Eskapismus: Perry Rhodan wiederlesen

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Schon vor einer ganzen Weile habe ich mir ein dickes E-Book gekauft, und zwar die Hefte 1 bis 49 der Heftromanserie Perry Rhodan (1961 bis heute). 60 Euro, DRM-frei, also ohne Kopierschutz, als EPUB-Datei. 16000 Smartphoneseiten bei einer Schriftgröße meines Alters.

In Kartons stehen außerdem die ersten 400 Hefte im Regal. Wegen der schönen Titelbilder von Johnny Bruck. Für wenn mal Zeit ist. Hier die in meinem ganz kleinen Kreis legendäre Space Night des Bayerischen Rundfunks mit einer Episode nur mit diesen Titelbildern:

https://yewtu.be/watch?v=8tR8v80Ria8

Aber lesen geht halt doch einfacher auf dem Smartphone. – Ich habe damals, vor gut vierzig Jahren, etwa die ersten vierzig oder fünfzig Hefte in Form der Silberbände gelesen, bearbeiteten Neuausgaben in Buchform; außerdem die Hefte 150 bis 350, glaube ich; dazu zwei Dutzend Taschenbücher und die Hefte 1000 bis 1020 und da und dort noch ein paar Hefte. Wie wird es mir beim Wiederlesen ergehen?

Mit diesem Wiederlesen wollte ich eigentlich noch warten. Aber ich habe neulich zum ersten Mal ernsthaft in das erste Heft hineingeschaut und blieb ich dann doch hängen. Das las sich halt alles so, dass ich weitermachen wollte – wenig überraschend, eigentlich, so ist das ja auch gedacht mit diesen. Die Namen sind mir alle halbvertraut, die Begriffe kommen nach und nach wieder: Nadelstrahler, Sofortumschalter, Risikopilot.

Was ich problemlos aushalte, ist die Menge an Exposition, das viele telling statt showing, das mehr oder weniger geschickte Rekapitulieren der bisherigen Handlung. Jedes Heft einer Reihe (war das Stan Lee, der das mal gesagt hat?) ist für irgend jemanden das erste Heft dieser Reihe; man muss jederzeit einsteigen können, und dann ist das nun mal so. Was mir mehr Schwierigkeiten macht, ist die manchmal sehr deutlich, na ja, undemokratische Haltung und Handlung. Es gab spätestens Ende der 1960er Jahre Kritik daran, und manches wird ja auch später besser. Aber an der Tatsache, dass es da diesen einen Unsterblichen gibt, unterstützt von einem Grüppchen ähnlich Unsterblicher, der da von Anfang an und wahrscheinlich noch immer die Geschicke der Menschheit bestimmt, an der kommt man nicht vorbei, auch wenn es später so etwas wie Wahlen geben wird. Und bestimmt muss Perry Rhodan zwischendrin auch einmal ins Exil; ich kenne die Handlung der letzten vierzig Jahre nicht, habe aber den Verdacht, dass sich nicht viel dauerhaft geändert haben wird – das Publikum möchte ja auch nicht den Wandel, nur die Illusion des Wandels. (Wieder Stan Lee?)

Dass Perry Rhodan von Anfang an schon fast übermenschlich war und bald darauf über Hypnoschulung und Arkoniden-Fernkurse geradezu Superfähigkeiten erhält, macht die Sache nicht besser: Auf die Idee, die Menschheit insgesamt an diesen Segnungen teilhaben zu lassen, kommt niemand. Raumschiffe und Waffen, das ja. Dazu ein Mikromanagement des heldenhaften Perry, die Untätigkeit der anderen, die ohne Führerbefehl nichts machen können; es ist ein Graus. Viele Stellen dazu habe ich mir angestrichen, aber es wäre müßig, sie zu versammeln, und 1961 war eine andere Zeit.

Ich lese weiter aus Interesse an der Handlung, ein bisschen; in Erinnerung an mein früheres Ich, das mir ab und zu beim Lesen aus den Zeilen zuwinkt, und vor allem in Erwartung des Kommenden. Im Moment treibt man sich auf der Venus herum, eher langweilig, aber ich will endlich zu ES kommen, zu Atlan, zu den Aras und Lemy Danger, insbesondere auch zu den Blues und Schreckwürmern und den Meistern der Insel und den sentimental-dramatischen Geschichten von Willi Voltz. Das war der eine Autor, den ich immer zu erkennen glaubte. Ein menschelndes Gegenwicht zu manchen anderen.

Ich glaube, die ersten paar hundert Hefte sind noch sehr zugänglich. Danach wird die Masse an lore, an gesammelter Hintergrundgeschichte, immer unübersichtlicher; nach über sechzig Jahren Serie liest sich das in der Perrypedia soi:

Im Unterschied zu den Gängern des Netzes war Ernst Ellert dazu in der Lage, die Präferenzstränge des Psionischen Netzes auch ohne den Abdruck des Einverständnisses zu bereisen.

https://www.perrypedia.de/wiki/Ernst_Ellert

(Klar kann man all den Links folgen, aber das hilft nur wenig.)

Ich den ersten 8 Heften haben wir schon:

  • Mutanten wie bei Stan Lee, ein internationales Mutantencorps, auch wenn das keine Teenager sind – aber weltweit zusammengesucht, wie bei den neuen X-Men dann. Lagen Superhelden-Mutanten damals in der Luft? Bei Theodore Sturgeon (More Than Human) gibt es 1953 den homo superior, aber doch in anderer Form. Edmond Hamilton hatte schon 1938 einen geflügelten Mutanten, einen Außenseiter mit Spezialfähigkeiten, wie es zum fiktionalen Mutanten gehört.
  • Einigung der zerstrittenen Menschheit durch eine vorgetäuschte außerirdische Invasion (danach eine Reihe von echten). War dann bei Alan Moore nicht überraschend.
  • Die Weltenbauer von Magrathea gibt es nicht, aber einen ähnlichen längst verlassenen Planeten (hier: die Venus) mit automatischem Angriff zehntausend Jahre nach dem letzten Besuch.

(Fortsetzung vielleicht nach weiterem Weiterlesen.)

Die digitale Ausgabe ist weitgehend unbearbeitet, soweit ich das beurteilen kann; ich habe immer wieder mit der Papier-Erstauflage verglichen. Das ist deshalb relevant, weil die Silberbände ja für moderne Leser und Leserinnen aufbearbeitet sind – grobe Schnitzer ausgebessert, überflüssige Episoden gestrichen, den für die Zeit üblichen Rassismus und Militarismus geglättet. Allerdings ist die digitale Ausgabe bereits in neuer Rechtschreibung. Scanfehler sind erfreulich wenig drin, weniger als bei vielen seriöseren Werken; lediglich überflüssige Kommas oder Punkte schleichen sich gelegentlich hinein, und manchmal ist eine hochgestellte Zahl nicht hochgestellt.

Weil ich die frühen Perry-Rhodan-Fanzines, an denen ich mitgearbeitet habe, erst noch einscannen muss, ist hier eine der Zeichnungen, die ich doch digital habe. Nicht unbedingt der Perry-Rhodan-Serie zuzuordnen, mehr so generisch, auch wenn die Kugelraumerform schon etwas über den Einfluss erzählt.

Nachtrag: Perry Rhodans Mutantenkorps erinnert mich sehr an die Diener von Baron Münchhausen – der Weitseher, der schnelle Läufer und so weiter.


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9 Antworten zu „Eskapismus: Perry Rhodan wiederlesen“

  1. > Im Unterschied zu den Gängern des Netzes war Ernst Ellert dazu in der Lage, die Präferenzstränge des Psionischen Netzes auch ohne den Abdruck des Einverständnisses zu bereisen.

    *Tränenlachsmiley*
    Das dürfte bei den zahlreichen Marvel-Universen inzwischen auch nicht viel anders sein, oder?

  2. Ja, eher noch schlimmer, aber auf jeden Fall vergleichbar. DC hat ja vielfach versucht, alles auf neu zu setzen (Crisis, Crises, usw.), Marvel hat das nur weniger gemacht, aber auch Paralleluniversen, nur Perry Rhodan hat das tatsächlich nie, muss ich hoch anrechnen. Andererseits gibt es mit PR Neo auch eine Neuschreibung der alten Geschichten, kompliziert genug.

  3. Christian

    Ich höre jetzt seit Herbst 21 die Silberbände zum Einschlafen. Ich bin jetzt bei Band 44 glaube ich. Die erwähnten Kritikpunkte teile ich auch. Ich versuche es aber mit einem Schmunzeln zu hören, und gleichzeitig wahrzunehmen, wann ich denn wohl in den 1970er Schreibzeiten ankomme. Auch bei StarTrek ist der Zeitgeist ja nicht übersehbar. Und ich bin gespannt, wie das bei Perry Rhodan wird.

    Mein liebstes Beispiel: Einmal gibt es einen Hackbraten zu essen. Und auch die kulturellen Bezüge landen derzeit wohl noch in den 60ern.

    Als Junge hätte ich es mit Begeisterung gelesen und meiner Mutter wöchentlich am Mittagstisch die „Neuesten technischen Entwicklungen“ erzählt :-)

  4. >Als Junge hätte ich es mit Begeisterung gelesen und meiner Mutter wöchentlich am Mittagstisch die „Neuesten technischen Entwicklungen“ erzählt

    Und genau so gehört sich das! Ich habe ein Herz für Serien, und das schöne an Serien ist das reden darüber. (Nur dass ich mit Fernsehserien wenig anfangen kann.)

    Vielleicht klang das oben zu negativ: weil ich ja doch voller Vergnügen und Neugier und Erwartung lese. Es ist schon auch eine tolle Geschichte. Silberband 44, das ist das, wo ich spätestens aufgehört habe; danach beginnen tatsächlich die 70er, und die Titelbilder und Konzepte fangen an, siebzigermäßig schräg zu werden.

  5. Ja! Perry Rhodan! Nicht soo viel gelesen, aber immerhin und gemocht.

  6. Jojo

    Ohja, das habe ich als Kind/Jugendlicher gern gelesen. 1x pro Woche das aktuelle Heft geholt (das muss so ca. ab Band 600 gewesen sein) und auf Flohmärkten ältere Ausgaben stapelweise nachgekauft. Auf dem Speicher steht noch ein großer Karton und staubt ein.
    Aber irgendwann hat sich meine Vorliebe auf „richtige Bücher“ verlagert, da gab es für meinen Geschmack einfach viel anregendere SF (und auch Fantasy).

  7. Flohmärkte, ja! Bei mir kam nach der Perry-Rhodan-Phase die Star-Wars-Fandom-Szene (nicht unbedingt Star Wars selber) und das Rollenspielen. Ordentliche Bücher kamen erst später, und ich habe immer noch ein Herz für Serien und Genre.

  8. Aginor

    Ich habe die Perry-Rhodan Hefte (größtenteils der vierten Auflage, von meinen Eltern dankenswerterweise auf dem Dachboden gelagert) auch gelesen, bis ca. Band 650 oder vielleicht 700. Ist lange her und gegen Ende wurden die Lücken größer.

    Ich habe gehört dass der Zyklus mit dem „Obmann von Plophos“ in den Silberbänden fehlt, das fand ich eigenartig, weil der ja die Vorgeschichte von Rhodan’s zweiter (?) Frau bildet soweit ich mich erinnere.

    Generell mochte ich Perry Rhodan (ich war aber auch 12-16 Jahre alt).

    Ein paar Anmerkungen, rückblickend:
    – Gucky fand ich super als 12-jähriger. Aber er nervt und ist ein furchtbarer Marty Stu. Zwischendurch vergisst der Autor sogar welche Kräfte der Mausbiber hat und er ist plötzlich Hypno.
    – Den großen Zeitsprung (bei Band 400 oder so springt die Handlung mal 1000 Jahre in die Zukunft) fand ich furchtbar. Ich hasse große Zeitsprünge in Geschichten generell. Danach war ich maßgeblich weniger interessiert.
    – Die Charaktere (und nicht nur wie in anderen SciFi Serien die Alien-Völker) sind sehr oft Stereotypen, wenn auch meistens gut gemeint und sehr divers. Ras Tschubai, Don Redhorse und Aino Uwanok z.B.
    – Wie schon bei Karl May mochte ich die Ich-Perspektive (von Atlan, und ich glaube manchmal auch Rhodan aber da bin ich unsicher) am liebsten.
    – Die Helden sind alle SO edel. Perry ist über große Strecken der mir bekannten Handlung praktisch ein unsterblicher Diktator, aber eben gutmeinend und daher OK?… Fast möchte man sich der Bewertung dieser alten reißerischen TV-Reportage aus den 70ern (kennen Sie die? War mal auf YT verfügbar, aber habe sie eben gesucht und nicht gefunden) anschließen. Eine Krude Führerfigur. Ja, da ist teils schon was dran.

    EDIT: Hab sie doch gefunden: Es war die Sendung „Monitor“ im Jahr 1969. Im Stil der Killerspieldebatte argumentiert aber dennoch interessant, weil sie eine Sichtweise zeigt die Leute damals auch hatten: https://www.youtube.com/watch?v=XnXc33z5D5I

    – DER ERBE DES UNIVERSUMS! (Das fand ich sehr prätentiös, selbst als Kind)
    – Man hat manchmal den Eindruck dass die Autoren nicht wissen wie der Zyklus eigentlich enden soll. Daher kommt das Ende eines Zyklus dann zuweilen recht abrupt, und hinterlässt ungeklärte Fragen. Aber hey, wir reden hier von einer Menge Autoren und einem schier unglaublichen Output an Heften, da hat man solche Schwierigkeiten eben. Darüber kann ich hinwegsehen.
    – Manchmal in der Tat viel „exposition“. Ja, aber nicht so schlimm. Ich persönlich finde dass „show, don’t tell“ sowieso überbewertet wird. Ich kann mit Erzählungen gut leben.
    – Die Entwicklung der Technologie ist genial. Die haben im 21. Jahrhundert noch Lochkarten, (es klicken auch Relais und glimmen Glühlampen und die besten Techniker erkennt man daran dass sie die Lochstreifen aus den Maschinen reißen und direkt lesen, ohne sie in den Decoder zu werfen der lesbaren Text draus macht) und springen dann fast nahtlos zu Spracheingabe, SERT-Hauben etc. Ab der 5. Auflage (in den 80ern glaube ich) wurden diese (IMO coolen) 60er Jahre quirks aus der Serie aber ausgebaut. Bin nicht sicher ob es in den Silberbänden oder ihrer Ausgabe auch so ist. Sind das Scans der Erstauflage?
    – Ich fand die Dinosaurier-Venus viel cooler als die der Realität (Die Hefte aus den frühen 60ern sind eben Stand der damaligen Erkenntnis).
    – Die Titelbilder waren oft Gegenstand von Diskussionen damals. Oft hatten die nur ganz am Rande mit der Handlung zu tun, manchmal gar nicht, die Darstellungen der Raumschiffe und Völker waren ungenau, und teilweise wurden Bilder sogar nur leicht verändert für spätere Hefte wiederverwendet. Für mich als Nerd manchmal grausam!
    – Superintelligenzen und übergeordnete Wesen fand ich immer doof.
    – Irgendwie haben viele Zyklen den gleichen Aufbau: Neuer Feind besiegt mühelos die vormals tollste Technologie die im letzten Zyklus den Tag gerettet hat, dann Panik, Rückzug, dann langes füllen mit Geschichten in denen nach und nach herauskommt was man tun könnte, dann wird das ausprobiert und hilft nicht, und kurz vor Ende des Zyklus kommt eine Spezialoperation auf die Lösung und das Problem wird auf überwältigende Weise gelöst. Und/oder kurz vor Ende Deus Ex Machina.
    – Militarismus und Rassismus (auch wenn er oft gut gemeint ist, ist er ein Problem) haben mich damals so übel das jetzt klingen mag nicht sehr gestört. Jetzt tun sie es schon zumindest ein wenig. Vor allem auch weil die Trennung zwischen Künstler und Werk mir teils schwerfällt (Verlag und IIRC sogar ein oder zwei Autoren haben auch „Der Landser“-Hefte produziert).

    Trotz aller Kritik: Meist gerne gelesen. Bin gespannt auf Ihre weiteren Erkenntnisse!

    Gruß
    Aginor

  9. Clark Filpper

    Hallo, nur zur Info, es gibt eine App mit den Namen readfy welche jedermann die Möglichkeit bietet, fast alles von Perry Rhodan kostenlos zu lesen. Bei der Erstauflage fehlen immer nur die letzten 50 aktuellen Hefte. Taschenbücher, SiBas und was sonst wie als EBook erschienen ist, alles ist dort zu finden. Kostenlos ist es durch Werbung. Vielleicht ist da ja was für den einen oder anderen. ;-)

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