Wer bist du, Fürst, dass ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wagenrad,
Zerschlagen darf dein Ross?Wer bist du, Fürst, dass in mein Fleisch
Dein Freund, dein Jagdhund, ungebleut
Darf Klau und Rachen haun?Wer bist du, dass durch Saat und Forst
Das Hurra deiner Jagd mich treibt,
Entatmet wie das Wild? –Die Saat, so deine Jagd zertritt,
Was Ross und Hund und du verschlingst,
Das Brot, du Fürst, ist mein.Du Fürst hast nicht bei Egg und Pflug,
Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Brot! –Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus; du raubst!
Du nicht von Gott, Tyrann!
Kann man viel mit machen: Politische Lyrik, Rollenlyrik; Kommunikationssituation, rhetorische Fragen, Parallelismen in Auf- und Satzbau.
Meine Schüler haben Parallelgedichte geschrieben: „Der Schüler an seinen durchlauchtigen Lehrer“. Zuerst sammelten die Schüler an der Tafel Kriterien, nach denen man die Qualität der Parodien beurteilen kann, und suchten die wichtigsten heraus. Dann sagte ich ihnen, welche Kriterien für mich die wichtigsten sind. Und dann lasen einzelne Schüler ihre Gedichte vor, und die waren alle so gut, dass ich gleich alle haben wollte und sie mir schicken ließ. Hier ein paar davon.
Auf dem Papier oder Bildschirm wirken die Gedichte vielleicht nicht so sehr wie beim geballten Vortrag. Aber wenn man sie als Lehrer, und sei es auch stellvertretend, so vor den Latz geknallt bekommt, dann schluckt man doch. Den Fürsten hat das damals vermutlich kalt gelassen (obwohl, wenn man an den Schubart denkt, dem ist das Dichten schlecht bekommen), aber wenn man plötzlich selber zum Adressaten des Gedichts wird, sieht man es plötzlich mit ganz anderen Augen.
Caroline:
Wer kannst du sein? Dass ohne Scheu
Zermalmen mich dein Blick aufs neu
Zerquetschen mich deine Wissbegier?Wer kannst du sein? Dass in mein Heft
Dein Freund, dein Rotstift, ungebremst
Darf zerstreichen, zerstörn?Wer kannst du sein? Dass durch die Tests
Durch sie mich Tag und Nacht treibst
Nimmst mir meine Zeit? –Das was du da zerstörst
Was dir egal so scheints mir manchmal
Ist mein Leben!Du musst nicht die Freiheit opfern
Statt schwimmen du musst nicht rechnen, malen, dichten
Ich will wieder was du nimmst! –Ha! Du bist Obrigkeit vom Staat!
Wohl eher von deiner selbst
Der Staat ist nicht wie du, Tyrann!
Anna:
Wer bist du, Lehrer, dass ohne Scheu
Erreichen mich dein Mahnungsbrief,
Ereilen der Verweis?Wer bist du, Lehrer, dass auf mein Blatt
Dein Freund, der Rotstift, ungebläut
Darf Punkt und Fehler mal’n?Wer bist du, dass durch Frag‘ und Wort
Du meinen Tag bestimmen tust
So herrisch wie ein Fürst?-Der Spaß, der schnell vorübergeht
Bei Schulaufgaben, Exen
Sollt ein Begleiter seinDu Lehrer musst nicht Tag und Nacht
In deinen Kopf viel Wissen füll’n
Mein, mein ist dann dies Wissen!-Ha! Du wärst schlauer noch als wir?
Wir lernen noch – du auch?
Werner:
Wer bist du, Lehrer, dass ohne Scheu
zerschlagen mich dein Zeigestab
verletzen mich der SchwammWer bist du, Lehrer, dass in mein Heft
dein Freund der Rotstift ungebläut
darf über Schrift und Zeichen streichenWer bist du, Lehrer, dass durch Tasche und Beutel
das Hurrah deiner Suche mich treibt
entatmet wie im SportDu, Lehrer, hast nicht bei Ex und Test
hast nicht die Schulaufgabe durchgeschwitzt
mein, mein sind die NotenHa! Du wärst Obrigkeit vom Staat
der Staat macht Gesetze, du unterdrückst
du nicht vom Staat, Lehrer
Johanna:
Die Schülerin an ihren durchlauchtigsten Lehrer
Wer bist du, Herr, dass ohne Scheu
Verstören mich dein laut Geschrei,
Ängstigt mich dein Zeigestab?Wer bist du, Herr, dass nur ein Wort
Aus deinem Mund mich zwingt zu tun
Jeglich schwere Übung auch?Wer bist du, dass den ganzen Tag
Von Früh bis Spät der Stoff mich quält,
die Leere meines Schädels stört?Intelligent und klug sagst du
So möchtest du wohl sein, jedoch
So klug wie du bin auch ich!Dein Wissen willst du teilen, doch –
Auf diese Weise geht das nicht,
es fehlt die Freude und der Witz!Ha! Du willst guter Lehrer sein?
Bist du nicht, denn man schläft ein!
Du bringst nur Langeweile!
Bastian:
Wer bist du, Lehrer, dass ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wutgeschrei
Zerschlagen darf dein Stoff?Wer bist du, Lehrer, dass in mein Kopf
Dein Chef, dein Kollege ungestraft
Darf Wort und Formeln haun?Wer bist du, dass, durch manches Fach
Der Ruf deines Unterrichts mich treibt,
Entatmet wie ein Läufer? –Das Wissen so dein Wort vertreibt,
Was Chef, Kollege und du verbrauchst
Der Fleiß, du Lehrer, ist mein.Du Lehrer hast nicht bei Nacht
Hast nicht den Schultag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Lohn! –Ha! du wärst Wissender?
Wissender lehrt mich; du quälst!
Du nicht wissend, Tyrann!
Knackpunkt, das merkt man beim Nachdichten, ist die letzte Strophe. Zuvor muss man sich passende Vorwürfe einfallen lassen, Parallelen finden zum Jagdhund und zur Jagd, Gelegenheit zu Metaphorik oder Metonymie nutzen. Die letzte Strophe enthält bei Bürger die Ablehnung der Autorität und Legitimation des Fürsten durch Gott. Wo zieht der Lehrer seine Legitimation und Autorität her, dass man die angreifen kann? Der Staat wird dabei als vorbildhaft-legitimierende Institution dargestellt.
Die Schülertexte sind natürlich Rollenlyrik, sind Hausaufgabe und Fiktion – also bitte nicht als authentische Schüleräußerungen nehmen.
Nachtrag: War übrigens eine 9. Klasse.
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