Wer das Genre kennt, der kann sich gleich etwas unter Lost in Austen. Create Your Own Jane Austen Adventure von Emma Campbell Webster vorstellen. Man liest ein paar Seiten, wird dann vor eine Entscheidung gestellt und liest dann je nach Wahl auf der einen oder anderen Seite weiter. Dort liest man wieder einige Absätze, trifft wieder eine Entscheidung, und liest sich so kreuz und quer durch das Buch. Die Geschichte hat dabei mehrere Enden, glücklichere oder weniger glücklichere. (Ich habe mal ein solches Hobbit-Heft mit einer 6. Klasse gemacht.)
Typischerweise sind solche Bücher Fantasy-Geschichten. Abenteuer in Katakomben, Skelette kommen auf einen zu, willst du nach links oder rechts flüchten… In diesem Buch ist das anders. Der Spieler ist die junge Elizabeth Bennet aus Pride and Prejudice, ihr Ziel ist es – wie sollte es anders sein – weise und glücklich zu heiraten. Auf dem Weg dorthin springt man von einem Austen-Roman zum anderen, wobei Elizabeth meist die Rolle der Heldinnen aus den anderen Romanen übernimmt.

Das Buch hat mir mehr Spaß gemacht, als ich gedacht hätte. Es spielt mit allen möglichen Konventionen. Wie bei solchen Büchern üblich, legt man sich einen Charakterbogen an, auf dem der aktuelle Stand von Intelligence, Confidence und Fortune vermerkt wird. (Bei Fantasy-Abenteuern sind das meist Lebenspunkte und Gold.) Daneben notiert man Ausrüstung Connections, Waffen Accomplishments und Failings.
Allerdings steht schon auf der allerersten Seite, dass man das Buch gerne auch ohne diese begleitende Mitschrift lesen kann. Es lohnt sich aber. Zu ernst wird die Bepunktung aber nicht genommen:
You politely decline the party’s invitation to play a hand of whist, and much to the disgust of Mr. Hurst, choose rather to read a book.
Your intellectual superiority is clear. Collect 20 Intelligence Points.
You are soon so distracted by their conversation, however, that you must leave your book wholly aside.
Then again, perhaps not. Deduct 10 Intelligence points. (p. 21-22)
Lustig ist, wie der Kampf der Geschlechter mit der Fantasy-Rollenspielteminologie beschrieben wird: „Mr. Darcy means to defend himself using his extremely resilient Shield of Pride. You must now attempt to pierce it with your Wit and Intelligence.“ (p. 58)
Überhaupt ist diese Bepunktung nichts anderes als ein fortlaufender Kommentar zur Handlung – und damit eine Interpretation. Wenn es kommentierend heißt: „You decide to take another strike after all. / Hardly a triumphant victory, is it? Step it up a bit. / You sheathe your Impudence for the time being. / You feel compelled to resume your attack. / You’re not very good at this, are you? / Coward.“ (p. 102-103) – dann ist das die Art Analyse, die wir uns bei der Interpretation von Dramenszenen von Schülern wünschen.
Interpretation ist es auch, wenn nach dem Satz: „[U]pon getting to know her better you revert to your former dislike; you find her cold and reserved and you cannot forgive her for it“ lapidar kommentiert wird: „Add ‚Jealousy‘ to your list of Failings.“ (p.147-148)
Wenn es um die Entscheidungen geht, weiß man manchmal nicht, aus welcher Perspektive heraus man entscheiden soll – aus der eines modernen Austen-Lesers oder der der vorurteilsbeladenen Austen-Heldin? Einmal wird das sogar thematisiert: Wenn man eine reife Entscheidung getroffen hat, reifer als sie Elizabeth zuzutrauen ist, heißt es: „Stop trying to be clever, and deduct 20 Intelligence points for your impertinence.“ (p. 98)
Ganz selten spielen die Punkte wirklich eine Rolle. Von „Fortune“ kann es abhängen, ob man als Heiratskandidatin überhaupt in Frage kommt, und an einer Stelle führt ein hoher Wert von „Confidence“ zu einer unglücklichen, ein niedriger Wert zu einer glücklichen, wenn auch wenig aufregenden Ehe. Überhaupt nicht braucht man die Listen der vorteilhaften und der nicht vorteilhaften Bekanntschaften – aber es ist wieder Kommentar und Interpretation, wenn man angewiesen wird, Figuren von der einen Seite der Tabelle auf die andere zu setzen.
Die Textpassagen sind relativ lang, und so viele Wahlmöglichkeiten wie in herkömmlichen Spielbüchern gibt es nicht. Das war gut so, denn ich habe natürlich alle Alternativstränge gleichzeitig erkundet und gelesen. Mit drei Lesezeichen und ein oder zwei Fingern kommt man bestens zurecht.
Das Buch ist vielleicht ein bisschen zu dick, und für meinen Geschmack gibt es zu viele tödliche Kutschenunfälle. Aber mir hat es Spaß gemacht. Wenn Schüler selber solch eine interpretierende Alternativversion zu einem gegebenen Text(korpus) erstellen könnten, wäre das eine tolle Leistung. Aber ich fürchte, dazu muss man den Text wirklich erst einmal kennen und verstehen. Oder kann man eine Szene mit Effi Briest und Crampas mit solch einer fortlaufenden Punktewertung kommentieren? Vielleicht mal bei Schülern mit viel Spieltrieb.
Fußnote für mich: Auch für solche Solo-Spielbücher ist ein Du-Erzähler typisch, ähnlich wie bei den verwandten Text-Adventures und vielen Hörspielen (etwa den Episoden von The Whistler). Daneben kenne ich ihn nur noch noch von Iain Banks, Complicity. Jeweils übrigens im Präsens.
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