Manche Szenen meiner Schulzeit habe ich noch gut in Erinnerung. Viele haben mit Mitschülern zu tun, aber etliche betreffen die Interaktion mit Lehrern. An folgende davon kann ich mich noch gut erinnern:
5. Klasse:
- Herr W. bringt uns bei, was englisches Frühstück ist (Speck, Schinken, Ei, Tomate, Bohnen) und behauptet, es sei grässlich, so etwas am Morgen zu essen. Ich wusste schon damals, dass er irrte.
- Ältliche Biologielehrerin zieht an den Ohren. Hat keinen groß gestört, obwohl wir darüber aufgeklärt waren, dass sie das nicht durfte.
6. Klasse:
- Ein Lehrer – Sport und Mathe, blond, stets gut gelaunt, keiner meiner Favoriten – macht mit dem Kugelschreiber einen Kringel in meine Zeichnung, an der ich während des Unterrichts arbeite. (Es gab mehrere Ordner voller Zeichnungen, alles Raumschiffe. Leider nicht erhalten.) Der Kringel wird später zu einem Scheinwerfer umgeformt. Trotzdem ärgerlich.
- Verweis in Bio gekriegt wegen Schwätzen. Ungerechtfertigt, aber als Exempel für die Klasse verständlich. Es ging um Wirbeltiere.
9. Klasse:
- Im Englischunterricht gehört: Bob Seger and the Silver Bullet Band, Still the Same und Bruce Springsteen, Darkness on the Edge of Town.
- Kurzgeschichte im Deutschunterricht: Ich weiß nur noch, dass ich als einziger erkannt habe, dass die Zeitungsausschnitte, die am Spiegel der Frau klebten, bildlich zu verstehen waren. Ob ich gelobt worden bin, weiß ich nicht, aber ich habe das als Leistung empfunden. Weiß jemand, was das für eine Geschichte gewesen sein könnte?
- In Englisch „Fire and Ice“ von Robert Frost, das ich bereits kannte, übersetzt – als Herausforderung, also alle Schüler selber, eine echte Übersetzung versucht halt.
10. Klasse:
- Im Schulbuch eine Seite als Fernsehzeitungsseite aufgemacht. „Topkapi“ kam, glaube ich, und das Wort con man, con job oder con.
11. Klasse
- Deutschlehrer Herr N. kommt rein, geht uns erst mal scharf an, weil wir nicht ruhig waren. Demonstriert uns dann, wie unfähig wir sind, einfachen Anweisungen zu folgen: Jeder soll einen Zettel herausnehmen, links oben den Vornamen, rechts oben den Nachnamen hinschreiben, ähnlich einfache Anweisungen folgen. Danach hat die Hälfte der Schüler irgend etwas falsch gemacht. Hat uns schwer beeindruckt. Alle lieben ihn.
- Gleicher Lehrer erzählt Anekdoten aus dem zweiten Weltkrieg. Zieht sein Bein etwas nach. Nur die Hälfte der Anekdoten kann wahr sein, wir wissen es, er weiß, dass wir das wissen. Wir wissen aber nicht, welche.
- Englischunterricht bei rip. Zum Beispiel Chaucer. Aber auch Gedichte von Mervyn Peake und viele Lieder von Billy Joel.
12. und 13. Klasse:
- Chemielehrer ermahnt mich, nicht so müde auf der Bank zu liegen. Fragt mich nächste Stunde aus. 12 Punkte gekriegt. Ha!
- Englisch-Leistungskurs: Lehrer geht davon aus, wir würden Shelley nicht kennen. Schüler protestieren. Lehrer verlangt zum Beweis seinen zweiten Vornamen. Zwei Schüler im LK kennen ihn. Ein ähnliches Ergebnis würde mich bei aktuellen Leistungskursen überraschen.
- Gleicher Lehrer behauptet, Kaufhausmusik würde „Bozart“ heißen. Ich korrigiere ihn, er meine „Muzak“. Schon damals Klugscheißer.
- Gleicher Lehrer erwähnt nebenbei Autoren und Titel. Ich schreibe sie mit und lese sie nach und nach. Puckoon von Spike Milligan zum Beispiel. Einer seiner Vorschläge für seine Facharbeit: Lost Horizon von meinem geliebten James Hilton, Gründe für den großen Erfolg des Romans in den frühen 30er Jahren. Das Buch kannte ich vom Hörensagen bzw. Literaturgeschichte-Lesen schon vorher, aber das war wohl der Anlass, dass ich es mir kaufte.
- Deutsch-Leistungskurs: Lehrerin thematisiert Kitsch. Bringt zwei Texte mit, einen literarisch wertvollen, einen verkitschten. (Quelle, ergoogelt.) Wir sollen herausfinden, welcher Text Kitsch ist, welcher nicht. Bin der erste, vielleicht einzige, der antwortet. Tippe allerdings auf den falschen Text. Das geht mir seitdem nicht aus dem Kopf: Kitsch liegt mir, deutsche Literatur ist mir suspekt, vielleicht verdorben durch Science Fiction, vielleicht sind die Kriterien auch nicht sinnvoll. Sollte ich mal mit Schülern ausprobieren.
- Kunstunterricht: Kunstlehrer hat Videokassette dabei, die ihm ein anderer Schüler gegeben hat. „Irgendein Western,“ erklärt er uns. Vermutlich ist er auf die Idee gekommen, weil der Film das Wort „Kentucky“ im Namen hatte. Als der Film begann, war da kein Western, sondern… anderes. Bei „katholische Schulmädchen in Not“ spult er hastig vor, in Erwartung des eigentlichen Films später auf dem Band. Als er Play drückt, lautet der nächste Satz „Willkommen in der wunderbaren Welt des Sex“. Spult sofort weiter vor. Wir klären ihn auf, dass es sich bei „Kentucky Fried Movie“ um eine Komödie und keinen Pornofilm handelt; er ist beruhigt. Kriegt trotzdem Schwierigkeiten mit Eltern und Vorgesetzten, eher wegen der Zombiefilme und wegen „Die Klasse von 1984“.
Ich hatte eine schöne Schulzeit, habe die Schule aber auch sehr gerne und ganz unsentimental verlassen. Ans Abitur kann ich mich kaum erinnern; es lief sehr gut, aber das weiß ich nur noch aufgrund der Noten. Meinem sehr wortkarg geführten Tagebuch entnehme ich, dass ich in der Kollegstufe gelegentlich nicht zum Unterricht erschienen bin, sondern Kaffee getrunken habe. Mantel des Schweigens.
Ich war zuverlässig, schwätzte wohl viel, beteiligte mich gelegentlich am Unterricht (vor allem aus Mitleid, wenn sonst keiner wollte), kriegte so ziemlich alles vom Unterricht mit und hatte demnach zu Hause nicht viel zu tun. Es gab sehr wenig Gruppenarbeit, sehr gelegentlich Rollenspiel, das ich stets als unangenehm empfand. Mangel an Gewohnheit.
Im Lehrerzimmer war ich zum ersten Mal nach meiner Schulzeit; ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich jemals etwas an der Lehrerzimmertür von einem Lehrer wollte. In der Schulbibliothek war ich ein einziges Mal, im Sprachlabor ebenso. Im großen und ganzen lief der Unterricht in Form von Lehrer-Schüler-Gespräch ab.
Vermutlich hätte ich von anderen Schul- und Unterrichtsformen auch profitieren können. Aber für mich war diese Art Unterricht effektiv und goldrichtig: Lehrer stellt sich hin, sagt was, ich merke es mir, rede mit ihm darüber. Passe im Unterricht auf, schaue am Anfang der Stunde kurz ins Heft.
Es gibt auch heute in jeder meiner Klassen Schüler, für die diese Art des Unterrichts effektiv und goldrichtig ist. Der Ruf nach neuen Formen des Unterrichts hat weniger damit zu tun, dass die alten Formen schlechter sind, als damit, dass man damit vielleicht mehr Schüler erreicht.
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