Beim Aufräumen bin ich auf eine Mappe mit Schülertexten gestoßen – Mindmaps, Zeichnungen, und vor allem eine ganze Reihe der Sagen, die Ende 1999 eine 6. Klasse geschrieben hatte. (Beispiele hier und hier.) Eine dieser Erklärungssagen ist vielleicht von besonderem Interesse, weil sie zeigt, wie Schüler sich das Privatleben eines Lehrers vorstellten.
Der Text ist nicht korrigiert, war mit dem Computer geschrieben.
Der Bart ist ab
Wie ihr alle wißt, hatte Herr Rau vor ein paar Monaten einen kleinen Bart. Doch dann war er auf einmal verschwunden: Und das kam so:
Herr Rau saß mit seinen drei Freunden, an einem Samstagabend, in einer Kneipe. Alle drei waren schon ein bißchen beschwipst. Sie witzelten herum und plötzlich sagte Herr Rau: „Mein Bart wächst bestimmt schneller als eurer.“ Die Freunde gingen darauf ein und sagten: „Vielleicht wächst er schneller als unserer, aber in einer Woche wächst er bestimmt keine fünf Zentimeter.“ „Das schaffe ich bestimmt, das wette ich,“, erwiderte der Deutschlehrer fest davon überzeugt. „Okay, schließen wir eine Wette ab. Wenn dein Bart in einer Woche fünf Zentimeter wächst, gibt dir jeder von uns ein Essen aus, wenn du verlierst gibst du uns ein Essen aus, abgemacht?“ „Na klar, das gewinne ich locker.“
Am nächsten Morgen hatte er die Wette schon vergessen. Tags darauf begann wieder die Schulwoche, erst am Donnerstag sah er seine Freunde zum Tennisspielen wieder, so kam es , daß er nicht mehr an die Wette dachte.
Am Donnerstag, auf dem Tennisplatz, sagten seine Freunde: „Da muss aber morgen noch ein kleines Wunder geschehen, wenn der Bart noch wachsen soll.“ Plötzlich erinnerte er sich wieder an die unsinnige Wette. Zuhause überlegte er sich fieberhaft, wie sein Bart in der kurzen Zeit noch fünf Zentimeter wachsen soll. Da fiel ihm das Internet ein. Er klickte die Yahoo-Suchmaschine an und gab ein: „schneller Bartwuchs.“ Der Computer hatte insgesamt 50 verschiedene Informationen gefunden. Er schaute sich alle an und fand ein Rezept. Da stand:
Zutaten: Jeweils zwei Blätter des Pfaffenhütchens, des Fünffingerkrauts, des Engelsüß und ein Blatt von der Zauberhasel. Vier Tropfen Arnikatinktur, fünf Teelöffel Heilerde und zwei Teelöffel Wasser.
Die Blätter klein hacken und in eine kleine Schüssel geben. Dann das Wasser in dieselbe Schüssel schütten und darunter die Heilerde mischen. Und zum Schluß die Tropfen der Arnikatinktur hinein tropfen.
Den ganzen Brei ca. zwei Stunden stehen lassen.In der Nähe von Herrn Rau’s Haus ist ein kleiner Kräuterladen. Dort bekam er alles was er benötigte, außer ein Blatt von der Zauberhasel. Vor dem Laden steht ein Haselnußstrauch, davon zwickte er sich ein Blatt ab. Zuhause stellte er alle Zutaten auf den Küchentisch und fing an den Brei zu mixen. Als die Masse fertig war, trug Herr Rau sie auf seinen Bart. Er ließ sie einige Minuten einwirken. Dann spülte er sein Gesicht unter kaltem Wasser ab und dachte: „Jetzt wird mein Bart sprießen!“ Doch im Gegenteil, plötzlich waren seine Bartstoppeln im Waschbecken und auf seiner Hand. Er schaute in den Spiegel. Der Bart war weg. „Irgendetwas muß ich falsch gemacht haben,“ sagte er laut. Er schaute noch einmal auf der Internetseite nach. „Mist“, rief er, „Ich habe Zauberhasel mit Haselnuß verwechselt.“ Dieser kleine aber feine Unterschied hat das Bartwuchsmittel zum Enthaarungsmittel gemacht. Da die Geschäfte schon geschlossen waren und er sich keine neuen Kräuter mehr besorgen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Freunden ein Essen zu spendieren.
Er hatte die Wette verloren und damit auch die Lust auf einen neuen Bart, weil seine Freunde in wegen seiner „Bart-Angeberei“ verspotteten.
ENDE
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