Deutschfahrt 2024 (Leipzig)

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Den Deutschlehrerinnen und -lehrern an meiner alten Schule gelingt es alle fünf Jahre, einen gemeinsamen mehrtägigen Ausflug zu machen. Das ist immer sehr schön. 2012 waren wir in Weimar, 2019 im Schwäbischen, und dieses Jahr auf der Leipziger Buchmesse.

Oben pfui, unten hui

Nein, tatsächlich ist Leipzig auch obenrum hübsch. Die Innenstadt sieht durchsaniert aus, es gibt schöne alte Fassaden; wir erfuhren in einer Stadtführung viel zur kommerziellen Geschichte der Stadt. Einführung des Konzepts der Mustermesse 1895 in Leipzig, davor wurden in der Warenmesse die ganzen Waren zur unmittelbaren Übergabe nach dem Verkauf mitgebracht. Die S-Bahnhöfe sind teilweise äußerst schick, aber außerhalb des Stadtzentrums, wo unser Hotel stand, verfielen Industrieruinen.

Es war regnerisch und kalt und windig, da war es immerhin gut, dass Leipzig „das größe geschlossene Passagesystem Europas“ hat. Eine echte Passage, sagte man uns, sei dabei: nur für Fußgänger, mit Glas überdacht und verbinde mindestens drei Straßen miteinander. Anderswo bin ich noch nicht auf dieses Konzept gestoßen.

Die S-Bahnen streikten ein bisschen, hieß es per Mundpropaganda, uns war nur aufgefallen, dass sie alle kurz und voll waren und gelegentlich einfach nicht kamen; Informationen dazu haben wir nirgendwo gesehen. (Straßenbahnen: auch zu voll.)

Kultur

Beethoven, nackt in Flipflops, sein Cape flickend. Skulptur von Max Klinger, Titel von mir.

Buchmesse

Einen Tag waren wir auf der Leipziger Buchmesse. Die war sehr voll. Gleichzeitig und in Personalunion fand die Manga-Comic-Con statt. Ich habe Unterschiedliches darüber gehört, bin aber bisher davon ausgegangen, dass das zumindest seit einiger Zeit immer so geschieht; jedenfalls verbinde ich die Leipziger Buchmesse sehr mit Cosplay. Und Cosplay war auch das dominierende Element an dieser Buchmesse.

Cosplay, das ist, wenn sich viele Leute verkleiden wie Figuren aus Geschichten – Anime und Science-Fiction-Serien vor allem, ein bisschen so wie bei mir 1982. (Leider gibt es wohl kein einziges Bild von mir in meiner Magierkutte.) Harry Potter ist auch dabei, Superhelden natürlich, Zurück in die Zukunft sah ich mehrfach; Figuren aus Alice im Wunderland gab es, aber nur auf Basis der jüngsten Verfilmungen. Ich vermute, dass eigentlich immer ein phantastisches Element bei der zugrunde liegenden Serie vorhanden ist. Was gibt es denn überhaupt für nicht-phantastische Serien oder Figuren, die man nehmen könnte? Philip Marlowe im Trenchcoat, Sherlock Holmes außerhalb seiner Steampunk-Versionen? Sind nur phantastische Figuren leicht nachzumachen, weil sie gleich am Äußeren identifizierbar sind? Tom Mix spricht dagegen, aber den kennt keiner mehr, und das ist wohl die zweite Voraussetzung für die Figurenauswahl.

Wir tranken ganz schauderhaften Kaffee, der löslicher Kaffee gewesen sein muss, und zwar ganz schauderhafter löslicher Kaffee. Der wurde an mehreren Stellen verkauft; dass die sich nicht schämen?

Zumindest an diesem Tag gab es kein großes Messeprogramm. Nur sehr gelegentlich saß jemand vor ein paar halbbesetzten Stuhlreihen und redete; draußen gab es eine Rundfunksendung. Schlangen gab es einmal beim „Meet and Greet“ eines Serienautors oder einer Autorin, also beim Signieren von Büchern, und ganz besonders beim LYX-Imprint von Bastei-Lübbe: „New Adult, Romance und mitreißende Liebesgeschichten.“ Gelesen wird viel von den jungen Leuten und auch von den nicht mehr ganz so jungen, aber halt eher diese trashigen Serien. Ich kann damit leben, habe selber ja eine große Trash-Vergangenheit, will aber zu bedenken geben: ich las die Trash-Klassiker der 1930er bis 1980er Jahre; ich wünsche mir, die jungen Leute machen das auch, und nicht nur die neuen Serien. Liest man noch Hornblower oder nur noch Outlander?

Es gab einen großen Antiquariatsteil und einen noch viel größeren Cosplay-Shop-Bereich. Druckererien und Buchkunstschaffende stellten sich vor; ebenso eine Ausstellung zu einem internationalen Wettbewerb der am schönsten gestalteten Bücher. Die waren wirklich sehr schön. Gekauft habe ich nichts. Ich möchte, dass es schöne Dinge gibt, sie aber nicht selber besitzen. Dafür habe ich noch keine Lösung.

Geld verdienen kann man mit schönen Büchern doch wohl nicht? Manche Verlage, Editionen, Autor*innen sahen sehr prekär aus, oder nach teurem Hobby. Überrascht war ich, dass viele Kleinstverlage, sprich: Einzelpersonen einen eigenen Messestand hatten; das kleinste mietbare Format war vielleicht zwei auf zwei Meter, und da saß dann eine Dame mit vielen Ausgaben ihres einen Buches im eigenen Verlag erschienen. (Esoterischer Hintergrund.)

Keine Geschenktütchen übrigens, auch nicht bei den Schulbuchverlagen. Königs Erläuterungen heißen jetzt Königs Materialien, oder vielleicht hießen die in Wirklichkeit schon immer so, oder vielleicht sind das auch ganz verschiedene Dinge, jedenfalls gibt es sie jetzt als Kombiausgabe zusammen mit den Hamburger Leseheften.

Cosplayfragen

Hat man nur ein Kostüm oder mehrere? Ändert man jedes Jahr das Kostüm oder verbessert man das alte? Kauft man die teilweise recht billig aussehenden Kostüme fertig oder modifiziert man sie?

Gibt es Überschneidungen mit LARP? Ich vermute mal, dass es da wenige gibt, weiß es aber nicht.

Wie verbindet man sich unter dem Jahr? Gibt es Foren, Fanzines, Treffen, Bastelworkshops, Vereine?

Wie ernst nimmt man das? Mancvhe Kostüme waren liebevoll alboriert, andere sahen nach generischer Oktoberfestverkleidung aus, nur halt im Serienmilieu.

Frage vom Kollegen: Waren LARP, Cosplay, Cons zumindest vor vierzig Jahren etwas Städtisches? Ich glaube ja nicht; als ich noch auf Cons ging, kamen die Leute aus Großstädten und aus kleinen Gemeinden; Kontakt hielt man per Post.

Stimmt es, dass nur Figuren mit phantastischem Hintergrund gewählt werden? Die Anschlussfrage: welche Figuren mit einem solchen werden nicht gewählt? Es gibt keine Ritter der Tafelrunde, keine griechischen Götter, obwohl gerade die doch gut darzustellen wären.

Gerne würde ich das alles mal in ein Schulprojekt packen, etwa in der Aufsatzform Informierendes Schreiben. Aber das geht nur, wenn es de Schüler und Schülerinnen auch interessiert und wenn sie in die lage versetzt worden sind, im Internet zu recherchieren. Welch ein Aufwand. Sonst müsste halt doch ich wieder alles heraussuchen und in Häppchen präsentieren.

(Außerdem hatte ich mir schon vor der Reise ein Stück vom hinteren Ende des einen Turnschuhs ausschneiden müssen: Diagnose danach war „Kalksehne“, also Kalkablagerungen hinten, die zu einer Entzündung an der Achillessehne führen. Begab mich in Behandlung, bekam vor der eigentlichen Therapie IBU 600 verschrieben. Kann also nicht so schlimm sein, sonst wäre es doch wohl 800 gewesen. Dennoch, mal wieder geschlossenes Schuhwerk wäre schön.)


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2 Antworten zu „Deutschfahrt 2024 (Leipzig)“

  1. Oja, die Kleinverlage und ihre Stände. Ich erinnere mich.. vor ein paar Jahren habe ich mal Co-Standbesatzung an einem mittelgroßen Verlagsstand gemacht und die Dame vom Kleinstverlag gegenüber hat Lesezeichen verteilt. Also sie stand im Gang und laut hörbar alle drei Sekunden an jede:n Vorbeilaufenden gefragt „Lesezeichen? Lesezeichen? Lesezeichen?“. 20 mal in der Minute, 1200 mal in der Stunde, 9600 mal an einem Messetag. Ich habe das bis heute im Ohr.

  2. Fantasieloses Pony

    Die Kleinstverlage waren mir eher nicht das Problem, sondern die Kasperlfiguren mit ihrer aufdringlichen Beachtemich-Kostümierung, der man sich auch nicht entziehen kann, wenn man gekommen ist, um zu schauen, was es denn so Neues und Interessantes auf dem Buchmarkt gibr. Offenbar ist die Leipziger Buchmesse auf diesen Karneval angewiesen, weil sonst zu wenig Besucher kommen. Das von Herrn Rau angesprochene LYX-Phänomen und der Fantasy-Fasching scheinen mir zu verdecken, dass es im Unterschied zum hyperventilierenden Frankfurt auf dem Leipziger Messegelände wenig Neugierigmachendes zu sehen gab. Dies trifft umso mehr zu, als dass Interessantes räumlich am Rand (ganz hinten Halle 5 oder so) oder sogar außerhalb der Buchmesse präsentiert wurde. Im Ergebnis: nur ein Buch gekauft, weil mit Cosplay-Eindrücken überfordert; Erkenntnis: Man muss da eher so herangehen wie an die Biennale in Venedig, ein Tag für die offzielle Ausstellung und mindestens ein Tag für die separaten Ausstellungen und Veranstaltungen anderswo in der Stadt.

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