
Ich weiß nicht mehr, wie ich auf dieses Buchgekommen bin. Irgendwer Estara hat es online gelobt als Begründer eines Subgenres der urban fantasy oder so ähnlich, seinen Nachahmern weit überlegen.
Na ja. Ein ganz normaler Mensch, eine Rockmusikerin, wird in einen Streit in der Feenwelt hineingezogen, und all das mitten in Minneapolis. Nicht schlecht, aber nicht so mein Fall. Ich misstraue Rockmusikern, die wissen, wie man “Sidhe” ausspricht und schreibt. “Bodhran” lasse ich zur Not noch für den Wortschatz eines typischen Rockmusikers zu, aber “Sidhe”? (Zur Aufklärung, falls nötig: “sidhe” wird wie “she” ausgesprochen und heißt Elfe, elfisch – irische Elfenwesen allerdings, nicht die von Tolkien oder dem Sommernachtstraum. “Bean-sidhe” ist unter der Schreibung “banshee” bekannter.)
Ich misstraue auch Erzählern, die mehr Blumen und Farbtöne kennen als ich, und ihr Wissen schamlos dazu nutzen, die Kleidung der Hauptpersonen zu beschreiben. Der männliche Held (rauhe Schale, weicher Kern; leidet gerne; toller Liebhaber) zaubert sich für jeden Anlass die passende Kleidung zusammen. Mich erinnert das ein bisschen an das Anziehen von Barbie-Puppen.
Das Buch ist spannend und schön und sentimental, aber ein klein wenig humorlos. Als Rock-Fantasy dann doch lieber George R.R. Martin, Armaggedon Rock, als Urban Fantasy lieber Matt Ruff oder Peter S. Beagle. Die grusligsten Elfen gibt’s bei Terry Pratchett in Lords and Ladies.
Der Hauptgrund fürs Bloggen: Mir sind schon wieder andere Bücher eingefallen beim Lesen. Und zwar all die vielen, wo ein ganz normaler Erdenmensch durch widrige Zufälle in einer anderen Welt landet und dort plötzlich ganz wichtig ist. (Das muss ein Tagtraum aller Menschen sein: So wie man bei Big Brother dadurch zum Star wird, dass man einfach man selber ist und dadurch den Beifall und die Aufmerksamkeit von Millionen verdient – so einfach stellt es sich heraus, dass man ein verlorener Königssohn oder der Heilsbringer einer fremden Welt ist.) John Carter verschlägt es auf den Mars, Carson Napier auf die Venus – aber meine Lieblinge sind immer noch die Bücher von Abraham Merritt. Zwanzig Jahre habe ich sie nicht mehr gelesen. Eines vor allem: Ship of Ishtar, 1924 im Argosy-All-Story-Magazin erschienen. Meine Ausgabe ist die damals in zwei Bänden bei Terra Fantasy erschienene:

Nicht dass wir uns missverstehen: Wir reden von pulp fiction. Eskapistischen Trivialromanen.
Der Archäologe John Kenton, ein Mann unserer Tage[,] verfällt einem uralten Zauber und erreicht eine andere, längst vergangene Welt. Aus seiner eigenen Dimension herausgerissen, findet er sich plötzlich auf einem Schiff wieder, das die Götter dazu verdammt haben, für alle Ewigkeit die Ozeane einer fremden Welt zu befahren.
John Kenton wird Zeuge des Streites der Götter. Auf der Seite Ischtars nimmt er teil am ewigen Kampf zwischen der Göttin der Liebe und der Rache und Nergal, dem Totengott.
Aber besser so von Ishtar gehört als gar nicht. Heute lese ich das Gilgamesch-Epos in meiner Freizeit. Dazu die wunderbaren Illustrationen von Virgil Finlay:

(Siehe auch hier, hier und hier. Und hier und hier. Zwei ganz große Illustratoren: Finlay und Sidney Sime – auch den bitte mal anschauen: hier zum Beispiel.)
In König der zwei Tode gab es einen betrunkenen desillusionierten König, der sich plötzlich doch ein bisschen für Kenton interessiert, weil beide den (wohl erfundenen) chaldäischen Dichter Maldronah zitieren können: “Besser tot sein als leben, sprach er – / Und besser noch, gar nicht zu sein”. Das amerikanische Original klingt besser. Aber gemerkt habe ich mir diese Szene doch zwanzig Jahre lang. Und gerade eben das Buch auf englisch bestellt. Mal sehen, was ich jetzt dazu sage.
NACHTRAG: Jetzt habe ich also Ship of Ishtar wiedergelesen. Schön war’s: Ich war erstaunt, an was ich mich alles erinnerte – nicht über die Menge, aber über die Auswahl an Erinnerungsstücken. Wer das Buch als Teenager gelesen hat, wird sich mit Freude darin wieder entdecken; wer nicht, der sollte die Finger davon lassen. An manchen Stellen, vor allem in der ersten Hälfte, ist es nämlich peinlich schlecht. Nun ja, das ist ja Gottseidank nicht die Hauptsache.