Herr Nickles war unser Deutschlehrer in der 11. Klasse, 1984-85. Ich sage bewusst „unser“, den er hat wie kein anderer unsere Klasse geprägt und zu einer Gemeinschaft zusammengeführt. (Der zweite Platz in dieser Hinsicht gebührt dem damaligen Englischreferendar – bei Twitter einigen gut bekannt. Der hat eine ganze Klasse „Goodnight Saigon“ von Billy Joel singen machen, und Billy Joel hat den harten Kern dieser 11. Klasse die folgenden Jahre weiter verbunden. Läuft gerade auch wieder.)
Herr Nickles war genau der richtige Lehrer für uns. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat. Aber eine mäßig wilde, reine Jungenklasse hat er für Iphigenie begeistert, die von Goethe. Seitdem mag ich das Drama sehr und verstehe nicht, wieso viele Kollegen das für ein Stück halten, das man unmöglich Schülern schmackhaft machen könne. Und „Hälfte des Lebens“ von Hölderlin war beim letzten kleinen Klassentreffens (des harten Kerns dieser 11. Klasse) immer noch Thema. Das Deutschbuch des Jahrgangs ist immer noch mein liebstes Schulbuch. Zumindest bei Hölderlin war die Vorgehensweise so, dass der Lehrer uns das Gedicht erklärte und wir das nachvollzogen. Nicht selber analysieren und interpretieren – das kam später.
Ich erinnere mich, wie Herr Nickles uns demonstrierte, ganz am Anfang, dass wir nicht in der Lage waren, einfachen Anweisungen zu folgen: Blatt herausnehmen, ein paar Wörter an bestimmte Positionen diktieren — konnten wir nicht, und das haben wir als Erkenntnis geschätzt. Außerdem behauptete er, den Namen für die Königsbrunner Gautsch erfunden zu haben, ein Volksfest dort. Aber es ist gut möglich, dass ich da Sachen durcheinander bringe. Alle erinnern sich jedenfalls noch daran, dass er das Bein nachzog – eine Kriegsverletzung, hieß es immer, aber es kursierten wechselnde Geschichten, auch von ihm selber verbreitet. Wie er sich damals, in Kriegsgefangenschaft mit japanischen Soldaten Haikus vortragen ließ, ohne ein Wort zu verstehen – das ist entweder sehr unwahrscheinlich, eine faustdicke Lüge, oder meine schlechte Erinnerung, weil es vielleicht gar nicht er war.
Außerdem, und das hatte ich bis zum letzten Klassentreffen ganz vergessen, gab er uns am Ende der 11. Klasse noch eine Liste mit Lesevorschlägen.

Ein bisschen viel Böll, aber immerhin auch Jack London und Joseph Conrad.
Solche Listen habe ich meinen Schülern auch gegeben, im G9 jedenfalls. Fürs G8 gibt es nur eine Liste, was Schüler für das Fach Deutsch in der Oberstufe lesen könnten, und die ist viel zu lang. Da muss ich doch auch mal eine Liste mit lesenswerten Büchern machen. Manchmal höre ich als Gegenargument, dass man den Schülern doch nicht die Freude nehmen soll, selber Bücher zu entdecken. Aber zum einen liest ja doch niemand die Bücher von solchen Listen (man merkt sich allenfalls die Namen, und das ist schon etwas wert), zum anderen gibt es noch viele gute Bücher, die ich gar nicht kenne, und die Schüler selber entdecken können.
Zum anderen… um ehrlich zu sein: so gut wie der Herr Nickles ist der Herr Rau als Lehrer nicht. Kommt vielleicht noch. Allerdings: so eine Klasse, die ohne Murren Hölderlin auswendig lernt, gibt es auch nicht oft.
— Herr Nickles ist Nummer 27 auf dieser Aufnahme von 1971. 1971 war lang vor meiner Zeit, aber viele Namen und Gesichter kenne ich noch. Die Aufnahme von 1988 zeigt eher, wie die Lehrer zu meiner Zeit aussahen.
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