Abbé Augustin Barruel, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus, Band 3 (Teil 2)

(Fortsetzung von hier. Diese Seite hier ist dann doch mehr Materialsammlung geworden als ursprünglich geplant, nun ja.)

3.3 Methoden der Illuminaten

Wenn die Ziele der Illuminaten vielleicht im 18. und frühen 19. Jahrhundert besondere Bestürzung hervorriefen, so glaube ich, dass es vor allem ihre Methoden sind, die zu ihrem Nachruhm beigetragen haben. Einige muten verhältnismäßig harmlos an: Die Mitglieder müssen Besinnungsaufsätze schreiben, die von den oberen Graden gelesen werden; die Fragen, anhand derer man die Gesinnung der Mitglieder erkennen soll, sind hoffnungslos durchschaubar. Es gibt Geheimnamen (Weishaupt ist Spartacus, München ist Athen), und Weishaupt ist so stolz auf die Idee des exponentiellen Wachstums, also wenn jeder Adept zwei weitere führt, dass er das mit einem eigenen Diagramm erklärt:

Baumdiagramm zur Hierarchie

(“Auf diese Weise, die einfachste von der Welt, kann ich Tausende von Menschen in Bewegung und in Flammen setzen.” S. 404)

Weishaupt möchte, dass die Mitglieder des Ordens Wissen sammeln, über einander, aber auch über alle anderen (akzeptierten) Wissensgebiete. Forscher sollen sich gegenseitig unterstützen, aber das Wissen soll innerhalb des Ordens geheim gehalten werden (S. 323) – er will eine “Akademie […], die den Profanen zwar unsichtbar ist, die aber durch unterirdische Bewurzelung, nach allen Seiten sich ausdehnet, wie die Sekte selbst” (S. 328, Barruels Worte). Streng geregelt ist, wer Zugang zu den Büchern mit diesem angehäuften Wissen hat. Ich finde den Gedanken, dass Bücher so viel Macht habe, reizvoll und naiv. Man muss nur die richtigen Bücher haben, dann hat man einen Wissensvorsprung – so einfach ist es nicht und war es wohl auch nie.

Die zentrale Methode der Illuminaten, zumindest für die Nachwirkung, scheint mir aber das Prinzip der Täuschung zu sein.

Tricksen und Täuschen

Die Mitglieder werden belogen und getäuscht, die echten Ziele verborgen gehalten. Ich glaube, die Illuminaten waren der erste Geheimbund, der das so hielt.

“Eine Klasse von Tugendhaften, die andere von Ausschweifenden. Beiden muß unbekannt seyn, daß sie von Männern, geleitet werden, und die Vorgesetzte oder Vorsitzende jeder Klasse muß glauben, eine Mutter-Loge von ihrem Geschlecht zu haben, von der sie Befehle erhält, die aber im Grunde die Männer geben. Die zu ihrer Direction bestimmte Brüder, ertheilen ihnen Vorschriften und Unterricht, ohne sich gleichwohl kund zu geben, den ersteren durch gute Bücher, die sie ihnen zu lesen verschaffen; den anderen durch Anleitung, ihre Leidenschaften, im Verborgenen, zu befriedigen.” (S. 62)

“Ohne alle andere Absicht, als um geheimnißvolle Befehle zu geben, läßt man z. B. einen Adepten unter seinem Teller, in einem Wirtshause einen Brief finden, den man viel bequemer in seiner Wohnung ihm hätte zustellen lassen können.” (S. 340f)

Und vor allem gibt es ein Verwirrspiel darum, wer und was eigentlich zum Orden gehört. Man legt nahe, dass alle anderen geheimen oder nicht geheimen Gesellschaften in Wirklichkeit zu den Illuminaten gehören, dass alle große Taten den Illuminaten zuzuschreiben sind:

“Zu einer Zeit benutzt man die Neigung der Menschen zum Wunderbaren; zu einer andern Zeit bedient man sich des Reitzes der ansehenden Kraft der geheimen Gesellschaften. Daher ist es mannichmahl nöthig, eure Untergebene vermuthen zu machen, ohne jedoch ausdrücklich es zu sagen, daß alle andere dergleichen Gesellschaften, und die der Freimaurer insgeheim von uns dirigiret werden; oder aber, wie es an einigen Orten wirklich wahr ist, daß die großen Monarchen durch unsern Orden regiert werden, wenn etwas großes, merkwürdiges vorgehet oder geschiebet, so muß auch die Vermuthung hingeworfen werden, daß es uns zuzuschreiben sey. Wenn ein Mann durch seine Verdienste in einer Reputation stehet so macht auch glauben, daß er von den Unsrigen sey.” (S. 340)

Wo der Orden machtlos ist, soll er sich aufplustern:

“Wenn man einer Orten der Autorität und des Gouvernements sich bemächtiget hat, so stellet man sich, als habe man nicht den mindesten Credit und Einfluß , um diejenigen nicht aufzuwecken oder stutzig zu machen, die gegen uns arbeiten würden. Hingegen, wo Ihr nichts auszurichten vermöget, habet Ihr euch das Ansehn eines Menschen zu geben, der alles vermag. Das macht uns fürchten und suchen, und stärkt unsere Parthey.” (S. 342)

Und vor allem kann der Orden auch so tun, als wäre er eine ganz andere Organisation:

22) “Wenn unser Orden hier oder da mit der ganzen Form und Einrichtung unserer Klassen sich nicht etabliren kann; so muß man es unter einer andern Gestalt thun. Den Zweck laßt uno vor Augen haben, und damit uns beschäftigen; das ist das wesentliche, wenn er nur erreicht wird, so liegt wenig daran, unter welcher Hülle es geschiehet. Eine oder die andere ist inzwischen immer erforderlich; denn im Geheimniß beruhet ein großer Theil unserer Kraft.”
23) “Darum muß man immer unter den Namen einer andern Gesellschaft sich verstecken. Die unteren Logen der Freymaurerey sind einstweilen das schickliche Kleid für unsere höhere Zwecke, weil die Welt schon gewohnt ist, nichts Großes und Aufmerksamkeit verdienendes von den Freymaurern zu erwarten.” (S. 345f)

“Er soll mit dem Provinzial über den Deckmantel, den Schleyer, der dem Orden zu geben ist, sich vereinbaren. Gleichwie für die religiösen Institute der römischen Kirche, die Religion, leyder, nur ein Vorwand war; so muß man auf eine edlere Art unsern Orden unterm Anschein einer Handels, Gesellschaft, oder unter einer ähnlichen Außenseite, verbergen.” (S. 364)

Kein Wunder also, dass man nach dem Verbot und dem Verschwinden der Illuminaten auf die Idee kommen konnte, sie hätten sich nur getarnt und unter einem anderen Namen weitergemacht.

4. Aufklärung und Hokuspokus

Eigentlich verfolgten die Illuminaten ja Ziele der Aufklärung: die Freiheit von Vormundschaft, die Vernunft, gegen organisierte Kirche und Adel. Gleichzeitig veranstalten sie so einen abergläubischen Zirkus, mit Ritualen und geheimen Oberen. Einerseits sind sie für Freiheit, gleichzeitig überwachen sie einander misstrauisch. Muss man als fortschrittlicher Mensch vor ihnen Angst haben oder als rückwärtsgewandter? Sind die Illuminaten eine Verschwörung von Anarchisten, Demokraten oder Libertariern? Andererseits sagt bereits eine berühmte Figur der Auklärung, Nathan der Weise selber: “Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab.”

— Ich bin überrascht, wie oft ich bei der Lektüre von Barruels Geschichte des Jakobinismus an die Illuminatus!-Trilogie von Shea und Wilson denken musste: Das Versteckspiel, wer jetzt die Illuminaten sind und wer nicht; das Verstecken von Oberen Illuminaten mitten unter anderen; die widersprüchlichen Ziele der Illuminaten. Ich muss doch noch mal hineinschauen.

Fußnote zu Verschwörungstheorien: Es gibt ja die mit den Reptiloiden (Wikipedia), laut der viele Politiker und Weltenlenker in Wirklichkeit zu einer Rasse von Schlangenmenschen gehören, die unerkannt unter uns lebt und über uns herrscht. (Ernsthaft, die gibt es.) Der Gedanke ist verbreitet, bei der Fernsehserie “V – Die außerirdischen Besucher” gibt es so etwas Ähnliches. Tatsächlich geht das alles auf eine Kurzgeschiche des Pulp-Autors Robert E. Howard zurück, “The Shadow Kingdom”, 1929 in Weird Tales erschienen, die erste Geschichte um Kull, einen Vorläufer von Howards bekannterem Conan. Die Geschichte habe ich neulich wiedergelesen, und da fiel mir die Ähnlichkeit auf. Sachen gibt’s.


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Kommentare

2 Antworten zu „Abbé Augustin Barruel, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus, Band 3 (Teil 2)“

  1. […] Aber zu den Methoden der Illuminaten: siehe Fortsetzung. Entschuldigung, wenn’s am Ende etwas konfus geworden ist, aber ich wollte das hier vor allem […]

  2. […] Augustin Barruel: Denkwüridkeiten zur Geschichte des Jakobinismus, Band 3 (Teil 1, Teil 2, Teil […]

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