James Hilton, Catherine Herself

Der Gedanke eines friedlichen tibetanischen oder nepalesischen Klosterparadieses Shangri-la war mir schon früh vertraut, spätestens seit Dogri-la im zu wenig bekannten Animalympics/Dschungel-Olympiade (USA 1980, in unterschiedlichen Fassungen unterwegs) und über Randbemerkungen in Brian W. Aldiss’ Literaturgeschichte der Science Fiction; wer weiß, vielleicht habe ich auch Folgen der verschollenen Serie Sie kommen aus Agarthi gesehen. (Ich erinnere mich nicht daran, aber ich durfte viel sehen.) Gelesen habe ich James Hiltons Lost Horizon dann aber erst in der 12. oder 13. Klasse, es stand als englisches Paperback im Regal der Buchhandlung und im Englisch-Leistungskurs war es ein Themenvorschlag des Kursleiters. Ich habe die Facharbeit dann doch zu Lovecraft gemacht, aber danach und inzwischen und mit erheblichem Aufwand alles gelesen, was Hilton regulär veröffentlicht hat.

Bisher entgangen war mir sein Debüt aus dem Jahr 1920, veröffentlicht als Student in Cambridge, das ich nur in einer physisch kaum lesbaren US-Taschenbuchausgabe im Regal hatte und dessen Erstausgabe damals viel zu teuer war, als ich noch aktiv danach suchte. Früher war das ja nicht so einfach. Stellte sich heraus, das Buch ist 1935 noch einmal aufgelegt und 1939 nachgedruckt wurde, und diese Ausgaben gibt es in lesbarer Form für nicht viel Geld. (Und es gibt eine türkische Neuausgabe aus dem Jahre 2004, aus welchem Grund auch immer.) Bei Goodreads haben bisher nur vier Personen das Buch bewertet, mich eingeschlossen; weniger sind es nur bei Hiltons H.R.H. The Story of Philip, the Duke of Edinburgh (1956, Monographie, 106 Seiten), das nicht einmal ich zu lesen gedenke.

Notizen zum Buch, denn viel findet man im Web ja ^nicht gerade dazu (weitgehend spoilerfrei, und deshalb nicht unbedingt verständlich)

Catherine Herself ist kein Meisterwerk, aber dennoch hat es diesen Hilton-Touch, der mich dann doch immer wieder packt. Es ist eine Liebesgeschichte um eine Frau und einen Mann, die beide mit diesem Gefühl, und überhaupt mit Gefühlen nicht gut umgehen können: Catherine Weston, eine junge, alleinstehende Frau und zumindest recht begabte Klavierspielerin, die eine professionelle Karriere anstrebt, und Verreker, etwas älter, lässt sich gelegentlich zu Klavierunterricht und Talentförderung herab (und ist eigentlich Wirtschaftswissenschaftler). Catherine sieht sich selber als selbstsüchtig und oberflächlich, wie sehr wir der Sicht folgen sollen, ist mir nicht ganz klar.

Es gibt gängige Hilton-Motive: Klavier, insbesondere Chopin; und Schule, letztere nur am Rande. In Verreker erhalten wir wenig unmittelbaren Einblick, es gibt nur seine Aussagen Catherine gegenüber. Aus Catherines Sicht ist die Geschichte erzählt, wir erfahren viel über ihr Innenleben und was sie zu denken und fühlen glaubt, aber das muss man mit einem Körnchen Salz nehmen. Sie neigt, wie viele Helden und Heldinnen bei Hilton, zur Introspektion und unerbittlichen Selbstanalyse, mit viel Innenleben, das nicht nach außen dringt. Catherine ist ihr “ruthless habit of self-analysis” sehr bewusst. “Fiercely she turned upon her inmost nature and examined it ruthlessly.” Ihr Innenleben ist dabei voller selbstkritischem Melodrama: “She was rather proud of the tear she had shed. Delicious to have such proof that she was a human being! Reassuring to find in herself the essential humanities that she had at times doubted.” Davon dringt allerdings selten etwas nach außen, stiff upper lip, wir sind ja immerhin Englisch, viel Selbstkasteiung bei ihr und bei ihm. Emotionen zeigt man nicht, oder nicht einfach so: “It was not easy for her to determine how far her passionate outburst had been a thing of art and how far she had been unable to restrain it.” Und überhaupt stören die: “Passion was a tiresome thing.”

Die Sprache ist gelegentlich etwas blumig. Mindestens zweimal gibt es das homerische Adjektiv der weinfarbenen See: “Amidst the wine-dark fragrance of an April evening”, und am Anfang (S. 21) habe ich mir als übertriebene Beschreibung einer Straßenszene notiert: “the trams swirled citywards like golden meteors flying through space” – aber das wird tatsächlich später (S. 181) noch einmal wiederholt, diesmal passend, weil eine überhöhte Stimmung geschildert wird: “Trams passed like golden meteors flying through space“ – hätte da bei einer sorgfältigen Redaktion das erste, unnötige Erscheinen gestrichen werden sollen?

Parallel habe ich zufälligerweise eine deutsche Hörbuchfassung von Jane Eyre gehört. Das Buch wird am Rande erwähnt, wie andere englische Literatur auch. Es gibt keine unmittelbare Verwandschaft, außer dass Jane/Catherine und Rochester/Verreker allesamt als nicht konventionell schön beschrieben werden, dazu der Altersunterschied, die geringe Erfahrung der Frau, und das schroffe und unkonventionelle Auftreten des Mannes, das sich bei Jane Eyre aber bald legt. Ian McEwans On Chesil Beach ist mir noch eingefallen, kürzer und besser. – Man kann das Buch das Bildungsroman sehen. Catherine zumindest hat am Ende den Eindruck, eine Entwicklung abgeschlossen zu haben. Ist Selbstbescheidung ein Ergebnis von Bildung? Mein Leistungskurslehrer hatte damals, wenn ich mich recht erinnere, als Facharbeitsthema für Lost Horizon etwas in der Art vorgeschlagen von “Mediocrity or Moderateness”, mit dem Zwischenkriegsroman als Aufruf, nicht nach zu großen Zielen zu greifen.

Formal unbeantwortet bleibt die Frage, wer damals eigentlich die Klavierstunden für Catherine gezahlt hat. Das hat leichte Great-Expectation-Vibes, falls da jemand beim Lesen etwas auffällt?


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Kommentare

4 Antworten zu „James Hilton, Catherine Herself“

  1. Da fällt mir ein – wie kann es anders sein? – es gab 1969 einen Song der Kinks: Shangri La.
    Hier eine relativ neue Aufnahme mit dem in die Jahre gekommenen Ray Davies und Chor:
    https://www.youtube.com/watch?v=bI0QHXTM7Fo

  2. Deutsches Reitpony

    Und dann war da natürlich eine CD “Shangri La” von Knopfler, Mark (2004) mit einem Song “Our Shangri-La”, später auch auch mit Frau Emmylou Harris im Duett auf der CD “Real Live Roadrunning”.

  3. Der Vollständigkeit halber auch noch die Shangri-Las mit “Leader of the Pack” (1964 und danach).

  4. […] Rau verdanke ich einen Fast-Aufruf beim Internetlesen: „Animalympics!“ Als Kind liebte ich diesen Film. Aber ich war so klein, dass ich nie genau wusste, was ich […]

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