“Wann beherrscht man etwas?”, fragt Lehrzeit in einem Blogeintrag. Das habe ich mir auch schon überlegt, und der Blogeintrag ist eine Überlegung dazu.
Lernzieltaxonomien
Vor den Lernzielen war das Lehren wüst und leer. Man hat, stellt man sich vor, einfach drauflos unterrichtet. Das sollte sich Anfang der 1950er Jahre ändern. Da präsentierte Benjamin Bloom als Vorsitzender einer Kommission, die genau das zum Ziel hatte, eine Kategorisierung und Hierarchisierung von Lernzielen, die Bloomsche Lernzieltaxonomie. Ein erklärtes Ziel war, dass man sich dadurch besser über Unterricht kommunizieren könnte. Die Taxonomie sah kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele vor; außerdem gab eine Hierarchisierung, nach der bestimmte Arten von Lernzielen auf anderen aufbauten. Die ganze Taxonomie sah am Anfang so aus:
Kognitive Ziele
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Affektive Ziele
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Psychomotorische Ziele
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An dieser Taxonomie kommt man in keinem Lehramtsstudium vorbei. Es fällt allerdings auf, dass in der Praxis für die meisten Fächer dann doch nur die kognitiven Lernziele eine Rolle spielen – deren Taxonomie entstand auch vor den anderen: 1956 erschien Band 1 der Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals (zum kognitiven Bereich), 1965 Band 2 (zum affektiven Bereich). Band 3 erschien nicht. Bloom nannte das Handbuch “one of the most widely cited yet least read books in American education” (zitiert nach Wikipedia) – ich müsste selber auch mal reinschauen…
An der Rangordnung innerhalb der Taxonomie wurde immer wieder herumgeschraubt, die aktuellste Fassung ist diese:
Gerade die Frage, obb das Bewerten oder das Erzeugen das anspruchsvollere Lernziel ist und das jeweils andere als Grundlage nötig ist, wird unterschiedlich gesehen. Deshalb stehen sie jetzt auch nebeneinander.
Diese Taxonomie ist nicht die einzige, bekannt ist auch eine von Anderson/Krathwohl mit 4 Wissensdimensionen und 6 Stufen – alle kognitiv. Aber in der einen oder anderen Form ist Bloom immer noch sehr verbreitet. ein Beispiel dafür ist dieses Poster zur “Padagogy”:
(Allan Carrington, Creative Commons Attribution 3.0 Unported)
Die Speichen entsprechen den (kognitiven) Domänen bei Bloom, wobei die untersten beiden Ebenen, Erinnern und Verstehen, zusammengefasst sind. Im zweiten Kreis von innen stehen den einzelnen Domänen zugeordnete “action verbs” – passende Verben zu den jeweiligen Lernzielen. Für das Analysieren sind das zum Beispiel “compare, classify, demonstrate”. Diese action verbs entsprechen wohl dem, was hierzulande Operatoren heißt, dazu später mehr.
Und dann habe ich noch in einem Blogeintrag von Manfred Kaul den Hinweis auf die Canterbury QuestionBank gefunden. Das ist ein Pool von zur Zeit gut 650 Informatik-Aufgaben, den man als html, pdf, xml, oder doc herunterladen kann (lizenziert unter BY-NC-SA 3.0).
Ein Beispiel für eine Aufgabe:
Welche Datenstruktur, mit der man eine Menge implementieren könnte, hat die ungünstigste Laufzeit für eine Methode Menge.enthaelt?
A Binärer Suchbaum
B Verkettete Liste
C Sortiertes Array
D Hashtable
Die Aufgabe ist unter anderem verschlagwortet mit “Schwierigkeitsgrad 1 (niedrig)” und “Bloom-3-Analysis”. (Hier lautet die Reihenfolge: 1‑Knowledge, 2‑Comprehension, 3‑Analysis, 4‑Application, 5‑Synthesis, 6‑Evaluation.) Hätte ich das auch unter Analyse getan oder doch nur unter Verständnis?
Vor- und Nachteile von Lernzielen
Mit einer Lernzieltaxonomie hat man ein einheitliches Format, um sich über Unterrrichtsstunden und Lehrmaterial auszutauschen. Und mit Lernzielen macht man sich als Lehrer vor einer Stunde Gedanken darüber, welches Ziel man mit der Stunde überhaupt erreichen will. (Oder mit der ganzen Sequenz, dann mehr so als Grobziel.) Wenn man nur verschwommene Vorstellungen hat, was am Ende der Stunde herauskommen soll (und dazu zählt: wir machen die Seite 17 und 18 im Buch), dann kommt leicht eine Stunde heraus, in der Schüler und Lehrer sich gegenseitig nichts tun, womit alle zufrieden sind – aber gelernt wird nichts Sinnvolles.
Wenn man sich als Lehrer dagegen vornimmt, dass die Schüler am Ende der Stunde ein konkretes Lernziel erreicht haben sollen, dann arbeitet man zielgerichteter. Das Erreichen des Lernziels kann man dann mit einer Lernzielkontrolle überprüfen. Das geht um so besser, je operationalisierter ein Lernziel ist.
(Operationalisierung: Das ist die möglichst genaue Beschreibung unter Angabe aller Bedingungen. “Der Schüler kann innerhalb von einer Minute drei Beispiele aufzählen.” Dazu gehört eben auch ein geeigneter Operator: Ungeeignet sind etwa Lernziel-Operatoren wie “wissen, verstehen, vertrauen, wertschätzen, einsehen, begreifen”, weil sich die nicht überprüfen lassen. Geeignet sind “beschreiben, identifizieren, unterscheiden, aufzählen, begründen, anwenden, benennen.”)
Andererseits: Die Konzentration auf Lernziele kann dazu führen, dass man sich nur die heraussucht, die auch tatsächlich operationalisierbar sind. Damit fallen affektive Lernziele schon mal weg. Außerdem wird der Unterricht unflexibel, wenn man nicht gelernt hat, von den anvisierten Lernzielen abzuweichen. Und schließlich kann es auch gewinnbringend sein, wenn man nicht als Lehrer die Lernziele und ihre Reihenfolge vorgibt, sondern die Schüler erst einmal arbeiten lässt, bis sie selbst auf Probleme stoßen – manchmal ist die Reihenfolge der Lernziele ja nicht festgelegt.
Und dann tut auch noch die Kompetenzorientierung, als wäre sie etwas grundsätzlich anderes als Lernzielorientierung. Dabei geht es bei beidem letztlich um Messbarkeit.
Zurück zur Ausgangsfrage: Wann beherrscht man etwas?
Zugegeben, den Punkt habe ich inzwischen etwas aus den Augen verloren. Im psychomotorischen Bereich scheint mir das von der Naturalisierung ganz einleuchtend. Im affektiven Bereich ist Beherrschung vielleicht das falsche Wort (aber: Selbstbeherrschung). Im kognitiven Bereich… Marco schlägt als Kommentator vor “Ich kann es anderen beibringen/erklären”.
Das gefällt mir gut, und ich war auch selber schon auf den Operator “erklären” gestoßen. (Blogeintrag dazu.) Oft meint man mit “erklären Sie” dann doch nur: “Zeigen Sie, dass Sie wissen…”, und das ist natürlich etwas anderes, Bloom K4, schätze ich. Echtes Erklären taucht in der Schule kaum auf, jedenfalls nicht auf Schülerseite. Wo würde das bei Bloom stehen? War das damals noch nicht erfunden? Oder blieb das der Lehrkraft vorbehalten, war außerhalb des Geltungsbereichs der Taxonomie? Oder ist das Erklärenkönnen eine untergeordnete Sekundärfähigkeit?
(So, Ferien und Jahresende, Zeit fürs Aufräumen. Deshalb muss der Blogeintrag jetzt einfach raus, auch wenn er noch nicht fertig ist.)