Das Wichtige zu diesem Buch steht im ersten Blogeintrag, hier nur ein paar nachträgliche Gedanken.
Wir verließen die erste Hälfte des Romans mit einem großen Plan: Der Kristall der Elfen muss zerstört werden, und das geht nur, wenn die eine Partei am einen Ende der Welt eine heikle Aufgabe erledigt und die andere am anderen Ende der Welt (am Schicksalsberg, genau wie in HdR) eine noch viel schwierigere.
Derr Herr der Ringe kennt zwar nur eine solche Aufgabe, aber im Prinzip ist der Aufbau beabsichtigt ähnlich: Ein kühner Plan, mitten im Herz des Reichs der Gegner, eine Schwachstelle ausnutzend, auf die der Gegner nie gekommen wäre. (Das gibt es auch in Anno Dracula von Kim Newman.) Der Plan in The Last Ringbearer ist allerdings sehr weit hergeholt.
Damit die eine Hälfte des Plans funktioniert, werden in einer Art Byzanz-Venedig Intrigen geschmiedet – Spione aus Ithilien und Gondor und Umbar, Polizei aus Umbar, ich konnte nicht immer ganz folgen. Das ist umfangreich, erinnert an die Thriller von John le Carre, die ich kenne; sonst bin ich mit dem Genre nicht vertraut.
Das Buch hört bald auf, eine Parallelgeschichte zum Herr der Ringe zu sein, die Stimmung entfernt sich immer weiter davon. Das muss nicht schlecht sein. Das Buch ist nicht so fantasyhaft wie erwartet, eher frühneuzeitlich, Renaissance mit etwas angedeutetem Steampunk auf Seiten Mordors. Viele Begriffe stammen aus unserer Welt und nicht aus der Tolkiens: Judo-Griffe, gefüllte georgische Brote, andere Begriffe sind Portmanteaus; sie werden alle in einem Anhang erklärt. Der Erzähler vergleicht das Verhalten der Spione damals mit denen heute (schallgedämpfte Pistolen, Mikrokameras; Analyse öffentlich zugänglicher Nachrichtenquellen), das irritiert erst einmal, wird aber am Ende zumindest nachvollziehbar.
Denn da gibt es einen Epilog, eine Art Herausgeberfiktion: Der Epilog spielt tausend Jahre oder mehr nach dem Ende des dritten Zeitalters. Die Geschichte, die im Herr der Ringe in einer allerdings romantisierten Fassung erzählt wird, ist quasi die offizielle Geschichtsschreibung; was in The Last Ringbearer präsentiert wird, ist eine abweichende Theorie, die hier zur Information und Ansicht angeführt wird. Der Herausgeber stichelt gegen moderne Filmfassungen („Alas, the recent Amengian screen version – The Spy and The Whore – is no exception: it was rightfully rated XXX in Gondorian theaters and banned outright in puritanical Angmar“) und, weniger schön, political correctness. Beklagt wird, das ist sehr nett, dass die meisten Zeitgenossen ohnehin nur grobe Kenntnisse von den historischen Ereignissen haben, etwa durch literarische Übertreibungen wie The Lord of the Rings, Fernsehserien oder das Ego-Shooter-Computerspiel „The Galleries of Moria“.
Und nach dem Epilog gibt es noch einen Essay, in dem der Autor erklärt, wie er auf die Idee gekommen ist, den Roman zu schreiben. Der ist interessant. Eskov weist darauf hin, dass schon früh Kritik etwa an geologischen Details bei Tolkien aufkam (kein gutes Beispiel, finde ich, weil die Welt zu magisch ist und eben nicht unseren Gesetzen entsprechen muss), die gängige Antwort: da hat sich Tolkien halt geirrt, gefiel ihm nicht – auch aus Respekt vor Tolkien. Von Fortsetzungen hät Eskov nichts, aber viel von etwas, das er Apokryphen nennt. Das deckt sich ein bisschen mit dem, was ich in einem Paar alter Blogeinträge „Zwischen den Zeilen schreiben“ genannt habe. Als Urvater dieser Form des Schreibens nennt Eskov Dion Chrysostomos, der in seiner 11. Rede die wahre Geschichte des Trojanischen Kriegs herausgefunden haben will. (Die Achaier haben verloren.)
Alle sin allem: Durchaus mit Genuss gelesen, auch wenn sich die zweite Hälfte etwas zieht.
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