It ain’t what a man don’t know that makes him a fool, but what he does know that ain’t so.
Wenn es nur so einfach wäre.
Mir ist in den letzten Wochen an verschiedenen Stellen aufgefallen, dass es in Ordnung zu sein scheint, Dinge zu wissen, die nicht stimmen.
1. Die Jugend von heute
Manchmal üben Leute Kritik an der Jugend von heute. So schnell schaust du nicht, wie einem dann Zitate von alten Griechen um die Ohren geschlagen werden, die belegen sollen, dass immer schon auf die Jugend geschimpft wurde und dass deshalb nichts dran sein kann an der Kritik:
Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.
(Aristoteles)
Allerdings ist so ein Zitat von Aristoteles nicht bekannt. Das gleiche gilt für das, was diesmal von Sokrates nicht überliefert ist:
Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.
(Sokrates)
Zugegeben, Platon sagte mal so etwas Ähnliches:
Der Lehrer fürchtet seine Schüler und schmeichelt ihnen, die Schüler haben keine Achtung vor den Lehrern und so auch vor ihren Erziehern. Und überhaupt spielen die jungen Leute die Rolle der Alten und wetteifern mit ihnen in Wort und Tat, während die Alten sich in die Gesellschaft der jungen Burschen herbeilassen, dabei von Witzeleien und Späßen überfließen, ähnlich den Jungen, damit sie nur ja nicht als griesgrämig, nicht als herrisch erscheinen.
(Der Staat, Achtes Buch)
– allerdings ist das bei Platon ein hypothetisches Gedankenspiel, einen Zustand auf dem Weg von Aristokratie zu Tyrannis beschreibend.
Nachtrag: Hier ein Link zur Geschichte dieses falschen Zitats.
Grundsätzlich kann man bei solchen Zitaten davon ausgehen, dass sie nicht stimmen, wenn nicht die genaue Quelle dazu angegeben ist.

Auch das Argument hinter den Zitaten – „es kann nicht immer wirklich bergab gegangen sein mit der Jugend“ – ist nicht überzeugend. Ich kann mir problemlos einen zyklischen Wechsel vorstellen, in dem auf eine wirklich tolle Generation eine weniger tolle folgt, und auf die wiederum eine bessere. Dass die Zitate, die uns überliefert sind, immer vom Höhepunkt einer Generation stammen, und demnach kritisch sind, ist naheliegend, denn von den Höhepunkten ist uns nun mal mehr überliefert.
(Tatsächlich glaube ich, dass solche Schwankungen minimal sind. Und noch mehr, dass mit solchen Zitaten nichts zu belegen ist.)
2. Fakten in Deutschaufsätzen
Ich hadere mit dem Aufsatztyp der Erörterung aus verschiedenen Gründen. Unter anderem muss man wissen, wovon man schreibt, muss man Fakten kennen, sonst bleibt die Argumentation eine reine Luftnummer, oder wie man heute sagt, kompetenzorientiert. Der Hauptübeltäter sind dabei die Beispiele, mit denen – so bringt man das Schülern oft bei – das Argument abgeschlossen wird. Da erfinden die Schüler reihenweise Nachbarn und Freunde, die irgendwelche Erlebnisse hatten, und einigen Deutschlehrerkollegen scheint das nichts auszumachen.
Eine Auswahl: Ein durchschnittlicher Hamburger hat 500-600 Kilokalorien. (Falsch.) China hat als einziges Land wertvolle Erden und ist deshalb zur Weltwirtschaftsmacht aufgestiegen. (Dreimal falsch.) Eine Freundin hatte ein Jahr lang Hausunterricht bei den Eltern. (In Deutschland kaum möglich.) Ein Freund hat mir erzählt, dass selbst die Leute in der hinteren Mongolei alle neben ihrer Muttersprache auch noch Chinesisch sprechen. (In der äußeren Mongolei ist die verbreitetste Fremdsprache Russisch, gefolgt von Englisch.) Und wenn das alles noch so kompetenzorientiert in die Argumentation eingebaut ist, es ist trotzdem falsch.
3. Wikiality
Realität ist, was in der Wikipedia steht. In Stephen Colberts Show wurde dafür das Wort „Wikiality“ geprägt (Wikipedia-Eintrag). Schöne Beispiele dafür sind dieser Artikel im New Yorker: 2008 behauptete ein siebzehnjähriger Schüler in Wikipedia, der Nasenbär werde auch brasilianisches Erdferkel genannt. Das blieb da so stehen, wurde weiterverbreitet, wurde als Quelle herangezogen für diese Weiterverbreitungen, und heute wird der Nasenbär im Web demnach wirklich so genannt. Aus Deutschland gab es 2011 die Geschichte um „Stalins Badezimmer“, einen Spitznamen für die Karl-Marx-Allee in Berlin, den es so nie gegeben hat.
4. Textquellen
Realität ist, was der erste Treffer im Web sagt. Und wenn man da nach nach dem Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ von Bert, Berthold oder Bertolt Brecht sucht (alles Schreibungen aus den Angaben von Deutschaufsätzen, die ich gesehen habe), das sich eigentlich gar nicht im Web finden lassen dürfte – dann enthalten fast alle Textquellen Fehler. Da ist oft ein falsches Komma im letzten Vers, das irgendwer mal dorthin gesetzt hat und das jetzt immer weiter kopiert wird, und da ist noch öfter ein Strophenende nach dem neunten Vers. Das ist ein bisschen komplizierter: Die Werkausgabe enthält genau an dieser Stelle einen Seitenumbruch, und das Layout ist tatsächlich nicht völlig eindeutig, so dass man auf den ersten Blick eine Strophengrenze dort vermuten kann. Da ist aber keiner keine. Die falschen Webseiten schaffen Fakten, die dann den Schülern vorgesetzt werden.
History is what you can remember.
(Nach W. C. Sellar & R. C. Yeatman, 1066 and All That: A Memorable History of England, comprising all the parts you can remember, including 103 Good Things, 5 Bad Kings and 2 Genuine Dates)
Eigentlich hätte das noch länger werden sollen, aber ich gönne mir stattdessen Sommerferien. Also nichts zu Paradigmenwechseln und Quantensprüngen. Und nichts dazu: Han shot first. – Aber dazu ist wohl schon alles gesagt.
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