Kurzfassung zur Erinnerung: Statt über die Englischlektüre Coraline von Neil Gaiman mit meiner 9. Klasse zu sprechen, programmiere ich mit der Klasse ein Textadventure dazu. Der Code ist von mir, die Beschreibungen der Räume und Objekte stammen weitgehend von den Schülern und Schülerinnen, die sich dazu aus aus dem Buch bedient haben. (Mehr Einzelheiten hier.)
Das Spiel ist jetzt zwar noch nicht ganz fertig, aber ziemlich weit gediehen (mehr als 22000 Wörter) und bis zu einem oder mehreren Enden spielbar. Das hat Lust auf mehr gemacht, ich sehe auch eine das Schulbuch begleitende Möglichkeit für meine 7. Klasse, und irgendwann wird sicher auch noch ein Aufsatz daraus und ein Beitrag für den Jahresbericht.
Das ist die Spielwelt:

Am Anfang habe ich Ideen für das Spiel über eine Mebis/Moodle-Datenbank eingesammelt, bin dann aber schnell zu einem cloudbasierten Dokument übergegangen mit Schreibberechtigung für mich und die Schüler und Schülerinnen. Dort habe ich mäßig agil eingetragen, welche Wünsche ich jeweils berücksichtigt habe und welche nicht oder noch nicht. Hier ein Auszug:

In einem weiteren Dokument sind alle Objekte aufgelistet. (Das Spiel besteht aus 20 Räumen und etwa 85 Objekten.) Die Objekte haben eine Beschreibung und eine andere Beschreibung, die für ihr Äquivalent in der Parallelwelt verwendet wird und die unheimlicher, schräger, grusliger ist als die ursprüngliche. Tatsächlich fehlen für 32 teilweise wichtige Objekte noch Beschreibungen – viele Objekte entstehen quasi nebenbei durch die Raumbeschreibungen. Wenn da eine Schülerin etwa zur Beschreibung des Kühlschranks schreibt:

It's a big white fridge with some postcards and one shopping list. (It's pretty empty. Time for mom to go shopping.)
– dann muss man quasi auch ein Postkarten- und ein Einkaufslistenobjekt anlegen, weil die Spielerin ja nach der Beschreibung erwarten wird, diese betrachten oder vielleicht gar nehmen zu können.
Ein drittes Dokument enthält mögliche Gesprächsthemen mit den Figuren im Spiele – Vater, Mutter, zwei Nachbarn, und deren andere Gegenstücke. Was sollen die Antworten, oder wie sollen sie sonst reagieren, wenn sie angesprochen werden auf bestimmte Themen? Das ist für die Lösung des Spiels nicht relevant, aber für das Spielvergnügen. Überhaupt sind es bei solchen Spielen gerade die Reaktionen auf Aktionen, die nicht zur Lösung des Spiels beitragen, die besonders reizvoll beim Spielen sind.
Im Lauf des Spiels kriegt man dann auch verschiedene Illustrationen zu sehen, die die Schüler und Schülerinnen erstellt und mir geschickt haben:

Das Spiel gibt es hier:
Im Moment ist dort eine Testversion veröffentlicht, die einige Schummelmöglichkeiten anbietet, und den ganzen Code kann man auch einsehen.
Was ich übers Spieleschreiben gelernt habe: Im Film oder Roman hat man eine spannende Szene im Kopf und lässt die Heldin in sie hineinstolpern oder „von selber“ auf eine überraschende Idee kommen. Im Zauberer von Oz, dem alten Musical, gießt Dorothy versehentlich einen Eimer Wasser auf die böse Hexe und besiegt sie dadurch. Im Spiel muss man dafür sorgen, dass die Spielerin tatsächlich von selber auf diese Idee kommt – und Spielerinnen kommen notorisch immer genau nicht auf die Idee, die man als Entwickler im Kopf hat. Also muss man Hinweise geben, aber sacht, sonst ist das eben nicht „von selber“.
Ein anderes Beispiel: Im Buch geht Coraline mindestens zweimal schlafen. Klar, sie ist müde, aber die Nächte braucht es auch, um die Handlung voran zu treiben. Im Spiel… ist das bisher auch so. Aber ein Spieler wird nicht aus freien Stücken schlafen gehen, also braucht es Hinweise, und das ist dann Gängelung. Ich überlege noch, ob ich die zwei Nächte in eine packe.
Für ein Fazit ist es noch zu früh. Ich habe ja keine einzige Schülerin und keinen Schüler der Klasse seit Anfang des Projekts auch nur gesehen. Alle, die nicht ohnehin völlig abgetaucht sind, haben mitgearbeitet, manche mehr, manche weniger. (Es gab auch Aufgaben zum Buch, die nichts mit dem Spiel zu tun hatten.) Im Präsenzunterricht hätte ich mich anstrengen müssen, so viele Zeichnungen in digitaler Form zu erhalten und so viele Textbeiträge. Andererseits hätten wir bei gelegentlichen Treffen mehr gemeinsam planen und besprechen können. Dann wäre vielleicht doch eher ein begehbares Buch daraus geworden als ein relativ klassisches Spiel. (Es ist übrigens sehr, sehr einfach, aber wer mit dem Genre nicht vertraut ist, dem fällt es vermutlich schwer genug.) Unterricht zu Hause mit gelegentlichen Präsenztagen, das käme mir entgegen.
Schreibe einen Kommentar