
In den Ferien habe ich dieses dritte Buch von Frank McCourt gelesen (nach Angela’s Ashes und ‚Tis); es enthält die Erinnerungen von McCourt an sein Leben als Lehrer an verschiedenen amerikanischen Schulen seit den 1950er Jahren. Das Lesen hat Spaß gemacht, das Buch enthält Heiteres und Trauriges, viele Schulgeschichten und auch Privatleben. Allerdings: so gut wie im Vorwort wurde das Buch für mich nie wieder. Dort dankt McCourt nicht wie üblich denjenigen, ohne die dieses Buch nicht entstanden wäre – stattdessen vergibt er ihnen, Papst Pius XII, den Engländern allgemein, dem Bischof von Limerick und vielen anderen. Und das in einem Tonfall, genial.
Der Rest ist auch gut, McCourts Kampf mit sich und dem Schulwesen, mit Vorgesetzten, Kollegen und Schülern. Wenn das ein Roman wäre, hätte ich aber auf ein paar Kapitel verzichten können – die Handlung lebt von der Sympathie und dem Mitgefühl, die man für McCourt aufbringt, und meine Geduld hat er eine klitzekleines bisschen strapaziert.
Vielleicht hat mich auch nur gestört, dass McCourt von vielen als Vorbild Für Uns Alle dargestellt wird, der ewige (Englisch-)Lehrer im Kampf mit dem System. Aber für mich ist er keine moderne Lehrerfigur – und er wäre der erste, der das zugibt, meine ich dem Buch zu entnehmen.
Zum einen sind amerikanische Verhältnisse nicht auf deutsche zu übertragen, und die vor vierzig oder fünfzig Jahren auch nicht. McCourt schildert ausführlich, wie wichtig das Hereinkommen der Schüler ist, wie jeder von ihnen das Eintreten ins Klassenzimmer dazu nützt, sich in Szene zu setzen, den eigenen Rang zu demonstrieren – das Verhalten kenne ich aus amerikanischen Fernsehserien, aber für bayerische Gymnasien gilt das nicht. Schon mal, weil da die Schüler nicht hereinkommen.
Unverändert gilt aber, was McCourt über Schulleitungen und dergleichen sagt:
This is the situation in the public schools of America: The farther you travel from the classroom the greater your financial and professional rewards. Get the license, teach for two or three years. Take courses in administration, supervision, guidance, and with your new certificates you can move to an office with air-conditioning, private toilets, long lunches, secretaries. You won’t have to struggle with large groups of pain-in-the-arse kids. Hide out in your office, and you won’t even have to see the little buggers. (p. 187)
Vor allem stellt McCourt für mich das romantische, und nicht professionelle, Bild vom Lehrer da, den wir aus Dead Poets Society und vielen anderen Geschichten kennen: genialisch, beliebt, ohne Zusammenarbeit mit Kollegen, unbequem, ohne an irgendeinen Lehrplan gebunden zu sein. Und mit einer enormen Kapazität, sich von der Schule vereinnahmen zu lassen:
At the end of a school day you leave with a head filled with adolescent noises, their worries, their dreams. They follow you to dinner, to the movies, to the bathroom, to the bed. (p. 217f)
Also, gesund ist das nicht.
Vielleicht liegt das alles daran, dass diese Lehrer alles Englischlehrer sind. Das scheint der archetypische Lehrer zu sein. Ich würde gerne mehr von anderen Lehrern hören oder lesen. Denn wie das mit den Englisch- oder Deutschlehrern eben so ist… das sagt am besten dieses Zitat von Kurt Vonnegut über Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“, eine Hymne der Beat-Generation. Es beginnt mit den Worten: „I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix.“ Ich habe das Vonnegut-Zitat selbst mal beim Lesen herausgepickt, es hat aber anscheinend auch viele andere Nerven getroffen, so oft wie es zitiert wird:
I like „Howl“ a lot. Who wouldn’t? It just doesn’t have much to do with me or what happened to my friends. For one thing, I believe that the best minds of my generation were probably musicians and physicists and mathematicians and biologists and archaeologists and chess masters and so on, and Ginsberg’s closest friends, if I’m not mistaken, were undergraduates in the English department of Columbia University.
No offense intended, but it would never occur to me to look for the best minds in any generation in an undergraduate English department anywhere. I would certainly try the physics department or the music department first — and after that biochemistry.
Everybody knows that the dumbest people in any American university are in the education department, and English after that.
(Palm Sunday, p. 156)
Ach ja, Vonnegut. Einer meiner literarischen Helden…. Er zählt die Informatiker natürlich nur deshalb nicht auf, weil es die damals noch nicht so gab.
— Eine Erfahrung, die McCourt macht, ohne sie zu thematisieren: das Wichtigste für den Lernerfolg sind Klassen, die lernen wollen. Die gibt es bei ihm nämlich manchmal. Und das macht einen größeren Unterschied als Computer und Lern- und Lehrmethoden und alles andere. Auch heute gibt es manchmal, und an meiner Schule gar nicht so selten, solche Klassen. Und das ab der 5. Klasse. Kümmert sich die Forschung bitte mal darum, wie solche Klassen entstehen? Das ist wichtiger als alles, was man an Methodik am Gymnasium treiben kann.
Zitierte Werke:
- Frank McCourt, Teacher Man. A Memoir. New York: Scribner 2006.
- Kurt Vonnegut, Palm Sunday. An Autobiographical Collage. London: Jonathan Cape 1981.
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