessanten neuen, strategischeren Perspektive.
Nachtrag II: Mord auf der Leviathan: Etwas besser. Mord auf einem Ozenadampfer. Nichts, was Agatha Christie nicht schon geschrieben hätte, dazu eine Spur Wilkie Collins, weil’s um orientalische Juwelen geht. Und für erfahrene Krimitmitleser vorhersehbar.

Schreibe einen Kommentar