@Herr_Rau Was genau findest Du unsäglich (müsste ihn nochmal lesen, hab aber gerade keine Zeit)
— Andreas Kalt (@retemirabile) 2. April 2015
(„Unsäglich“ war etwas zu streng. Da habe ich mich im Überschwang hinreißen lassen.)
Ich kann auf Twitter nicht diskutieren. Wenn jemand einen Artikel weiterreicht, erwarte ich keine große Begründung, warum der lesenswert ist; wenn ich den Artikel unsäglich finde, will ich das nicht in 140 Zeichen begründen müssen. Da kann man nichts anderes tun als sich anschreien: „Ich hab recht!“, „Nein, ich!“ oder, häufiger, sich die gemeinsame Meinung bestätigen lassen.
Vor gut zwei Wochen schrieb Lisa Becker in der Fazn (online): „Smartphone im Klassenzimmer Zeit für digitale Medien in der Schule„. Inhalt: das Übliche.
Erstens: „Zu ihrer [digital-skeptische Eltern] Beruhigung trägt bei, wenn dort das Handy gar verboten ist. Der Haken an der Sache: Das vielerorts geltende Verbot wird massenhaft unterlaufen, und alle wissen es.“
Mein Problem: Es gibt dieses Handyverbot gar nicht. Schüler dürfen Handys mitnehmen. Und für unterrichtliche Zwecke darf es selbstverständlich eingesetzt werden. Nur – siehe unten – bringt das wenig. Das Problem ist nicht, dass Handys verboten sind – sie sind es ja nicht -, sondern dass man nichts damit anfangen kann, siehe unten.
(Anmerkung: Auf Twitter sagt man mir, es gebe an manchen Schulen – kann nur außerhalb Bayerns sein – tatsächlich Handyverbote, und verspricht mir, eine derartige Hausordnung zukommen zu lassen. Also gut, mal sehen.)
Ich halte es jedenfalls für kontraproduktiv, immer wieder gegen das Handyverbot zu wettern, weil damit Eltern, Schülern und Lehrern suggeriert wird, es gäbe eines.
Zweitens: „Die Schule als analoges Idyll, in dem Kinder und Jugendliche fernab von Elektronik konzentriert und ohne Ablenkung lernen.“
Mein Problem: Es gibt dieses Idyll nicht. Wir haben Beamer, Rechner und Internet in jedem Klassenzimmer; die Schüler sollen mit Moodle arbeiten (und mögen das gar nicht). Ob gut oder schlecht, Schule ist schon lang kein analoges Idyll mehr.
Drittens: „Viel zu selten treffen Jugendliche auf Erwachsene, die ihnen im Umgang mit digitalen Medien auf Augenhöhe begegnen und ihnen ein Vorbild sein können.“
Mein Problem: Liegt an meiner Filterblase, ich kenne halt viele solche Erwachsene. Die nehmen sich Schüler nur wenig zum Vorbild.
Viertens: „Dazu braucht es freilich Lehrer, die bereit sind, sich auf die digitalen Medien einzulassen. Diejenigen, die das tun, berichten viel Gutes.“
Ja, schon. Ich bin bei vielen Berichten, die ich lese, skeptisch.
Fünftens: „Die digitalen Medien sind gut geeignet, Schüler aus ihrer passiven Rolle herauszuführen, sie fördern selbständiges und kooperatives Lernen.“
Mein Problem: Glaube ich insofern nicht, als „gut“ heißt „besser als ohne“. Es gibt selbstständige und kooperative Lerner, und andere. 2003 habe ich eine Facharbeit zum Thema Blogs in der Schule vergeben, da hieß es in der spärlichen Skeundärliteratur auch, wie sehr Blogs das Schülerleben revolutionieren, weil Schüler so gerne über sich selber schreiben. Bitte was? dachte ich mir damals schon. Ich warte noch auf die Revolution.
Sechstens: „Schulen, die sich mit dem Thema immer noch nicht tiefgehend beschäftigt haben, laufen Gefahr, teure Geräte anzuschaffen, ohne sie sinnvoll zu nutzen.“
Mein Problem: Solange eine Schule für 2000 Schüler und Lehrer eine Internetverbindung hat, die halb so schnell ist wie meine zu Hause (und selbst die ist nicht besonders schnell), brauchen wir über sinnvollen Nutzen nicht zu reden. Wir können nicht Schüler von zu Hause aus auf das Schulnetz zugreifen lassen, Schüler individuell Videos anschauen lassen, WLAN anbieten. Wenn das mal da ist, reden wir weiter. Ohnehin sind die Geräte nicht das Problem, sondern die Wartung. Solange Lehrer nebenbei Hard- und Software warten, wird das nichts.
Siebtens: „Inzwischen wenden sich nur noch ganz wenige Lehrer grundsätzlich gegen den Einsatz der neuen Medien im Unterricht. Allerdings fühlen sich die meisten unsicher und wissen nicht, was man mit ihnen machen kann.“
Siehe oben. Ohne Internet geht wenig. Ohne digitale Schulbücher auch nicht. Könnte sich jemand bitte darum kümmern, dass wir sinnvolle digitale Schulbücher kriegen? Die digitalen Bildungseuphoriker, die ich kenne, halten Schulbücher ohnehin für unnötig, solange es das Internet gibt. Ist für meine Fächer gut (Deutsch, Informatik) oder nicht (Englisch) denkbar, auch für Mathematik kann ich mir das kaum vorstellen, aber, wie gesagt, es gibt kein Internet. Geht es darum, dass die Schüler zu Hause mehr mit „neuen Medien“ machen sollen? Die werden uns was husten.
Achtens: „Doch der Wille muss zuallererst der Wille der Pädagogen sein, sie müssen wissen, wie sie die neuen Medien einsetzen.“
Ein weiteres Problem: Ich weiß schon, wie ich sie einsetze. Die wenigstens, die ich möchte, darf ich einsetzen – Urheberrecht und Datenschutz. Aber vielleicht ist da nur Bayern besonders streng.
Fazit: Im Artikel steht nichts von digitalen Schulbüchern, nichts von Breitband, nichts davon, ob die Schüler zu Hause oder in der Schule digital arbeiten sollen (und das halte ich für eine essentielle Frage), nichts von Systembetreuung. Nur der Wille der Lehrer fehle. Fragt mal die Telekom, den Sachaufwandsträger, die Schulbuchverlage und die Rechtsabteilung vom Kultusministerium, wie sehr mein Wille die interessiert.
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